Song gegen Kindermissbrauch

Update: In einem Telefonat mit Marc Reis hat dieser seine Empörung darüber zum Ausdruck gebracht, mit der NPD in einem Atemzug genannt worden zu sein. Er fühlt sich davon persönlich verletzt, was von uns natürlich überhaupt nicht beabsichtigt war. Ich habe daher mit Marc Reis vereinbart, dass wir uns nächste Woche treffen und über das Thema, zu dem wir offensichtlich verschiedene Meinungen haben, ruhig und vernünftig diskutieren. Wir beide sind der Ansicht, dass das der Sache am besten gerecht wird. (Oliver Marquart, rap.de-Chefredakteur)

Seit einigen Tagen kursiert ein Video auf diversen Rap-Seiten, in dem Künstler wie Harris, Celo & Abdi, Marc Reis, Yassir und Hassan Anouri sich gegen Kindesmißhandlung aussprechen. Eigentlich ein so nachvollziehbares wie unterstützenswertes Anliegen. Trotzdem haben wir von rap.de abgelehnt, als uns das Video als Exclusive angeboten wurde.

Warum? Hat rap.de etwa kein Herz für Kinder? Doch, haben wir. Und genau wie jeder andere Mensch mit auch nur einem Funken Mitgefühl macht es uns fassungslos und wütend, wenn schwachen, wehrlosen Kindern Gewalt angetan wird.
Was uns allerdings davon abgehalten hat, den Track auf unserer Seite zu präsentieren, ist eine Zeile von Marc Reis, in der er rappt: "Ich hab keinerlei Akzeptanz, um es auf deutsch so zu sagen/ ich fordere für Kinderschänder die Todesstrafe". Eine Forderung, der wir uns auf keinen Fall anschließen wollen, weil wir sie für falsch und der Sache nicht dienlich halten.

Zunächst einmal, weil die Todesstrafe zu einem durch die Aufklärung längst überwundenen Rache- und Sühnebild gehört und einer "Auge um Auge, Zahn um Zahn"-Logik folgt, die im 21. Jahrhundert nichts verloren hat. Der deutsche Staat hat laut seiner Verfassung nicht das Recht, das Leben eines Menschen zu beenden, egal, was dieser getan haben mag und das ist auch gut so. Niemand sollte sich anmaßen, zu entscheiden, wer ein Recht zu leben hat und wer nicht. Niemand.

Abgesehen von der moralischen Komponente ist die abschreckende Wirkung, die Befürworter immer wieder ins Feld führen, in diesem Fall sehr fraglich. Kinderschänder sind in ihrem Sexualtrieb gestörte Menschen, die zwanghaft und nicht rational handeln.

Obendrein, und dieser Punkt war für unsere Entscheidung letztlich ausschlaggebend, nutzt seit einiger Zeit eine sehr unangenehme Fraktion, nämlich die NPD, die Parole "Todesstrafe für Kinderschänder", um unter dem Deckmantel der Sorge um das wohl von Kindern Leute zu ködern. Natürlich ist uns vollkommen klar, dass Marc Reis keinerlei Sympathien für diese Partei oder deren Ziele hegt. Trotzdem öffnet so eine undifferenzierte Aussage aus dem Bauch heraus dem Mißbrauch durch genau solche Kreise Tür und Tor. Der Song hat erkennbar ein gutes und berechtigtes Anliegen, nämlich Bewusstsein für schlimme Verbrechen zu schaffen. In welchem Licht aber würde ein solches Anliegen erscheinen, wenn sich die NPD entschlösse, den Song als Trojaner für ihre Rattenfängerei zu nutzen?
Und es komme jetzt bitte niemand mit dem Einwand, nur weil die Nazis sagten, der Himmel sei blau, sei diese Aussage nicht plötzlich falsch. Die Forderung, die Marc Reis in dem Song erhebt, ist eine politische Forderung, die nicht ohne Grund ausschließlich von Parteien am rechten Rand erhoben wird. Das Thema Kindesmißbrauch eignet sich aber denkbar schlecht dafür, einfache Lösungen und bequeme Feindbilder zu propagieren.

Die Initiatorin des Songs, Xenia Hügel, zeigte sich in einem Statement gegenüber rap.de nachdenklich. Dass die NPD versuche, mit dem Thema Anhänger zu gewinnen, sei ihr nicht bekannt. "Ich will natürlich nicht, dass es dadurch in ein schlechtes Licht gerückt werden könnte. Ich bin auch selbst kein Anhänger der Todesstrafe, weil ich ein sehr gläubiger Mensch bin und glaube, dass nur Gott allein richten darf." Mit dem Song habe sie auf das Problem Aufmerksam machen und für härtere Strafen plädieren wollen – nicht zur Abschreckung, sondern um die Gesellschaft vor Verbrechern zu schützen. "Wenn alle nur denken, man könne nichts dagegen machen, passiert auch nichts", erklärt sie ihre Motivation.

rap.de unterstützt das Anliegen, das der Song eigentlich hat, durchaus. Wir glauben aber, dass eine unüberlegte, undifferenzierte Aussage wie die besagte Zeile von Marc Reis hier eher kontraproduktiv ist.

Wer tatsächlich etwas Gutes tun möchte, der spende an die im Video ebenfalls erwähnte Organisation Wildwasser, die Opfern sexueller Gewalt helfen möchte:

Kreissparkasse Groß-Gerau
Konto 1072 867
BLZ 508 525 53

Um euch ein eigenes Urteil bilden zu können, seht ihr das Video hier: