Allein das Wort Compton weckt sofort eine Vielzahl von Assoziationen: Gefahr. Blutige Bandenkriege. Drogendealer. Aber auch Wiege des Gangsta-Rap. N.W.A…. Die unweit von Los Angeles gelegene Kleinstadt Compton ist nachweislich eine der gefährlichsten Städte der USA. Faktoren wie bittere Armut, Frust und Perspektivlosigkeit führen letztlich zur Entladung über Gewalthandlungen und Kaltblütigkeit – oder wütenden Rapsongs. Folglich unschwer vorzustellen: in Compton aufzuwachsen bedeutet eine ziemliche Herausforderung.
Der 25-jährige Kendrick Lamar ist ein Sohn dieser harten, oft medial mystifizierten Stadt. 1987 dort geboren, erfährt er von klein auf Compton-milieuspezifische Sozialisation, macht prägende Erfahrungen und kommt bereits im Kindesalter mit HipHop in Berührung. Dank seiner Anwesenheit bei Dr. Dres und Tupacs Videodreh zu „California Love“ entfachte sich dereinst beim gerade mal achtährigen K.Dot eine große Leidenschaft zur HipHop-Kultur. Im Jugendalter verschrieb er sich mit Bestimmtheit dem Reimen. 17 Jahre später veröffentlicht King Kendrick sein mittlerweile heiß ersehntes Major Debüt – märchenhafterweise als Co-Signing von Dr. Dre persönlich.
Mit dem duzend Anspielstationen der regulären Album-Edition zeichnet Kendrick ein beeindruckend präzises Bild einer Comptoner Kindheit und Jugend im persönlichen inneren Widerstreit zwischen Vernunft und dem schnellen Abrutschen auf die schiefe Bahn. „good Kid, M.A.A.D City„, so der bedeutungsschwangere Albumtitel – könnte quasi auch heißen: Reflexionen aus dem beschädigten Leben des Kendrick Lamar. K.Dot kredenzt scheibchenweise die Geschichte der wilden Jugendzeit des guten Kindes – hinter dem Akronym M.A.A.D. verbergen sich laut Künstler „my angry adolescence divided“ bzw. „my angels on angel dust„.
Der Van der Mutter – ein Foto des dunklen Vehicles ziert das Cover der Deluxe Edition – nimmt eine Schlüsselposition auf dem Langspieler ein. Ermahnende, an Vernunft appelierende Anrufbeantworter-Nachrichten der besorgten Eltern tauchen immer wieder auf und erzeugen ein kohärentes Bild von Kendricks Storytelling. Genauso zerissen wie er selbst innerlich erscheinen die Skits unchronologisch an verschiedenen Stellen des Albums. Inhaltliche Querverweise der einzelnen Tracks untereinander ziehen sich durch das gesamte Album. Die Nachvollziehbarkeit dieser Erzählschnipsel, Trümmer und Gesprächsauszüge ergibt sich somit erst in der Gesamtheit und mit Bezug auf den lyrischen Content. Ein facettenreiches Konzept, das die Platte zum genial arrangierten Kunstwerk veredelt.
„Good Kid, M.A.A.D City“ – tiefgründiges autobiografisches Storytelling, über drei Ecken gedachte Lines, beeindruckende lyrische Raffinesse. Kendrick Lamar rappt sich in brilliant virtuoser, teils schier atemlosen Technik durch Schlüsselerlebnisse seiner Vergangenheit und den Alltag in der sozialen Wirklichkeit Comptons. Feature-Schützenhilfe bekommt K.Dot dabei von Black Hippy-Kollege Jay Rock, Drake, dem Comptoner Rap-Urgestein MC Eiht und Dr. Dre. Für den Beat-Überbau zeichnen sich renomierte Producer, wie beispielsweise Hit-Boy („Backseat Freestyle„), Just Blaze („Compton“ feat. Dr. Dre), Pharell Williams („good kid„) oder T-Minus („Swimming Pools (Drank)“) verantwortlich.
Innige Verbundenheit und Liebe zur Familie, die bereits beim Betrachten des Albumcovers (ein Polariodfoto des Kleinkindes Kendrick inmitten seiner Verwandschaft) zum Ausdruck gebracht wird, religöse Gedanken und ein bisschen vernünftige Selbstreflexion halten den 17-jährigen „with nothing but pussy […] on [his] mental„, der vor allem inmitten seiner Jungs gern mal in die Rolle des Sinners verfällt („The Art of Peer Pressure“), letztlich auf der geraden Bahn. Kendricks Consciousness und die unermüdliche Betonung sich letztlich doch vom kriminellen Comptoner Gang Banger / Hustler Milieus abgrenzen zu wollen markiert einen wesentlichen Unterschied zum Westcoast Gangsta-Rap. „good Kid, M.A.A.D City“ liefert gleichzeitig Denkanregungen und Handlungermunterung für die Kids in Compton es Kendricks „good kid„-Bemühungen gleich zu tun. Kendrick Lamar ist somit gleichzeitig Vorreiter einer neuen Westcoast Spielart sowie Vorbild für die junge Generation Comptons.
„Now everybody serenade the new faith of Kendrick Lamar / This is King Kendrick Lamar“ fordert der Mittzwanziger selbtsbewusst in der gleichnamigen Compton-Hymne und versetzt sich kühnerweise gleich mal selbst den adelnden Ritterschlag – mit seinem Major-Debüt ist es ihm aber eben auch in der Tat gelungen, ein sehr rundes Album zu liefern, das wirklich keine Wünsche offen lässt.