Ein weiser Mann sagte eins: „Opinions are like assholes, everybody has one.“ Wie recht er doch behalten sollte. Blogs, Presse, jeder x-beliebige Hobbykritiker und dessen Tante…. alle hielten es plötzlich für schick, ja, für ihre quasi gottgegebene Pflicht, die Irrungen und Wirrungen in der geistigen Oberstube des Tyler, the Creator zu sezieren. Folglich wurde schon eine Menge gesagt über den Jungen, dessen Stimme mit Anfang 20 schon die von Whiskey und kubanischen Zigarren gezeichnete akustische Hommage an alte Säufer wie Tom Waits darstellte. Kaum eine Lobeshymne, die noch nicht angestimmt, kaum eine Hasstirade, die noch nicht in seine Richtung entsandt ward. Schlägt man das Lexikon bei „P“ auf, wird man nach kurzer Reise mit dem Zeigefinger unter „polarisierende Rapper“ ein leicht grenzdebil wirkendes Foto des Odd Future-Oberhauptes finden. Möglichweise sabbernd, popelnd, mit Sicherheit aber den erhobenen Mittelfinger im Geiste ausstreckend. Traditionell. Wie man es von ihm kennt. Ein Leopard verliert eben seine Punkte nicht mehr. Oder doch?
Nach „Bastard“ und „Goblin“ erschien nun mit „Wolf“ das mit Spannung erwartete dritte Album des Querkopfes aus Los Angeles, der sich getrost irgendwo im Vakuum zwischen bester Freund und schlimmster Feind einordnen lässt. Und es wird schnell hör und spürbar: Tylers Musik versucht erwachsen zu werden. Während „Bastard“ und „Goblin“ die Probleme mit der Axt im Mund kurz und klein schlagen wollten, versucht „Wolf“ nun, die Probleme zu verarbeiten.
Probleme sind scheinbar eine Art roter Faden im Gonzo-Film des Lebens welches Tyler, the Creator bis dato hinter sich bringen musste respektive durfte. Und das ist gut so, lässt sich aus der übergeordneten Perspektive eines unbeteiligten Rezipienten feststellen, denn: vom Gospel der unterdrückten Sklaven bis hin zu den grotesken Fantasiegebilden eines Eminem waren Probleme schon immer ein fruchtbarer Nährboden für echte lyrische und musikalische Emotionen. Tyler hat eine Menge von beidem. Seine Musik funktioniert als Katalysator. Quasi als letztes Stück Seelenheil eines aufgedrehten Klassenclowns, der stets, sobald er einmal in der schützenden Obhut seiner vier Wände mit sich selbst allein gelassen ist, heulend auf dem Bett zusammenbricht und voller Weltschmerz und Menschenhass in Suizidgedanken zerfließt. Manische Depression auf CD gebrannt.
Es sind die Kontraste zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, welche die Faszination im abstrus wirkenden Charakter des Tyler, the Creator ausmachen. Sich auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn per Flick-Flack fortzubewegen können sich in der Tat nur jene erlauben, welche das Geben jedweder Ficks seit eh und jeh getrost den anderen überlassen haben.
Nein. Tyler gibt in der Tat nach wie vor wenige bis gar keine Ficks. Allerdings, und hier lässt sich der signifikanteste Unterschied zu den beiden Vorgängern ausmachen: er tut dies mittlerweile auf eine spürbar gereifte Art und Weise. Während die Songs früherer Tage durchaus als Drehbuch für hochgradig verstörende Snuff-Filme hätten fungieren können, ist das absurd überzeichnete Schwadronieren über zerschnittene Frauenleichen auf der Rückbank eines rostigen Fords der echten, teils schmerzhaften Reflektion des eigenen Egos gewichen. Halt, nein. DER eigenen Egos. Tyler hat, wen wundert es, deutlich mehr Egos als der Ottonormalsterbliche 08/15er. Neben dem echten Tyler und dessen eine Oktave nach unten gepitchten Gewissen wäre da unter anderem „Wolf„, die etwas entartete Version des Rappers. Dem ganzen übergeordnet steht schlussendlich „Sam„. Sam ist ein Arschloch. Sam spinnt. Sam hat auf den minutiös ausgeführten Vergewaltigungsphantasien auf „Bastard“ und „Goblin“ den Stift geführt. Sam ist genau die Facette Tylers, die er auf „Wolf“ versucht ein wenig zum Abreagieren in die Wuthöhle zu schicken. Das Zähmen der eigenen Dämonen.
