SpongeBozz ist ein Phänomen, das hunderttausende beschäftigt. Seine Anhängerschaft rätselt in dutzenden, amateurhaft produzierten, Enthüllungsvideos, wer hinter der Maskerade steckt. Andere Deutschrap-Hörer, die ja bekanntlich bei eigentlich allem den totalen Durchblick haben, fragen sich, wie dieser Mann es bereits einen Monat vor Release seines Debütalbums, dem „Planktonweed Tape„, schafft 20.000 seiner Limited Fan Boxen verkaufen. Und die Rede ist von 20.000 Exemplaren á 40€ – bedeutet einen Absatz von knapp 58.000 Einheiten nur durch Boxen im Vorverkauf. Zum Vergleich: Haftbefehl konnte in der ersten Verkaufswoche von „Russisch Roulette“ insgesamt, also physisch und digital, nur knapp 23.000 Einheiten verkaufen. Ich lehne mich nach dem Anhören der SpongeBOZZ-Auskopplungen mal weit aus dem Fenster und sage, dass „Russisch Roulette“ um Klassen besser ist. Trotzdem fragen sich an dieser Stelle sicher einige: SpongeBozz? Wer ist das?
Zusammengefasst: SpongeBozz Gunshot ist ein erwachsener Mann, der stets ein Spongebob Schwammkopf-Kostüm zu tragen pflegt. Mit verstellter Cartoon-Stimme rappt er über Planktonweed und die Bikini Bottom Mafia – der ganz normale Tiefsee-Hustle halt. Man kann das natürlich witzig finden, man kann es aber auch infantil und kindisch finden. Seine enorme Bekanntheit begann er 2013 im Juliensblogbattle, einem Videobattleformat ähnlich dem VBT. Als unbesiegter zweifacher JBB-Gewinner brüstet er sich mit dem Titel „God of Battle“ und genießt ein hohes Ansehen bei dem, selbst für Rap-Verhältnisse extrem jungen, Publikum. Der YouTuber Juliensblog, seines Zeichens Veranstalter des Spektakels und dessen oberste Entscheidungs-Instanz, hat nicht nur eine enorme Reichweite (1,2 Mio Abonnenten auf dem Hauptkanal, über 900.000 auf dem JBB-Kanal) sondern ist auch noch einer der Rap-Meinungsmacher der nicht-strafmündigen Hörerschaft. Und wenn der Papa Julien mehrfach sagt, dass SpongeBozz der beste Rapper Deutschlands sei, dann ist das verdammt nochmal so. Nicht nur wegen der hollywoodreifen Videos, gegen die keiner der anderen teilnehmenden Hobbyrapper anstinken kann, nein, das ist auch empirisch bewiesen. Fakt quasi. Und wenn jemand was anderes sagt, wird er mit Reimsilben tot argumentiert.
Trotzdem kann der Reiz an SpongeBozz doch nicht nur darin liegen, dass irgendjemand beschlossen hat, er sei der beste Rapper Deutschlands und der God of Battle und überhaupt die Reimsilben! Wobei der letzte Punkt doch ziemlich schwer wiegt, denn Julien machte sich seinen Namen durch Rapanalysen, in denen er sich vorwiegend auf die Reimtechnik der MCs beschränkte – und das Silben zählen somit salonfähig für den Nachwuchs machte. Bis zu SpongeBozz‚ Erscheinen war Juliens unangefochtener Lieblingsrapper Kollegah. Nun unterscheidet sich der Style des Schwamms auf dem Papier kaum von dem des selbsternannten Bosses. Mehrsilbige Nomenreime, wie-Vergleiche und Doubletime-Passagen prägen das Bild. Und das ohne Frage auf einem ähnlich hohen Level – technisch hat der Mann einiges auf dem Kasten.
Der rappt nicht erst seit 2013, keine Frage. Nein, um genau zu sein steckt, wie bereits in erwähnten Enthüllungsvideos anhand von Kleidungsstücken oder Gestik zu belegen versucht, aller Wahrscheinlichkeit nach Sun Diego unter dem Kostüm. Das ist auch eigentlich kein Geheimnis mehr, seit Kollegah dem Rätselraten im Juice-Interview (Ausgabe 157) ganz freimütig mit den Worten „Ich kenne Spongebozz ja auch. Wir haben mal ein Album zusammen gemacht, „Bossaura“. […] Blöd finde ich nur, dass er nicht langsam mal sagt: ‚Okay, ich bin’s, SunDiego‚“ ein Ende setzte. Da SpongeBozz-Hörer aber in ihrem HipHop-Mikrokosmos aus Videobattles und Reimsilben zu leben scheinen und dementsprechend nicht unbedingt zum Klientel der Juice gehören, hat diese Enthüllung nicht jeder mitbekommen. Ganz abgesehen davon, dass auch nicht unbedingt jeder weiß, wer SunDiego ist.
Rapskills also schön und gut, die will ihm niemand absprechen. Aber sonst? SpongeBozz ist ein absolut durchkalkuliertes Produkt. Gut, das ist in der Musikbranche ja keine Seltenheit – viele Künstler haben ein Image, dem sie gerecht werden müssen. Auch dass deutsche Rapper ihr Gesicht verbergen ist nicht neu – ob aus künstlerischen und ästhetischen Aspekten, wie es bei Genetikk der Fall ist, oder um sich in der Öffentlichkeit nicht zeigen zu müssen, wie es bei Sierra Kidd (bis zu seiner unfreiwilligen Demaskierung) der Fall war.
Hier wurde aber ganz offenbar gezielt ein Kostüm gewählt, das jeder unter 20 erkennt – Spongebob Schwammkopf, der Inbegriff von Kindersendung der zweitausendnuller-Jahre. Spongebob wurde also offensichtlich gewählt, um junge Menschen einzusammeln, die zufällig ja auch den Großteil des Publikums von JuliensBlog ausmachen, das quasi die Startrampe dieses Projekts war. Diese Tatsache plus das musikalische- und visuelle Spektrum, das passgenau Zeitgeist und Geschmack der Zielgruppe trifft, machen aus SpongeBozz das perfekte Produkt, um es von Juliens YouTube-Channel aus direkt in deren Köpfe zu befördern – und somit das Geld der Eltern straight in die Schwammtasche.
Jetzt könnte man sagen: Ist doch okay. Den Kindern gefällt’s, die Eltern zahlen’s. Eine Win-Win-Situation für alles also? Nicht ganz. Denn die Musik verliert bei diesem lieblos an die Zielgruppe angepassten Produkt. Es gibt natürlich noch viel mehr lieblos produzierte Musik, die einzig und allein mit kommerziellen Hintergedanken produziert wird und sich dementsprechend gut verkauft, weil Kinder besonders leicht zu beeinflussen zu sein scheinen. Aber das macht das Phänomen SpongeBOZZ kein Stück besser. Nicht für Rap und nicht für die Künstler, die ihre Musik bei allem Schielen auf den Euro vor allem aus Leidenschaft und zum Spaß machen. Denn mit dem rappenden Schwammboy wird tatsächlich ein neues Level in Sachen kalkulierter Produktgestaltung im Deutschrap erreicht.