Nazar – Camouflage (Review)

Wenn mein Gehirn die Synapsen aktiviert, meinen Arm streckt und die Hände nach einem Französisch-Wörterbuch greifen lässt, in welchem es nach Irreführung, Täuschung und Tarnung sucht, finde ich Camouflage. Schaue ich mir Interviews, Artikel und Diskographie Nazars an, begegne ich, gefühlt wie gelebter Verpflichtung nach Aufrichtigkeit. Was im Seitenspiegel widersprüchlich klingt wie ein Mittelfinger zeigender Streifenpolizist auf einem Pferd, und ob das heißt, dass der Wiener sich nun verändert hat, die Kontroverse sucht oder jegliche oberflächliche Interpretation von Albentiteln dummer Scheiß ist, soll die 16 Tracks breite und mittlerweile sechste Soloplatte „Camouflage“ des Wieners beantworten.

Resümiert man Nazars bisherige Soloausflüge, muss man ihm eine stetige Entwicklung seiner akustischen wie visuellen Maßstäbe zusprechen. Am Stift, Mikrophon und hinter der Kamera hat der Tausendsassa mit Kontrollneurose aus Österreich, mittlerweile ein Level des Gleichgewichts zwischen Wirtschaftlichkeit und Kunst erreicht, dass in seiner kreativen wie adaptierenden Stringenz im deutschsprachigen Raum wenig ebenbürtiges findet. Zugleich komme ich nicht umhin, in genau dieser endlichen Zuspitzung des Künstlers eine Sackgasse zu sehen.

Als erste Videosingle schlug Nazar uns epochal und auf den Punkt mit seinem „Intro“ in die Fresse. Text -wie Bildsprache zeichnen deutlich die Vorstellung vom gejagten, von der Presse und Politikern beschossenen, talentierten und arbeitenden Krieger, der sich gegen persönliche, gesellschaftliche und szeneinterne Widerstände behauptet.

„Macht Platz, wenn der Krieger im Anzug naht, herzlich Willkommen zu Camouflage“ – Nazar in „Intro“

„Guck, ich will mich nicht kindisch mit Gegnern beefen, ich wollt rappen, um zu fliehen vor dem Negativen“ – Nazar in „Rapbeef“

Die Vertonung von Meinungen und Kontroversen, die Besprechung der Zwischentöne unseres Lebens, mit dem Gespür für oder gerade gegen aktuelle Windrichtungen, gegossen in klare Statements oder Konzepte, gehört schon länger zu den Stärken Nazars. Tracks wie „Eines Tages“, „Zwischen Zeit und Raum (feat. Falco)“ und „Trauerweide“ belegen dies. Und hier muss man ihm die Hand schütteln. Die punktgenaue Deutlichkeit und fehlende Zurückhaltung der Sprache, macht speziell einen Track wie „Rapbeef“ in seiner inhaltlichen Durchschlagskraft, seiner Kritik an der raffgierigen Marketingsintention der meisten Konflikte im Rap, zu einer Blaupause der Diskussion.

Für eine Solche ebenso als Feuerzeug geeignet, stellt sich wenig später „Kanax“ heraus. Die Gradwanderung zwischen Hybris und Niedergang vereinbart so viele Wahrheiten versteckt in Klischees und Klischees versteckt in unangenehmen Wahrheiten, dass sich der ein oder andere dabei erwischen wird, wie er in einem Vers stolztrunken die Brust schwillen lässt, um nach der nächsten Line kurz vor der Verwandlung zum Youtube-Hater zu stehen. Großes Tennis und mindestens einer des besten Tracks, die „Camouflage“ zu bieten hat.

Spaltet sich das Lager der thematischen Restbestände nun in die Verdeutlichung der Straßenhistorie, offensiv gezeigter Mentalität und Hinweisen auf den eigenen Stellenwert auf, haben wir dazwischen die Tracks über und nicht, wie zumeist bei Nazar,  für die Frauen.

Hier bricht nur noch der Titeltrack selbst aus. So ist „Camouflage“ ergreifend in seiner Ehrlichkeit und Angriffsfläche bietenden Schwäche, die nur Sekunden braucht um zur wahren Stärke Nazars zu mutieren, um die Erkenntnis der Selbstbestimmung unserer Alltagsmasken und somit unseres Scheiterns aufzuzeigen. Zumindest bis Mark Foster zu singen beginnt.

Das diese Songauswahl von „Freundlicher Diktator“, „Schüsse (feat. Sido)“, „Alles rasiert (feat. Celo & Abdi)“, über „Rosenkrieg“, „Richtig oder Falsch“oder „Borderliner“ sonst nicht weiter zu überraschen weiß, dockt am befürchteten Umstand der finalen Perfektion an.

Ob Nazar schon sein perfektes Album gemacht hat oder ob es so etwas für einen Künstler überhaupt geben kann, weiß ich nicht. Aber der Österreicher ist verdammt nah dran. Wir kriegen einen musikalisch stringenten und stimmigen Klangteppich, Flows, Technik, Reime, Vergleiche und ab und zu sogar eine Portion Humor. Alles da, wo es hingehört. Und genau das, ist das Problem. Keine Überraschungen, keine Leuchttürme der Unvorhersehbarkeit. Keine Fehler, die vielleicht im Nachhinein eine Evolution auslösen. Nazar weiß was er tut. Seine Fans wissen dies auch. Und sie bekommen genau was sie erwarten. Eine Konzentration aller Stärken. Doch langsam wird genau das langweilig.

Nazar „Camouflage“ auf amazon.de