Fetter Rap (Kommentar)

Wir leben eigentlich in einer Zeit, in der tolerantes Denken im Mainstream, zumindest oberflächlich betrachtet, immer weiter an Raum gewinnt. Dass Rap da nicht immer mitgeht, dass wissen wir bereits, doch es gibt einen Punkt, bei dem sich die beiden Strömungen umgekehrt zueinander verhalten.

Im Fernsehen ist Übergewicht nach wie vor eine grundsätzlich schlechte Eigenschaft schwacher Menschen, an der gearbeitet werden muss, damit man sich endlich glücklich fühlt. Dafür muss man nicht einmal extrem fettleibig sein, schon bei geringen Abweichungen gegenüber der vorgelebten „Normalität“ scheint einem jeglicher Erfolg im Leben verwehrt. Das neue RTL-Format „Deutschlands schönste Frau“ soll dem Zuschauer angeblich Schönheit abseits der gängigen Beauty-Ideale näherbringen, von 20 Frauen ist in der gesamten Sendung allerdings nur eine nicht vollschlank. bei „DSDS“ fliegen dickere Menschen erwartungsgemäß spätestens in den ersten Liveshows raus, bei Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ ist der Magerwahn ohnehin Grundgesetz. Abgesehen davon kennt wohl jeder, der zum Beispiel in der Schule ein paar Kilos mehr auf den Rippen hatte, die Schmähungen, mit denen man aufgrund seiner Figur öfters konfrontiert wird.

Im Rap dagegen war die Figur nie ein großes Hindernis zum Erfolg. Schon die Anfänge wurden geprägt von Leuten wie Afrika Bambaataa, Run-DMC und den Beastie Boys. Das Aussehen war immer von geringer Relevanz, vor allem ging es um Rap- oder DJ-Skills und Sound. Man musste kein perfekter Mensch sein, um die Vorraussetzungen für Hip-Hop zu erfüllen, was zählte waren das Talent in dem Bereich, in dem man sich bewegte. Wer kreative Texte schrieb, wurde Rapper, wer gut diggen und scratchen konnte, wurde DJ und wer sportlich war, wurde eben Breaker. Aber nie ging es um eine komplette Selbstoptimierung, wie sie heute oft angestrebt wird.

Auch Biggie war kein Leichtgewicht. Trotzdem gilt die East-Coast-Legende für viele als einer der besten, wenn nicht sogar der beste Rapper aller Zeiten. Klar, ein Gangster, der offensichtlich genug zu essen hatte, hat es eben geschafft. Gerade im Hip-Hop ist eine gewisse Korpulenz, anders als in vielen anderen Bereichen der Musik-, aber auch Dienstleistungsindustrie, der Beliebtheit des Künstlers sogar in einem gewissen Maße zuträglich. Wieso ist gerade im Hip-Hop, wo es heutzutage, anders als in den Ursprüngen, häufig um Aussehen und Status geht, dieser optische Zustand so akzeptiert wie kaum woanders?

Rap war schon immer ein Sprachrohr der Unterdrückten, der Abgehängten, aber auch der schlicht Unzufriedenen. Das ist es auch heute noch, denn wie sonst kann man so viele Menschen erreichen, während der Mensch dahinter unwichtig bleibt. Niemand schert sich darum, was der Rapper XY erreicht hat, denn wenn er gut rappt, dann zählt nur noch das. Haftbefehl hat nicht mal einen Sonderschulabschluss, trotzdem ist er mit seinem neuen Album sogar ins Feuilleton der großen Zeitungen gekommen. Also haben auch Menschen, die unzufrieden mit ihrem Körper sind, oder aufgrund ihres Gewichts viele nachteilige Erfahrungen gemacht haben, die Möglichkeit, sich über Rap unabhängig ihres Aussehens oder ihrer bisherigen „Lebensleistungen“, auszudrücken und ihre Texte in die Welt hinauszutragen.

Dicke Rapper geben uns nicht das Gefühl, sich für ihren Zustand zu schämen. Im Gegenteil, Action Bronson, ehemals Koch, rappt gerne über Essen und hat sogar seine eigene Food-Show, abseits davon hat er auf der Bühne mehr Luft als viele durchtrainierte MCs. Fatoni überträgt seine Stämmigkeit sogar in seinen Namen und schreibt Songs darüber und Kool Savas mutet auch nicht unbedingt durch einen flachen Bauch an. Trotzdem gehört er unumstritten zu den besten Rappern in Deutschland, und wird (abgesehen von ein paar Youtube-Kommentaren) in den Medien nicht auf seine Figur angesprochen oder gar reduziert. Offenbar ist es sogar für die sonst so optimierungsversessenen TV-Shows in Ordnung, wenn ein Rapper sich der Norm nicht unterwirft.

Geben uns vielleicht diese Rapper, deren Liste man noch ewig weiterführen könnte, das Gefühl, dass es doch möglich ist, auch außerhalb des von den Medien gezeichneten Bildes des gutaussehenden Menschen seine Fettleibigkeit zu akzeptieren? Dass man es auch ohne einen perfekten Körper schaffen kann, erfolgreich zu werden, und sogar optisch in den Medien vertreten sein kann? Diese Rapper haben all das, wovon wir träumen, obwohl sie nicht in das allgemeingültige Figurideal passen, was uns dauernd vorgelebt wird. Vielleicht sehen wir in ihnen die Vorbilder und den Ausweg aus dem Dilemma der ewigen Selbstzweifel, die oft auch nach einer äußerlichen Anpassung an die Beauty-Norm nicht aufhören? Diese MCs stehen da, rappen über sich und sind dabei so natürlich und selbstbewusst, wie man es nur sein kann. In Zeiten von „The Biggest Loser“ werden solche Bilder und Aussagen immer seltener, sie sind Juwelen, die im ansonsten oft intoleranten Pool des modernen Sprechgesangs eine rettende Insel sind. Bleibt zu hoffen, dass in Zeiten der Rapper-Transformationen die Flut aus Selbstverliebtheit und fehlender Akzeptanz gegenüber Menschen abseits des persönlichen Ideals dieses kleine, wertvolle Idyll nicht überschwemmt.