Dämone scheint Tyler, the Creator zu Genüge mit sich herumzuschleppen. Personifiziert unter anderem durch seinen in erster Linie durch Abwesenheit glänzenden Vater, der auf „Answer“ seine Portion Nettigkeiten auf dem ungewaschenen Teller mit Sprung serviert bekommt. „Faggot„, „Nigerian Fuck“ und „I´m stoked that I did´nt know ya!„. Es wird mehr als klar ersichtlich: vom männlichen Erzeugerpart wird wenig gehalten. Doch auch hier kokettiert Tyler mit den Gegensätzen die in ihm wüten, denn: „When I call…I hope you pick up the phone„. All der Hass, all die Wut, all der Frust und sämtliche Enttäuschungen, die Tyler sich während der Strophen von der Seele schrei(b)t, kollidieren plötzlich mit einer bittersüßen und letztendlich doch eigenartig wohlwollenden, sehnsüchtig gesungenen Hook. Licht und Schatten liegen wie immer dicht beieinander. Es ist als spürten sie den jeweiligen Atem des anderen.
Licht und Schatten. Kontroverse. Gegensätze. Widersprüche. Im von einigen Weisheiten des Nasir Jones eingeleiteten „48“ erzählt Tyler aus der Perspektive eines Drogendealers, welcher sich für seinen Job entschuldigt. „She could have been a doctor…nigga I’m sorry! Could have been an actor and won that oscar nigga Im sorry! I sold that soap…and I killed black folks I’m sorry! But I got a nice car, put my sister through school and my momma´s all cool, I´m sorry! I´m in to deep…and I can’t see the shore…I´m sorry!„
Weiteres Beispiel für die Widersprüchlichkeit in der Hirnchemie des Creators: Der unter Mithilfe des einzig wahren Pharell Williams entstandene Song „IFHY“ passt ebenfalls perfekt in eben dieses Strickmuster – I fucking HATE you! Ob es ein englisches Äquivalent zum Wort „Hassliebe“ gibt? Falls nicht, „IFHY“ beschreibt dieses Gefühl perfekt. Dieses fast lähmende magenumdrehende Gefühl, welches sich immer dann einstellt, wenn man dieses unbändige Verlangen verspürt die Wange, die man normalerweise küsst einfach mal heftigst zu klatschen.
Es wird aufgeräumt auf „Wolf„. Aufgeräumt nicht nur im urban gebräuchlichen Coolness-Kontext eines total coolen Albums eines coolen Rappers mit coolen Reimen und coolen Beats. Auch, aber nicht vordergründig. Aufgeräumt wird vielmehr im wortwörtlichen Sinne. Aufgeräumt mit den halbstarken Pausenbrotwegnehmern („Pigs„). Aufgeräumt mit dem zweischneidigen Schwert des goldenen Käfigs in welchem sich Tyler dank seines immensen Erfolges befindet („Colossus„). Aufgeräumt mit dem Schmerz über den Verlust seiner geliebten Großmutter, deren Couch zu „Bastard“ Zeiten noch sein quasi Zuhause darstellte („Lone„).
Mit „Wolf“ ist Tyler, the Creator ganz ohne Zweifel ein fantastisches Album gelungen. Ein ehrlicher unaufgeregter Einblick in das vielschichtige Innenleben eines außergewöhnlich talentierten jungen Rappers, der bis auf eine Ausnahme das komplette Album selber produziert hat. Und das auf sehr ansprechende Art und Weise. Schwerfällige Drumbreaks werden umspielt von kluger Instrumentierung. Erdige Herangehensweise im modernen Gewand, unaufgeregt und solide auf den Punkt formuliert. Das Piano ist hierbei Tylers bester Freund. Selbstredend hat es eine umfangreiche Entourage von auf LSD durch den dunklen Wald tanzenden Synthesizern, kreischenden Orgeln die einem Brian Auger die Freudentränen in die Augen treiben würden und sonstigem Soundgeflecht im Schlepptau. Wer sich auf „Goblin“ und erst Recht auf „Bastard“ noch an der leicht angeschranzen und bisweilen etwas verstörenden Soundästhetik der Produktionen gestoßen hat, wird „Wolf“ als deutlich Ohrenfreundlicher wahrnehmen. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier die akustische Reinkarnation des Wu-Tang Clan gefeiert wird. So würde RZA wohl heutztage seine Beats schustern, wäre er nicht zu beschäftigt, mit dem Gatten Elton Johns auf dessen Privat-Court den Tennisschläger zu schwingen…
„Wolf“ hasst man, oder man liebt es. Es ist die Lakritze der Rap-Alben jüngster Vergangenheit und der Beweis für die These, dass aller guten Dinge drei sind. Manchmal ist das dritte Ding das beste Ding.