Die Jiggy-Days sind Geschichte. Die Akte Flipmode-Squad hat Roc Marciano im hintersten Eck seines Speichers zum fröhlichen Vollstauben eingemottet.
Während der Rest der Busta-Sidekicks im Jahre 2012 entweder kaum mehr relevant, zum Blunt-Roller degradiert oder gar komplett in den Geschichtsbüchern verschwunden ist, hat es Roc Marciano geschafft seine Nische zu finden.
Das ältere Semester wird sich dunkelst erinnern. Es gab Zeiten, da herrschte in der HipHop Kultur noch eine gewisse Einfach-mal-machen-Mentalität. Da sich das Leben allerdings im Hier und Jetzt, und mitnichten in vagen romantischen Wunschvorstellung einer besseren Vergangenheit abspielt, bleibt aktuell nur die bittere Erkenntnis: der Zahn der Zeit hat ganze Arbeit geleistet und heftigst den Krylon-Lack-überzogenen Glanz der Goldenen Ära angenagt. Ein Erdrutsch aus Singletauglichkeit, Lex Luger verschnitten, Drake-Features und Komerziell orientiertem Pragmatismus scheint die zarte Pflanze künstlerischer Integrität mit einem unbarmherzigen Donnergrollen einfach so plattgewalzt zu haben.
Wenn man allerdings abgesehen von rudimentärstem Latein beim lesen alter Asterix-Comics eins gelernt hat, dann folgendes: es gibt sie immer! Die letzte Bastion. Den Fels in der Brandung. Das gallische Dorf, welches sich nicht kampflos dem Diktat der Masse zu unterwerfen bereit ist.
„Was labert der von Asterix?!?!“ Gemach! Das Bild macht schon Sinn. Auf den Kontext Rap-Musik umgemünzt: Roc Marciano ist eben dieses gallische Dorf. Das ist schon seit seinem 2010 veröffentlichten Debüt „Marcberg“ klar sicht- und hörbar. Sein neustes am 16. November über Decon Records erscheinendes Album „Reloaded“ meisselt diese These allerdings nochmal mit richtig schön viel Nachdruck selbst in den härtesten Stein.
Catchy Hooklines? Künstlich aufgeblasenes Image ohne Substanz? Verwässerte Kompromiss-Musik? Produktionen aus der Bonbonfarben glitzernden Konfettikanone kombiniert mit am Reissbrett entworfenen Features? Nach all diesen heutzutage allgegenwärtigen Attributen sucht der geneigte Hörer auf „Reloaded“ glücklicherweise vollkommen vergeblich. Die Chance auf dem Gipfel des Mount Everest einen wohltemperierten Whirlpool vorzufinden wäre deutlich höher. Die bis auf wenige Ausnahmen (Alchemist, Q-Tip, Ray West und Arch Druids teilen sich sechs der 15 Tracks) vom Meister selbst geschusterten Instrumentale sind zu 100% erdig, ehrlich und schnörkellos gehalten.
Manchmal kann man sich des Eindruckes, das einige der Beats lediglich aus nahezu unberührten Rock, Soul und Funk-Loops bestehen, kaum erwähren. Der ein oder andere würde eben diese aufs Allerwesentliche reduzierte Gradlinigkeit womöglich als nachteilig anrechnen, da sich eine ausgeprägte Detailverliebtheit dem Löwenanteil der Beats auch wahrhaftig nicht nachsagen lässt. Genau dieser Umstand allerdings richtet den Fokus um so mehr auf Marcianos lyrische Brillianz. Der Mann gehört momentan einfach ohne den Schatten eines jeglichen Zweifels in die allerhöchste Liga der Rap-Rapper. Weil er nur über Rap rapped? Absolut nicht! Genau das macht die Faszination aus. Eigentlich gibt es auf der Kompletten LP keinen einzigen sogenannten Konzeptsong. „Reloaded“ ist konsequenterweise wahrhaftig nicht als Konzeptalbum zu bezeichnen. Ihr wisst schon. Diese Baukastenmässig hinkonstruierten typischen Alben, bestehend aus einer fast dogmatischen roboterhaften Aneinanderreihung von Kiffertrack, Ladystrack, Hoodtrack, Clubtrack, irgendwas gesellschaftskritischem und ein paar Representer/Battletracks zum Abrunden. Die komplette Spielzeit dieser LP setzt sich streng genommen ausschliesslich aus Songs zusammen, welche ALL diese Themen scheinbar mühelos und komplett natürlich miteinander verkoppeln.
Das Rezept für den typischen Marciano Song könnte wie folgt aussehen: Ein grosses Stück Hood-Romantik, zwei Schuss feinster Schampus, ein Fingerhut nepalesisches Haschisch-Öl und eine halbe Packung frischer Synapsen in den Blender geben und tüchtig durchpürieren. Das ganze dann abgeschmecktt mit einer Prise Cleverness und zwei dicken Eiern garniert im Totenschädel eines x-beliebigen Wackrappers servieren. Voila! Unterm Strich: Sämtlicher roter Faden wurde kurzerhand gezogen und zu einer Sturmmaske verwoben, mit selbiger bekleidet klopft Roc Marciano nun ans Oberstübchen seiner Hörer und fordert mit vorgehaltenem Mic sämtliche Aufmerksamkeit ein.
Das mag unter Umständen herausfordern, klar. „Das muss so!“, wird sich Roc allerdings gedacht haben. Denn augenscheinlich ist es nicht seine vordergründige Priorität auf jedem Song der Weisheit letzter Schluss in für jeden Nachvollziehbarer Reinform zu präsentieren. Vielmehr versucht er mit seinen Texten durch eine kugelsichere Symbiose mit spartanisch gehaltener Soundunterlage eine Grundstimmung zu erzeugen, welche den Hörer in eine spezielle Gefühlslage hineinversetzen soll. Das diese weit abseits des „Say hooooo! Party on the left, party on the right!“ Mindstates stattfindet, sollte nicht weiter verwundern. Vielmehr ist dieses Album der Soundtrack zu einem von Bluntschwaden vernebelten grauen Sonntag auf der heimischen Couch.