Das ist es also. Das erste Album von Skandalrapper Chief Keef. Dem charismatischen 17-jährigen Chicagoer mit den Rastas, dem extended Clip an der 9 Millimeter und der zugedröhntesten Delivery seit Lil Wayne nicht mehr auf harten Drogen ist. Wobei es bei Chief Keef höchst unklar ist, ob es jetzt am Weed, eventuell härteren Drogen (in Chicago ist Heroin die Droge Nummer eins und Chief Keef wegen Handel mit selbigem vorbestraft) oder doch an Chiefs Leiden am Asberger Syndrom liegt, dass er in Interviews, Videos und immer so wirkt, als ob sein Geist gerade quer durchs All rase.
Keef, mit bürgerlichem Namen Keith Cozart, brachte im letzten Jahr die Moralapostel und Normalverbraucher seines Heimatlandes auf die Barrikaden. Bewährungsstrafe wegen der Bedrohung eines Polizisten mit einer Pistole, die Verhöhnung eines getöteten Chicagoer Rappers auf Twitter inklusive eventueller Verwicklung in dessen Mord, Drohungen gegen Lupe Fiasco. Und all das mit gerade mal 17 Jahren. Ein gefundenes Fressen für so manche Medien.
Nach der großen Aufregung musste sich Amerika eingestehen, dass gewalttätige, gangbangende und drogendealende Jugendliche wie Chief Keef schlicht und einfach die Spitze des Eisbergs einer immer mehr voranschreitenden Verrohung in den Armenvierteln von Amerikas Städten sind. So ergibt es wenig Sinn, einem Chief Keef oder anderen Mitstreitern der Chicagoer Drill Rap Bewegung wie King L oder Fredo Santana vorzuwerfen, unreflektierte, dumme Gewaltfanatiker zu sein. Das mag zwar eventuell zutreffen, aber was sollten sie auch anderes sein, aufgewachsen in einer Stadt mit über 500 Morden im Jahr? Die Zeiten, in denen Gangsta-Rap von der Mittelschicht entstammenden Mcs wie Ice Cube oder 2Pac gemacht wurde, sind eben vorbei.
Musikalisch machte Keef anfangs nur lokal mit einigen Mixtapes auf sich aufmerksam, bis ihn plötzlich ein Song raketenartig aus dem Hobbyrapperniemandsland schoss. Sein Überhit „I Don´t Like“ (feat. Lil Reese) beherrschte in den folgenden Monaten in Endlosschleife die amerikanischen Radiostationen und Clubs und brachte Chief und seine Heimatstadt schlagartig auf die Karte. Zu den charismatischen Klängen von Beatmaker Young Chop berichteten Keef und Reese auf monoton-ignorante Weise von den Dingen, die sie nicht leiden können. Namentlich „Bitch niggas“ und „Snitch niggas„. Durch den Überhype, den dieser Song erzeugte, begann ein wahrer Bieterkrieg um Keef, den schließlich Interscope für sich entschied.
Da an den Hype von „I Don´t Like“ kein kommender Keef-Track anschließen konnte entschloss man sich, das angekündigte Mixtape „Finally Rich“ kurzerhand zum Debütalbum aufzublasen, um so auf jeden Fall noch schnell mitzunehmen, was geht.
Was Chief Keef ausmacht, ist auf „Finally Rich“ trotzdem treffend zusammengefasst worden. Nämlich abgespacter, monoton-hypnotischer und wirklich zu keinem Zeitpunkt sonderlich reflektierter, aber auf jeden Fall spannend-authentischer Gangbangershit. Wenn Chief Keef sich durch die treibenden, durchaus auch mal experimentierfreudigen Instrumentals nölt und dabei der Beat, die Strophen und die Hook zu einem seltsamen, aber höchst interessant wabernden Brei verschmelzen, entsteht eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann.
Den üblichen Adlib Wahnsinn gibt’s selbstverständlich oben drauf. Was das Ganze letztlich so zwingend macht, ist schwer in Worte zu fassen. Rein formal gesehen ist Chief Keef kein sonderlich guter Rapper und inhaltlich wiederholen sich die nie enden wollenden Schlagworte rund um das kaltblütige Gangbanger-Dasein, die Drogen und den neugewonnen Reichtum spätestens bei der zweiten Strophe des einleitenden Songs. Doch irgendwie sind die Beats, Chiefs Reduzierung der Inhalte auf Schlagworte und die eingängigen Hooks so weit draußen, dass sie spannender sind als das meiste was einem sonst so in den letzten Monaten in die Playlist geschwappt ist. Die Kaltschnäuzigkeit mit der hier auf die Normen des Rapgames geschissen wird hat man in dieser Konsequenz in letzter Zeit nur bei Futures Pluto erlebt. Inhaltlich gibt es genaugenommen keinerlei Ausbrecher auf „Finally Rich„. Storyteller, deepe Lebensaufarbeitung, ein Track für die Ladys, R&B Features? Alles Fehlanzeige. Was man stattdessen bekommt: Einen völlig zugedröhnten Chief Keef (gerne auch mal auf Auto-Tune) im Zusammenspiel mit seinem Hausproduzenten Young Chop, die ihr komplett eigenes Ding machen und konsequent dabei bleiben. Ob sie es nicht anders können oder wollen sei dahingestellt. Vermutlich beides.
Über die gesamte Spielzeit bleibt „Finally Rich“ inhaltlich fest mit den Straßen Chicagos verwurzelt, wobei sich manche Tracks geerdeter geben („Halleluja“, „3Hunna“), während andere von welcher Substanz auch immer getrieben schon extrem weit draußen statt finden (Kay Kay, Citko). Lyrisch ist das Geschehen meist sehr kalt, menschenverachtend und oberflächlich. Aber das ist eben die Mentalität, die in Keefs Heimatstadt vorherrscht. Der Widerspruch zwischen den harten Lyrics und den eingängigen Melodien macht das Ganze nur noch spannender.
Für Chiefs Majordebüt wurden dann doch noch ein paar prominente Gäste eingeladen. 50 Cent und Wiz Khalifa geben Schützenhilfe auf dem großartigen und passend betitelten „Hate Bein Sober„. Young Jeezy schaut für einen gelungenen Part auf „Understand Me“ vorbei, von der Kollabo mit French Montana war mehr zu erwarten und Rick Ross hat hier einfach nichts verloren. Die iTunes-Version hält auch noch ein Master P Feature bereit. Percy Miller ist zwar nach all den Jahren nicht gerade zum Lyricist gereift, es freut aber trotzdem, mal wieder was von ihm zu hören.
Was bleibt sonst noch zu sagen? Höchstens, dass Chief Keef gerade wegen Verletzung seiner Bewährungsauflagen zu zwei Monaten Jugendarrest verurteilt wurde, das Interscope ihn eventuell droppen will, weil sein Album mit bisher 110.000 verkauften Einheiten nicht den Erwartungen entspricht und das Young Chops nervige Producer Voicetags auf einem Majoralbum doch wirklich nichts mehr verloren haben. Auf jeden Fall ist „Finally Rich“ ein Album, das man entweder lieben oder hassen wird. Mich persönlich hat es mit Haut und Haaren in seinen Bann gezogen. Nach guten sechs Wochen „Finally Rich“ auf Dauerrotation bleibt festzustellen, dass Chiefs Debüt durch die Aufblähung vom Mixtape zum Album nur gewonnen hat. So konnte nämlich kein allwissender A&R in das Album reinpfuschen und es verwässern. Pur, roh und echt.