Man Stelle sich eine Situation vor, in der jemand anschaulich offen legt, warum ihm persönlich etwas, das fast vollständig von subjektiver Wahrnehmung abhängt, nicht gefällt. Darauf antwortet jemand anderes, anonym, etwa 500 Kilometer entfernt: „Du hast keine Ahnung von Rap du Hurensohn! MC AsphaltBoxxxer rasiert AMK! Ihr hatet eh nur!„. So viel Vorstellungskraft erfordert das gar nicht – eigentlich muss man nur mal einen Blick in die Kommentarspalte unter einer veröffentlichten Review werfen. Irgendwie können viel User nämlich gar nicht damit umgehen, wenn ihr heiß verehrtes Idol Kritik erfährt – wenn auch nur auf musikalischer Ebene. Da spielt es auch überhaupt keine Rolle, um wen es geht – das passiert immer. Deswegen muss ausnahmsweise auch mal niemand namentlich als Beispiel hinhalten.
Dass eine Review immer etwas subjektives ist, sollte mittlerweile wirklich jedem klar sein. Ich sitze hier als Rapbegeisterter Mensch hinter meinem Laptop. Ich bin keine Maschine, die ein Album durch diverse Algorithmen laufen lässt und so zu einem empirisch belegbaren Ergebnis kommt. So eine Maschine würde die beschissensten Reviews aller Zeiten schreiben, weil wirklich messbar nur quantifizierbare Faktoren, wie die Reimsilben sind. Ansonsten ist alles irgendwo Geschmackssache – und das ist gut. Du musst den Flow von Olexesh nicht mögen – ich liebe ihn. Du musst auch die Stimme von Morlockk Dilemma nicht mögen – ich mag sie. Und es ist auch gar kein Problem, wenn dir die Rhetorik von Audio88 nicht gefällt – ich finde sie brillant. Dafür darfst du natürlich die für meine Ohren furchtbar penetranten Beats und durchmischten Styles auf dem neuen Kay One Album gut finden – ich habe es deswegen verrissen. Es ist auch dein gutes Recht SpongeBozz zu feiern, den ich vom Rapstil und der allgemeinen Aufmachung absolut unerträglich finde. Mein Punkt wird klar? Das ist immer Geschmackssache! Und ich kann immer sagen was mich stört – das ist meine Aufgabe und kein unbegründeter Hate.
Klar gibt es irgendwo guten und schlechten Rap, aber meine Aufgabe beim Verfassen einer Review ist es, meine Meinung gut nachvollziehbar darzustellen, indem ich die unterschiedlichen Aspekte eines Albums beleuchte. Und das tue ich, auch wenn etwas mir nicht gefällt. Nie wird gesagt: Nicht mein Geschmack – wack! Und immer gibt es einen gewissen Grat, ab dem da differenziert wird. Ich bin kein MoTrip-Fan – zu wenig Ecken und Kanten, zu glatt geschliffen. Aber ich habe großen Respekt vor dem was er macht und verstehe jeden, der das zu Tode feiert. Nie im Leben käme ich auf Idee, jemanden wegen seiner Meinung – seines Geschmacks zu beleidigen. Schreib doch lieber drunter, was und wieso du es anders siehst. Das machen auch einige – Shoutout an diejenigen!
Dass viele Konsumenten nicht mit Kritik an ihrem Liebling umgehen können, liegt vermutlich auch daran, dass Rap-Journalismus in letzter Zeit immer mehr zu einer Kissenschlacht geworden ist. Negative Reviews werden meist relativiert und enden mit einem „eigentlich ist das ja Geschmackssache“ – was ja auch stimmt, aber wenn das dein Ergebnis ist, musst du auch keine Review verfassen. Zumal die Kritik auch nur leicht zwischen den Zeilen durchsickert. Interviews werden weitgehend unkritisch geführt und zu einer reinen Bühne Promo (oder Beef). Klar ist das dann ungewohnt, wenn plötzlich jemand kein Blatt vor den Mund nimmt. Das ist kein Haten verdammt! Und wenn jemand am laufenden Band Musik fabriziert, die mir nicht gefällt und sich jedes mal eine wegholt, auch dann hate ich nicht, sondern finde die Musik einfach immer scheiße. Dann schreibe ich aber natürlich auch nicht jede Review – denn bei einem anderen Autoren kann sie auch ganz anders ausfallen. Meine Abrechnung ist auch kein Haten – da argumentiere ich ja sogar sachlich. Hier gibt es nämlich Fakten, anhand derer ich meine Meinung bilde. Das ist keine Geschmackssache. Und trotzdem muss ich mich der Kritik aussetzen, nur dämlich rumzuhaten.
