Als Samy vor wenigen Monaten angekündigt hat, Herrn Sorge fürs erste in den Ruhestand schicken und sich wieder klassischem Rap zuwenden zu wollen, da waren die Reaktionen unter den Rapfans erleichtert bis euphorisch. Samy versprach mehr Punchlines, mehr Technik und beließ es nicht bei einem neuen Album, nein, eine ganze Trilogie sollte her. „Männlich“ war deren Motto und das gleichnamige Album sollte das Herzstück derselben sein.
Bereits die ersten vorab veröffentlichten Videos aus „Männlich“ weckten vielerorts jedoch große Zweifel, ob es wirklich noch mal zu alter Herrlichkeit reichen würde. Nun liegt das gesamte Album des Hamburgers vor und es steht fest: Die Hoffnungen auf eine fulminante Rückkehr des Hamburger Rapkönigs waren vergeblich. „Männlich“ ist ein durchschnittliches Album mit Licht und Schatten, kein Totalausfall, aber mit überraschenden Defiziten.
Mit dem Intro „Habt ihr mich vermisst“ und dem zweiten Song „Offenes Herz“ geht alles noch recht vielversprechend los. Samy legt seinen nach wie vor sehr sauberen Flow in die Waagschale und packt noch den ein oder anderen lässigen Wortwitz mit drauf.
„HipHop-Fans sind ausgerastet, als sie hörten, dass ich eine Pause mache
Sie wollen mich rappen hören, 24/7-Flow
Ihr vermisst den Rapshit, dann gib mir ’n verdammtes Mikrofon
Ignorant und tierisch stoned, in dieser anderen Dimension
Den Leuten fehlt das Feuer, ihr wollt den Pyromanen wieder holen„
Das lässt sich flott an. Danach aber folgt eine Talfahrt, die man selbst nach dem eher lieblos wirkenden „Perlen vor die Säue„-Mixtape so sicher nicht erwartet hätte. Zweckreime? Ja, leider. Viele. Darüber könnte man vielleicht noch hinwegsehen, wären die Punchlines nicht so derart harmlos ausgefallen. Naheliegendes scheint für Samy plötzlich Trumpf. Lügner wie Pinocchio, jemand? Vor und zurück wie ein Schaukelstuhl? Ehrlich? Vergessen wir bitte nicht, dass Samy einst gerade für seine treffsicheren Punchlines und Vergleiche als Innovator des deutschen Sprechgesangs gefeiert wurde, und das vollkommen zu recht.
Heute hingegen hinterlassen den Hörer Zeilen wie
„Baby, du hast mich so lange warten lassen, das war überhaupt nicht cool
Doch jetzt stehe ich vor dir in meinem Männertanga, das ist überhaupt nicht schwul
Das ist übersexy, hör mal wie ich dieses Lied hier rappy
Heute nacht mach ich dich wieder happy“ („Schaukelstuhl„)
einigermaßen ratlos. „Rappy„?
Samys technisch einwandfreier Flow ist natürlich weiterhin über jeden etwaigen Zweifel erhaben, täuscht aber nicht über die unterdurchschnittlichen Texte hinweg. Bestes Beispiel dafür sind etwa folgende Zeilen aus dem Song „Traum„:
„Ich hörte als Kind, Wünsche sind Träume
Träume sind Schäume
Das war gestern
gestern ist gestern, heute ist heute„
Okay. Man nenne mich zu anspruchsvoll oder notorisch schlecht gelaunt, aber da habe ich von Samy Deluxe, Meister aller Klassen, pures Gift, Schore für die Ohren einfach mehr erwartet. Zumal er einen „Klasse Klassiker“ angekündigt hatte.
„Glaubt ihr, dass ich euch zu viel versprochen hab
Als ich sagte ich mach nen neuen Klassiker?„
Ehrlich gesagt: Ja. „Männlich“ ist kein schlechtes Rapalbum, wie gesagt sauber gerappt, mit interessanten Beats. Und mit „Probleme“ beweist Samy zudem Selbstironie – im deutschen Rapzirkus bekanntlich ein seltenes Gut. Aber ein Klassiker klingt defintiv anders. Und nicht weniger erwartet man eben von einem Samy Deluxe.
Die mitgebrachten Featuregäste auf „Männlich“ ändern an all dem wenig. Afrob überzeugt, ohne jetzt die ganz großen Dinger auszupacken, die er sich womöglich für sein im Mai erscheinendes eigenes Album aufhebt. Die Hook von Flo Mega auf „Penis“ allerdings hinterlässt erneut Fragezeichen über dem Kopf des Hörers.
„Warum sieht das Herz nicht weiter als das Auge?
Kein Schwanz der Welt ist härter als Liebe und Vertrauen“ („Penis„)
Tja. Am Ende bleibt „Männlich“ in vielerlei Hinsicht hinter den zugegebenermaßen sehr hohen Erwartungen zurück. Dafür schleicht sich der Verdacht ein, dass Samy einfach keinen Bock mehr hat, auf aktuelle Entwicklungen und neue Standards im Deutschrap noch zu reagieren, sondern weiter unbeirrt sein Ding durchziehen wird, auch wenn er damit bisweilen ausgesprochen anachronistisch wirkt. Das ist natürlich sein gutes Recht, aber – schade eigentlich.
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