Wirklich einfach hat es der Hamburger Jung aus dem Hause Rattos Locos nicht. Nach seinem gefeierten Debüt „Stress Aufm Kiez“ und dem noch besser gecharteten Mixtape „Auf der Jagd“ sind die Erwartungen an ein neues Nate Album schon ziemlich hoch gesteckt. Und Erwartung heißt im Deutschrapspiel in allererster Linie: Chartplatzierung. So gab es tatsächlich Stimmen, die Nates Chartplatzierung (#11) als Misserfolg abtun wollten. Lächerlich, wenn man bedenkt, dass Chartplatzierungen relative und keine absoluten Zahlen widerspiegeln. „Land in Sicht“ musste sich gegen sehr starke Konkurrenten durchsetzen. Über die absoluten Verkaufszahlen sagt das gar nichts aus. Das nur mal vorweg.
Zum Album selbst: Der rote Faden in „Land in Sicht“ ist das Piratentum. Immer wieder tauschen Textpassagen und Anspielungen auf die Freibeuter des 16. bis 18. Jahrhunderts auf und auch musikalisch haben die Beats gerne die Totenkopfflagge am Mast wehen. Sprich, die Produktionen kommen meist düster und rough daher und geben der Platte einen wunderbar dreckigen und harten Touch. Gleich im Intro legt Nate einen astreinen Part hin, der unterstreicht, womit wir es hier zu tun haben.
„Hamburger Junge aus der Mitte der Stadt/ Die Reise war lang/ der Start war im Hafen/ Segel sind gehisst, Totenköpfe auf der Brust/ wir representieren die Straßen/ Unser Schiff hinterlässt Rauchfahnen/ Geradeaus/ er probt mit Waffen/ geübt mit der Faust/ Doch nur im Notfall führen wir das aus/ Denn meistens kommt was übles ‚bei raus.“ (Aufbruch/Intro)
Doch Piraterie ist nicht das einzige Motiv auf „Land in Sicht“. Mit „Immigranten“ und „Schwarzes Gold“ gibt es zwei explizit politische Tracks. Da wird aus Captain Long John Silver eher ein Störtebecker. Der Kampf gegen die Reichen zum Wohle der Armen. Während bei dem bereits als Video ausgekoppelten Track „Immigranten„, um das Problem der Akzeptanz von, wie sollte es anders sein, Immigranten ind Deutschland geht, thematisiert der Track „Schwarzes Gold“ die Jagd nach den Ölvorkommen in Afrika oder dem Nahen Osten und die damit verbundenen Kriege.
„Echte Mafia sitzt im Parlament, die ham die Karten da/ Und spielen sie aus wie sie wollen/ Soldaten führen was aus was sie nicht wollen/ Sie spielen uns aus wie sie wollen, spüren uns auf wann sie wollen/ Tun so als ob sie noch suchen nach irgendeinem Tyrann, doch wollen nur das schwarze Gold!“ (Schwarzes Gold)
Beide Tracks sind musikalisch und raptechnisch sehr souverän, kranken inhaltlich allerdings an einer gewissen Einseitigkeit. Gerade „Schwarzes Gold“ enthält jede Menge nicht beweisbare (und dementsprechend auch nicht widerlegbare) Verschwörungstheorien. Der Erkenntnisgewinn bleibt dabei eher gering. Auch der Track „Kopf hoch“ bleibt irgendwie hinter Nates Möglichkeiten zurück. Ein Song darüber, dass die lieben Mädels nicht so viel rumficken sollen? Come on.
„Mach nicht nach was deine Freundinnen machen,Ehre ist denen egal/guck wie viele Freunde die hatten/ Pass auf wie du mit dein Körper umgehst/ Du willst doch mal Kinder kriegen und sie nicht umbringen/ Mit deinem scheiß den du nimmst/ ob es Koka oder Alk ist/ vieles ist egal merken es erst/ wenn sie alt sind.“ (Kopf Hoch)
Am besten funktioniert der Hamburger Freibeuter auf den roughen Tracks, die seine tiefe, rauhe Stimme besser zur Geltung bringen. So verleiht Nates Organ Tracks wie „Sturm“ oder dem Highlight „Camouflage“ den nötigen Druck und sorgt für die Höhepunkte auf „Land in Sicht„. Dem Nachfolger zum Klassiker „Blaulicht“ mit dem Titel „Rotlicht“ fehlt dieser Druck leider weitgehend, was aber nicht an Nates Stimmfarbe liegt, sondern an dem zu seichten Beat, der leider zu lasch daher kommt.
Nate kann aber auch ganz anders. Anstatt das korrupte System anzuprangern oder sich durch die harte Realität zu schlagen, gibt es auf „Die alte Zeit“ einen nostalgischen Rückblick auf die Unbeschwertheit der Kindheit und die vermeintlich viel besseren Zeiten, als man sich noch nicht soviele Gedanken machen musste, keine Verantwortung hatte und die größte Sorge darin bestand, von Mama beim Rauchen erwischt zu werden. Auf jeden Fall eine gelungene Hommage an diese Zeit, in der Twix noch Raider hieß, was nicht zuletzt an der Anspielung auf Micromanias Track „Resümee“ liegt, der 1999 auf dem „Wortgewandt Sampler Vol.1 “ erschien.
„Ich vermisse die alte zeit/ Mein Horizont war noch klein/ Kein Stress im Kopf, weder schule noch irgendein Staatsverein/ Es wurde heiß man/ ich liebte diese Tagesstangen oder Kratzeis/ Warn die Fragen nicht, wann muss ich beim Amt sein oder Anwalt/ Mit Supersoakers von Balkon zu Balkon/ Warteten am Fenster auf Leute mit nem Wasserballon/ Kletterten auf Dächer, die anderen haben da heimlich geraucht/ Mit 6 mal eine probiert / doch lieber andere Scheiße gebaut“ (Die alte Zeit)
Wie es sich für echte Piraten so gehört hat Nate natürlich auch eine eigene Crew, die allseits bekannten Rattos Locos, die ebenfalls auf dem Album vertreten ist, so wie die Gastpiraten Abdel, Mr. Landy und Barbara. Gerade die Features aus dem Hause Rattos Locos namens Telly Tellz und vor allem BOZ, der den stärksten Part auf „Tumult“ abliefert, stechen hervor und fügen sich gut ins Gesamtbild ein. Mr. Landy, Barbara und Abdel bereichern das Album hingegen nicht auffallend, liefern aber ebenfalls durchaus solide, soulige Parts ab.
Alles in allem ist „Land in Sicht“ leider nicht der erhoffte nächste große Wurf des Hamburger Schwarzkopfs. Dazu ist die Weiterentwicklung seit dem letzten Album nicht konsequent, die verbindliche Leitlinie nicht erkennbar genug – was womöglich auch mit der längeren unfreiwilligen Auszeit Nates erklärt werden kann. Der Fluch hoher Erwartungen ist ja kein neues Phänomen. Trotzdem ist es ein sehr unterhaltsames, gutproduziertes Werk. Man hatte nur gehofft, dass es vielleicht noch großartiger werden könnte. Aber diese Möglichkeit besteht ja mit dem nächsten Werk des jungen Hamburgers, der ganz offensichtlich noch dabei ist, sich vollständig zu finden. Es gibt langweiligeres als ihn bei dieser Suche zu begleiten.