Überraschend, dass es bislang offenbar noch niemand aufgefallen ist, aber: (The) Game ist der amerikanische Eko Fresh. Wirklich. Kein Witz. Okay, ein paar offensichtliche Unterschiede muss man natürlich ausblenden, aber das ist bei jeder Theorie so. Konzentrieren wir uns lieber auf die ebenso offensichtlichen Gemeinsamkeiten: Beide wurden seinerzeit vom aktuell heißesten Rapper entdeckt und großgemacht (50 Cent bzw. Kool Savas). Beide wurden von ihrem Mentor fallen gelassen. Bei beiden folgte anschließend eine ausgiebige Schlammschlacht. Und beide schienen sich lange Zeit einfach nicht von diesem Trauma erholen zu können und lieferten, trotz unbestreitbarer Skills, jede Menge Schrott ab.
Und beide, und damit schlagen wir den Bogen zum vorliegenden Werk „Jesus Piece„, beide haben es wider vieler Erwartungen schließlich doch geschafft, die Kurve wieder zu kriegen. Eko bereits mit seinem vorletzten Album „Ekrem„, noch mehr aber mit dem Doppelalbum „Ek to the Roots„. Und Game mit ebenjenem „Jesus Piece„, das nach seinem Debüt „The Documentary“ eindeutig sein schlüssigstes, kohärentestes und bestes Album geworden ist.
Das spürt man schon im treffend auf den Punkt gebrachten Opener „Scared Now„. Ein Gänsehaut-Beat, dramatisch, wie es sich für einen Auftakt gehört, dabei simpel genug, niemand zu verwirren. Bleibt Game in der ersten Strophe noch eher vage bedrohlich, wird er in Strophe 2 schmerzhaft konkret.
„All that’s coming out the mouth of the nigga you used to know as being 50’s dog
But I got tired of being 50’s dog
Had to break my chain and cut that nigga 50 off„
Game wäre allerdings nicht Game, wenn er nicht direkt auf diese Schüsse in Richtung seines Ex-Mentors sein Versöhnungsangebot erneuern würde und dem Ex-Boss gar ein Kollabo-Album vorschlagen würde. „Drop this joint album and we’ll kill niggas“ – gefolgt von einem „G-Unit!„-Schlachtruf.
Ja, Game ist immer noch verwirrt und unsicher. Und ja, er lebt das immer noch offen aus. Das genau ist ja auch seine Stärke: So vermeintlich ungeschönt wie genüsslich inszeniert er sich als äußerlich harter, innerlich gebrochener Kerl, der auch nach tausend Rückschlägen noch wieder aufsteht und sein Ding weiter durchzieht. In diesem Punkt – da muss die Eko-Theorie noch mal überdacht werden – wird Game zum amerikanischen Fler: Ihr könnt mich tausendmal niederschlagen, ich steh wieder auf und bin trotzdem erfolgreicher als ihr alle zusammen.
Zerrissenheit nicht nur als Stärke, sondern gleich als Konzept. Auch die Songs auf „Jesus Piece“ sind widersprüchlich. Nach dem erwähten Opener folgt mit „Ali Bomaye“ gleich ein weiterer Track, der auf Krawall gebürstet ist und mit Feinden und falschen Freunden aufräumt. Nicht nur wegen der starken Rick Ross-Hook ein definitives Highlight des Albums.
Die Artellerie ist also voll funktionsfähig. Mit „See no evil“ featuring Kendrick Lamar und „Name me King“ featuring den ein weiteres Mal unglaublichen Pusha-T hat Game auch auf der lyrischen Seite Argumente für sich. Ein wenig klingt er hier fast schon wie Nas, und das nicht nur, weil beide eine ähnlich heisere Stimmlage pflegen.
„Blue flame glowing like a Avatar
Five more minutes says the silent gold hand going ‚round on my Audemar
Angels in the wing, ass naked do your thing
Show me what that baking soda bring, do it for your king„
Was nebenbei über die gesamte Spielzeit positiv auffällt: Endlich, endlich, endlich! Endlich schafft Game es, sich nicht seinen Features bis zur eigenen Unkenntlichkeit anzupassen. Das gilt auch für den Titeltrack, auf dem sich Yeezy angenehm zurückhält – zumindest für seine Verhältnisse. Überhaupt ist die Gästeliste wieder einmal lang und prominent besetzt (neben den bereits genannten sind noch u.a. 2Chainz, Common, Kendrick Lamar, Chris Brown, Lil Wayne und Big Sean). Doch Game bleibt sich immer treu. In der Vergangenheit war das ja leider nicht immer so.
Besagte Zerrissenheit äußert sich also nicht in albernen Experimenten oder Ausflügen in andere Genres. „Jesus Piece“ ist immer Gangsta-Rap, geläuert zwar, aber immer straight G. Daran ändern auch die souligeren Songs wie „All that (Lady)„, „Freedom“ oder der obligatorische Abschiedssong „Celebration“ nichts, die manche, inklusive mir, verzichtbar finden mögen, die der Kohärenz des Albums aber keinen Abbruch tun – im Gegenteil.
Halten wir also fest: Game kann es noch. Auch ohne jeglichen Dre-Beats bzw. billiger Nachbauten derselben. Mit „Jesus Piece“ versöhnt er endlich all jene, die nach „Documentary“ mit wachsendem Entsetzen verfolgt hatten, was der Junge aus Compton da alles trieb bzw. versuchte. Mit diesem Album sei ihm dies alles verziehen – seien wir mal so großzügig wie der titelgebende Jesus. War ja schließlich gerade Weihnachten.