Warum ich die alten Zeiten so mochte? Weil sie verdammt noch mal geil waren! Alles war noch so jungfräulich, fast täglich gab es neue Dinge zu entdecken. Und hatte man sie entdeckt, konnte man sich ewig daran freuen. Man fühlte sich Mitte der Neunziger Jahre als Pionier, wenn man sich für Rap begeisterte. Während zu dieser Zeit in den Staaten schon finanzielles Kalkül der Plattenfirmen, die Szene in ihrer Entwicklung komplett zu beeinflussten wusste, war es in Deutschland noch relativ ruhig diesbezüglich. Mit Rap war noch nicht wirklich Geld zu verdienen, also wurde ein Künstler auch nicht an seinen Verkäufen, seiner Chartplatzierung oder seine Reichweite auf Facebook gemessen. Wie auch? Gab es ja alles gar nicht.
Auch einzelne Charterfolge und Videos auf VIVA oder MTV änderten daran nicht viel. Daraus entstand noch kein Mainstream. Man war wirklich ein bunter Vogel, ein Unikat, dass zwischen all den Grunge- und Trance-Hörern versuchte seinen Platz zu finden. Ich erinnere mich noch, dass auf meiner Schule von ca. 150 Schülern nur drei HipHop hörten. Und diese erfreuten sich auch nur an dem Konserven-Rap-Dreck eines Wolf, der ziemlich Schiss vor einer gewissen Frau Schmidt hatte. Richtige Heads (ja, so hieß das damals) musste man suchen.
Und es lohnte sich: man fand sie meist bei Veranstaltungen, die den Namen Untergrund voll verdient hatten. Nicht wie heute in diversen Clubs, wo das Bier drei Euro kostet. Sondern in irgendwelchen Kellerlöchern, wo man sich auf der provisorischen Tanzfläche den Platz mit den Mäusen teilen durfte, die dort unten mit all dem anderen Ungeziefer eine Wohngemeinschaft bildeten. Es formierten sich Kreise, wo gefreestylet wurde. Anfangs selbstverständlich Acapella, weil der Dude mit der einzigen Kassette auf der reine Instrumentals zu hören waren, 60 km entfernt wohnte und immer zu spät kam. Also blieb der Ghettoblaster erstmal aus, was aber gar nicht schlecht war, da die Batterien eh meist nicht lang hielten.
Im Gang roch es ständig nach Farbe, weil sich die Leute am Sprayen versuchten und man selbst blickte neidisch auf die durchtrainierten Breakdancer, weil die immer am meisten Erfolg bei den Frauen hatten. Breakdancer waren quasi das, was Bodybuilder in unserer heutigen Zeit sind. Ihre Muskeln kamen jedoch wohlgemerkt vom Tanzen, nicht von Anabolika. Kraft durch Masse statt aufgeblasen durch heiße Luft.
Alles hatte einfach einen anderen Flair, vielleicht auch, weil Deutschrap oder Rap im allgemeinen einem damals nicht überall serviert, bzw. hinterhergeschleudert wurde. Es war einfach was Besonderes, eine Errungenschaft sondergleichen, wenn man an ein Tape von Biggies „Life after Death“ rangekommen ist. Man wusste einfach, welchen Weg dieses zurückgelegt hatte. Erst musste das Album jemand für richtig viel Geld im Plattenladen bestellen, ewig darauf warten, bis er es dann auf Kassette überspielen konnte und diese dann ihre Kreise zog. Irgendwann hatte man dann die zehnte Kopie der Kopie in der Hand – aber scheiße, man freute sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Im Zeitalter von YouTube und permanenter Verfügbarkeit natürlich undenkbar. Gut, ich komm vom Land im südlichen Teil unserer Republik, da dauert bekanntlich alles noch etwas länger. Aber auch in Geschichten aus der großen Stadt hörte ich von Menschen, die auf der Straße Tapes verkauften und ihren Hustle mit dem Verbreiten von Musik bestritten. Frei nach „I’m Your Pusher“ von Ice-T. Heute lädst du als YouTuber einfach Videos hoch und verdienst mit den Klicks die Kohle. Schön einfach. Und langweilig.
Unser Flash war die Musik und die damit verbunden Kultur. Ein JUICE-Magazin wurde von einer Person gekauft und 20 weitere haben sie dann gelesen. Es hatte den Stellenwert einer Offenbarung, eines Kapitels aus der Bibel. Die Videokassette auf der, mit „New Jack City“ und „Menace 2 Society„, zwei der für mich maßgeblichsten HipHop-Filme drauf waren, hatte den Charakter des Heilligen Grals für uns im Freundeskreis. Es wurde sich darum geprügelt, wer sie übers Wochenende haben durfte.
Natürlich änderte sich das alles schnell, als in diversen Firmen verstanden wurde, wie sich mit Deutschrap Geld verdienen lässt. Die Anfangszeiten von Rap in Deutschland mündete in ihren ersten Höhepunkt und brachte jede Menge neuen musikalischen Output mit sich, Crews formten sich in den größeren Städten der Republik und somit wuchs auch die Möglichkeit an Musik ranzukommen, aber es war zeitgleich auch das Ende der von mir beschriebenen Idylle. Am Anfang fand ich es geil, dass der Erfolg kam und damit auch die Professionalität zunahm, ich merkte aber schnell, wie alles inflationär wurde. Die ersten 0711 Partys im Club Prag in Stuttgart (damals von Schowi und Strachi von den Massiven Töne organisiert) waren noch etwas Besonderes. Die ersten Videos von Freundeskreis, den Beginnern, Dynamite Deluxe oder Afrob und Ferris MC (Die mit ihrem „Reimemonster“ übrigens als erstes den Weg in die Clubs gefunden haben und mit ihrem Panzer die Crowd überrollten) liefen nun auch bei VIVA und MTV auf Heavy Rotation zur Mittagszeit, nicht mehr nur im Rahmenprogramm.
Man profitierte also eigentlich nur. Aber man merkte immer mehr, wie gewisse Kreise versuchten uns zu diktieren, wie unsere Interpreation von HipHop zu sein hat, wie Marketingkonzepte und Kalkül Einzug hielten. Und nicht mehr wir, als Base, HipHop selbst gestalteten. Die Unschuld war verloren – und einmal weg, kommt sie nie wieder. Aber – es kamen auch wieder bessere Zeiten. Wie ich diese erlebt habe – und was der Battlerap von M.O.R, die Jungs aus dem Royal Bunker oder Aggro Berlin Anfang der Zweitausender-Jahre für einen wichtigen Einfluss auf Deutschrap hatte, erzähl ich euch beim nächsten Mal.