Der Wahl-Düsseldorfer Djin sollte seit dem VBT 2010 kein unbeschriebenes Blatt mehr sein. Hat er sich doch in besagtem Videobattleturnier vor drei Jahren im Finale erfolgreich gegen Geot durchgesetzt und somit den Sieg für sich verbucht. Zwei Jahre vor seinem Sieg hat der melancholische Mittzwanziger sein letztes Album „Viel um die Ohren“ rausgebracht. Höchste Zeit also für neues Material vom Eypro-Mitgbegründer. Und genau das ist nun erschienen und hört auf den Titel „Chaostheorie„.
Kurze Einführung: Die Chaostheorie besagt, dass die kleinste Änderungen im Anfangsstadium einen völlig veränderten Endzustand generieren kann. Ob das Album von Djin auch die nötigen Qualitäten hat, um die Rapszene aufzumischen, klärt der Rezensent im vorliegendem Text.
Djin beweist auf seinem zweiten Soloalbum jedenfalls, dass er des Rappens mehr als mächtig ist und den VBT-Stempel schon lange abgelegt hat. Anstatt durch Battlephrasen und Disses überzeugt „Chaostheorie“ besonders durch seine melancholischen, meist wütenden und nachdenklichen Tracks, die durch die qualitativ hochwertigen Beats von unter anderem Peet, Neodisco, Cop Dickie oder Dead Rabbit musikalisch ausgezeichnet untermalt sind. Schon das „Intro“ macht klar, in welche Richtung das neue Album von Djin geht: Düster, bitter, depressiv und vor allem tiefgründig. Patrick aka Djin stellt sich erstmal vor, ganz klassisch mit der Beschreibung seiner Vorlieben, seiner Stärken, aber auch seiner Schwächen. Schöner Auftakt, der gut auf die nächsten 55 Minuten Musik einstimmt.
In „Hals über Kopf“ wird das Konzept der Selbstreflektion auch konsequent weitergeführt. Jedoch fällt hier schnell auf, dass Djin technisch auf einem sehr hohen Niveau rappt, der Inhalt an manchen Stellen jedoch schwer nachzuvollziehen ist. „Chaostheorie“ ist kein leicht zugängliches Album, das man so nebenbei hören kann. Mehrmals musste der Rezensent bei „Hals über Kopf“ sorgfältig hinhören (wie es ja ohnehin seine Aufgabe ist), um den genauen Sinn der verschiendenen Aussagen zu entschlüsseln. „Man muss nicht handeln aus Prinzip, denn wenn die erste Wahl schon schwer fällt, fällt sie lange noch nicht tief. Ich sieb mir die Scheiße nicht raus, weil sie oft dicker als Gold ist und betrunken ist nichts leichter gesagt als fick auf den Stolz“ Alles klar?
Wer sich jedoch Zeit nimmt, die Platte in Ruhe durchhört und nicht grad mit Staubsaugen, Fluchtwagen fahren oder dem lösen linearer Gleichungen beschäftigt ist, der wird viele dieser Stellen entdecken, die auf den ersten Blick nicht sofort verständlich sind, aber viel Spielraum für Spekulation oder Eigeninterpretation bietet. Neben Djins guter Technik ist der zweite große Pluspunkt das Storytelling, welches vor allem bei den Tracks „Das große Fressen“ und „Nachbarn“ deutlich wird. Grade letzterer ist ein absolutes Highlight auf dem Album. Inhaltlich geht es um den Jungen, welcher verängstigt vor der eigenen Wohnungstür steht und sich nicht raus traut, da vor der Tür das Böse wartet. Eine Metapher, natürlich.
„Ihre Aura macht mich krank/ sie sind wie Monster oder Zombies, ich komm nicht gegen sie an/ Und schon wieder geht das Licht im Flur/ ich schau durch den Spion, doch jedes mal wenn ich das mache ist schon keiner mehr zu sehen/ Doch sie kriegen mich nicht, nein/ Ich lass keinen von ihnen rein/ Ganz egal wie laut sie schrei’n: Halt die Fresse du Wichser!„
Der düstere Beat von Peet sorgt für die passende Atmosphäre. Licht aus, Kerzen und Kopfkino an. Ein wenig ruhiger geht es auf dem bereits vorab veröffentlichten Tracks „Täglich grüßt das Faultier“ und „Erna“ zu, letzteres wartet auf der Albumversion mit einem Beat von Green Berliner Dead Rabbit auf.
Djin ist nicht komplett alleine auf seinem Album. Auf dem Track „Geld„, ist kein Geringerer als Weiße Scheiße-Oberhaupt JAW vertreten. Durch den eingängigen und abgedrehten Beat, der ebenfalls von Peet stammt und die altbekannte Thematik der Charakterveränderung durch Geld könnte das Stück genauso gut auch auf einem „Freakshow“ vertreten sein. Auch Eypro-Kollege Sorgenkind und der Sänger David Beule liefern saubere Gastparts ab. Ersterer sollte durch diverse Features, VBT-Battles oder sein eigenes Soloalbum schon dem ein oder anderen Raphörer bekannt sein, David Beule hingegen weniger. Das könnte sich nach dem Album jedoch deutlich ändern, liefert er auf dem Track „Zeit“ doch das experimentellste Feature ab. Hier trifft der plätschernde Beat von Cop Dicke auf eine überzerrte Dubstephook, gepaart mit einem Gesangspart oder viel mehr Geschreipart von eben diesem David Beule. Schlecht? Nein. Außergewöhnlich und gewöhnungsbedürftig? Auf jeden Fall. Das tut dem Album ganz gut und sorgt für Abwechslung. Auch der nächste Track „Kaltes Wasser“ unterscheidet sich dank des elektrolastigen Beats, von den Grazer Jungs von Neodisco, stark von seinen Vorgängern, auch wenn der Text hier wieder gewohnt bedrückend daher kommt.
Abschließend kann man sagen, dass Djin es geschafft hat, ein durchweg überzeugendes Album mit hochwertigen Beats abzuliefern, bei dem sich die melancholischen bis leidvollen Texte wie ein roter Faden durch die gesamte Platte ziehen, ohne Langeweile oder Monotonie zu erzeugen. Weiterhin überzeugen die Featuregäste durch ihre Verschiedenheit und qualitativ erlesenen Parts, die sich nahtlos in das Album einfügen. Einzig die etwas zu verstrickten Textstellen auf „Hals über Kopf“ oder „Ruderboot 2012“ sorgen für einen Punktabzug. Der Rezensent ist guter Dinge, dass vom chaotischen Kopf aus Düsseldorf in Zukunft noch einiges zu erwarten ist.