In der aktuellen Ausgabe des Juice-Magazins findet sich der Kommentar „Lügenpresse meets Sauercrowd“ von Juri Sternburg. Da wird den deutschen Rapmedien pauschal vorgeworfen, sich auf eine „grunddeutsche Tugend“ zu besinnen: „Meckern„. Dabei beschränke man sich „größtenteils auf Opfer„, „mit denen man es machen kann„, es würden „wie neuerdings auch im Rap üblich, keine Namen genannt„. Aha. Abgesehen davon, dass wir als einziges Medium regelmäßig Kommentare und eine Abrechnung veröffentlichen, geht schon aus den Beispielen deutlich hervor, wer gemeint ist – auch ohne namentliche Nennung. Wären da nicht klar die Themen der Kolumnen aufgelistet, hätte ich mich bei all der Absurdität womöglich gar nicht angesprochen gefühlt. Soviel zum Thema „Namen nennen“ – oh, die Ironie. Dieser Vorwurf ist besonders befremdlich, denn im Gegensatz zu ihm nenne ich das Kind stets beim Namen. Auch der Vorwurf, ich würde mir nur wehrlose Opfer vornehmen, (er nennt Liont als Beispiel, dem ich nie ein Kolumne gewidmet habe) spricht nicht unbedingt dafür, dass er sich wirklich mit den Abrechnungen befasst hat, aber egal. Kann halt nach hinten los gehen, wenn man sich kritisch einem Thema gegenüber äußert, das man nur kurz oberflächlich beleuchtet hat. Konzentrieren wir uns aber auf den zentralen Vorwurf des „Meckerns“. Ich meckere also, von mir aus. Das hat einen guten Grund: Es läuft vieles schief und fast jeder nimmt das stillschweigend hin. Der ganze Dreck, den ich mir vorknöpfe, ist so alltäglich geworden, dass er gar nicht mehr als Dreck ist wahrgenommen wird. Ich mache mein Maul auf, weil ich schon immer so war – auch ohne Veröffentlichungsplattform. „Meckern“ klingt halt nur irgendwie nicht nach Argumenten und klar formulierter Kritik, sondern nach Fensterrentner. Sachliche und fundierte Kritik so blasiert abzutun, nach dem Motto: Bloß keine Streitkultur, lieber gleich im Keim ersticken – das erscheint mir eher etwas „grunddeutsches“ zu sein. Dass der Kerl genau das macht, was er mir vorzuwerfen versucht – geschenkt.
Genau das meine ich. Wenn man sich gegen etwas stellt, erfährt man Gegenwind, das ist klar. Aber dann doch bitte richtigen – schaltet eure Köpfe ein und denkt zweimal nach. Der gute Herr Sternburg stellt sich aus Prinzip quer – warum auch immer – und sucht dann auf Teufel komm raus nach Angriffsfläche. Er meckert. Dieser Kommentar ist im Grunde nichts anderes, als ein eloquenteres „Du Hurensohn hatest nur!„. Mit fadenscheinigen Pseudo-Argumenten immerhin – aber bitte, man muss doch wissen, was man an etwas auszusetzen hat, statt einfach mit Kopfkino um die Ecke zu kommen. Dass jemand in einer Review, einem Kommentar oder einer Kolumne nur dumm rumhatet, ist nämlich Kopfkino. Jeder ist herzlich eingeladen, seine Meinung zu sagen – gerade wenn es eine andere ist und sie somit interessante Anstöße bietet. Aber doch bitte nur, wenn er auch eine Meinung hat und nicht krampfhaft nach Reibungspunkten sucht. Wenn ich irgendwann keinen Anlass zu einer Abrechnung habe, dann sauge ich mir auch nichts aus den Fingern – versprochen.