Kurdo ist der Prototyp des aktuellen Straßenrappers. State of the Art, wie man so schön sagt. Dabei hält der irakische Kurde, der im Heidelberger Bezirk Emmertsgrund seine Jugend verbrachte, es durchweg klassisch. Lederjacke? Check. Nike Air oder Frees? Check. Dicker Mittelfinger an sämtliche Autoritäten, vor allem vermeintliche? Doppelcheck. Kurdo steht für kompromisslosen Streetstyle, den er auf seinem Debütalbum „Slum Dog Millionaer“ auch konsequent durchzieht.
Dieses erscheint über Beefhaus. Zwar war Kurdo auch mal bei den Azzlackz gesignt, nach wenigen Monaten jedoch trennte man sich wieder. Beim Hören von „Slum Dog Millionaer“ fällt vor allem ein entscheidender Unterschied zu den Künstlern des Frankfurter Labels ins Auge bzw. Ohr: Kurdo setzt deutlich weniger auf Humor, dafür weit mehr auf Drama, vor allem in seinen Storytellern. Zu denen jedoch später. „Slum Dog Millionaer“ beginnt im vom Sonus punktgenau produzierten „Intro“ programmatisch:
„Halt die Fresse, was für Nachwuchsrapper?
Ich bin immer noch der selbe Typ, Status: Verbrecher
Scheiss drauf Unterricht, ich rappe aus dem Schulfenster
Ärmel hoch, ich such Stress in der Fußgängerzone
Was Hausarrest, was für Schulpädagogen?
Von Vater mit der Gürtelschnalle zu streng erzogen„
Damit ist die Richtlinie klar. Auf allzuviel Selbstironie hat Kurdo keinen Bock. Er setzt diese Linie in Songs wie „Ghetto„, „Unzensiert“ oder „Trainingsraum“ stringent fort. Witze oder doppeldeutige Sprüche sucht man hier vergeblich. Dafür jede Menge Schlag- und Reizworte, die Kurdo zu einem dichten Wortteppich zu verweben weiß, der das erzeugt, was guter Rap stets können muss: Kopfkino. Schließt man die Augen, hat man bald ein klares Bild vor Augen: Einen für sein Alter ziemlich ernsten und abgeklärten jungen Mann, der in einen unbestimmten, aber starken Drang zu rebellieren in der Brust fühlt. In Kurdo brennt ein Feuer. Und es ist genau dieses Feuer, das Kurdo auch für Hörer zugänglich macht, die seine Geschichte von Flucht in ein fremdes Land, Anpassungsschwierigkeiten bis -unwillen und Selbstbehauptung nicht selbst erlebt haben.
Diese Geschichte, Kurdos Lebensgeschichte, bildet den Rahmen auf „Slum Dog Millionaer“ und sie erklärt auch, warum Kurdo zumindest als Rapper durchweg ernst rüberkommt. Mit ein paar lässigen Strichen malt er in „Slumdog“ seine Kindheit in Slimani/Nordirak an die Wand und man sieht die Jungs, die Obst aus Nachbars Garten klauen und die deren Budget nur für einen von ihnen zum Kinobesuch reicht, der den anderen dann erzählen muss, was er gesehen hat, förmlich vor sich – andere brauchen ganze Bücher, um das so gefühlsecht zu beschreiben.
„Ich habs geliebt, schlafen auf dem Dach
Der Sonnenschein am Morgen, die Straße macht uns wach
Bei den Nachbarn essen, zu vertieft in Armut
Scheiß drauf, wir hatten Spaß, Fußball spielen barfuß„
In „Heimweh„, dem emotionalsten Song auf „Slum Dog Millionaer„, beschreibt Kurdo dann den Verlust dieser Kindheit, die Flucht nach Deutschland, das Gefühl, nicht willkommen zu sein, die Angst vor der Abschiebung, die dummen Blicke. Man braucht kein großer Psychologe zu sein, um darauf zu kommen, dass es genau dieser Schmerz in der Brust ist, der die Anti-Alles-Haltung von Kurdo begründet. Unaufgeregt und ohne einen Anflug von Weinerlichkeit oder Verbitterung beschreibt Kurdo seinen Weg, und das ist, in seiner ganzen sehr klassischen Männlichkeit und Einfachheit, sehr gut nachvollziehbar. Die meist melancholisch angehauchten Beats von Sonus, 7Inch, Abaz oder Press Play unterstreichen das.
Auch der Storyteller „Lydia“ über den tragischen Tod eines kleinen Mädchens, das vom eigenen Bruder überfahren wird, fügt sich da gut ins Bild. Einzig der (selbstredend traurige) Liebessong „Vermiss dich“ gerät trotz guter Strophen durch die Hook von Niqo Nuevo etwas kitschig, mit weniger gutem Willen mag man ihn sogar als anbiedernd empfinden. Angesichts der sonstigen Qualitäten von „SDM“ kann man darüber allerdings locker hinwegsehen. Käufer der Premium Edition bekommen als Sahnehäubchen dann noch Features mit KC Rebell, Eko Fresh, Kontra K, Mosh36 und Nazar.
Bei oberflächlicher Betrachtung ist „Slum Dog Millionaer“ einfach nur ein weiteres Straßenrapalbum, aber bei genauem Hinhören ist es viel mehr. Ein starkes Rapalbum nämlich, das eine wahre Geschichte zu erzählen hat. Eine Geschichte, die viele in Deutschland lebende Menschen betrifft und die auch die, die sie nicht erlebt haben, interessieren sollte, nicht aus achso politischen Gründen, sondern einfach, weil sie gut und spannend erzählt ist. Entertainment mit Anspruch und Hintergrund, keine Neuerfindung des Rades, aber ein starkes Stück Rap, dieses Album.
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