Wie nicht anders zu erwarten beschäftigt der Fall Edathy viele deutsche Rapper. In Kommentaren zeigen sie sich verständnislos über den Ausgang des Verfahrens und fordern – so der Grundtenor – härtere Strafen. Von Gefängnis über Folter bis hin zur Todesstrafe ist alles dabei.
Nun gut. Ärger und Wut über vermeintlich zu milde Strafen für Vergewaltiger, Kinderschänder oder Konsumenten von Kinderpornografie gehören im Deutschrap zum guten Ton. Natürlich ist die Fassungslosigkeit, die Empörung und das Unverständnis über derartiges ungeheuerliches Verhalten völlig verständlich. Es ist absolut schrecklich und erregt völlig zu Recht unsere Wut, wenn gerade den Schutzbedürftigsten so etwas angetan wird. Niemand, der bei klarem Verstand ist, hat auch nur einen Funken Verständnis für die Täter oder solche, die diese Taten in irgendeiner Form unterstützen.
Allerdings vergessen diejenigen, die nun wutschnaubend erklären, Edathy sei viel zu glimpflich davongekommen, dass der Mann beruflich wie privat vor nichts als Trümmern steht. Er wird nie wieder normal arbeiten können, er wird nie wieder irgendwo in Deutschland unbehelligt leben können. Sein Leben ist zerstört. Man mag das als höhere Gerechtigkeit empfinden. Wer an so etwas glauben mag, bitteschön. Nur: Es wäre absolut niemand geholfen, wenn man ihn jahrelang in ein Gefängnis stecken – oder ihm gar Gewalt antun würde, wie von vielen gefordert. Die Geldstrafe allerdings hätte ruhig höher ausfallen können. Ein dumpfes Verlangen nach Rache und Vergeltung aber ist auch kein Ausweis einer besonders edlen Gesinnung.
Zumal Edathys Schuld nicht mal bewiesen ist: Die Staatsanwaltschaft hat ihm die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldstrafe plus Geständnis angeboten. Im Grunde hatte er keine andere Wahl, als das anzunehmen, schuldig oder nicht. Es gibt viele Indizien, die gegen ihn sprechen, aber rechtskräftig verurteilt ist er nicht. Leider interessieren solche Details viele kein Stück. In selbstgerechtem Furor brauchen sie keine Beweise. Schuldig bei Verdacht.
Insofern ist es sehr respektabel, wenn etwa Animus daran erinnert, dass Hasstiraden (so verständlich sie sein mögen) und Forderungen nach mittelalterlichen Praktiken keine Lösung sind. Die Petition, die er für unterstützenswert hält, mag man richtig finden oder nicht. Juristisch haltbar ist sie vermutlich nicht. Jedenfalls aber ist sie der Versuch, bei aller Wut, bei allen berechtigen Hassgefühlen besonnen zu bleiben. Ein Mensch zu bleiben – sich nicht von einer schnell um sich greifenden Lynchstimmung anstecken zu lassen.
Noch ein Wort zu Doppelmoral: Wer gerne Amateurpornos schaut, die (zum Teil ebenfalls minderjährigen) Teenagern von ihren Handys gestohlen wurden oder gerne Bordelle besucht, in denen zumindest nicht auszuschließen ist, dass dort Zwangsprostituierte arbeiten, sollte womöglich nicht am lautesten brüllen, wenn das Abendland angeblich von zu viel Nachsicht gegenüber Kinderschändern oder Kinderpornographie bedroht ist. Die Ausbeutung von Schwächeren fängt schon bei so banalen Dingen wie Turnschuhen oder Laptops an. Anstatt sich selbstgerecht für moralisch besser als andere zu halten ist eine selbstkritische Betrachtung sicherlich angebrachter – zumindest, nachdem die erste verständliche Wut ein wenig abgekühlt ist.