Leicht schaffbares. Da gibt es einiges. Ein rohes Ei zerkloppen zum Beispiel. Oder dem Rotzbengel von gegenüber in einem unbeobachteten Moment den Lutscher aus der Hand reißen. Oder mit geschlossenen Augen die Nasenspitze berühren. Jedoch ein öffentliches Co-Sign vom Jiggaman höchstpersönlich abzustauben? Auf der Machbarkeits-Skala nüchtern betrachtet ohne Zweifel irgendwo zwischen Zahnpasta in die Tube zurück quetschen, und den eigenen Ellenbogen ablecken angesiedelt. Beeindruckt einen Lupe Fiasco allerdings anscheinend nicht großartig.
Vor seinem 2006 erschienenen Debüt „Food & Liquor“ wollte Jay-Z, der Meister selbst, den damals 24jährigen Lupe unter Vertrag nehmen. Während von 100 Rappern geschätzte 99 beim bloßen Gedanken an einen solchen Ritterschlag wohl zuerst in einem panischen Anflug unkontrolliertem Herzrasens die eigene Unterbuchse besudelt hätten, um daraufhin im Gesicht bleich wie eine Wasserleiche wortlos hintenüberzukippen, lehnte der werte Herr Fiasco ganz selbstbewusst ab. Sich ganz dem frisch mit Freunden gegründeten Label F&F zu widmen genoss seine oberste Priorität.
Da es sich allerdings nicht schickt zu einem Mogul aus der Liga eines Jiggas, in der er streng genommen mehr oder minder einsam seine Runden um den Sportplatz dreht, so ohne weiteres nein zu sagen, ließ er sich von Jay bei seiner Karriereplanung dann doch helfend unter die Arme greifen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2012. Nach Erscheinen einiger weiterer, nicht immer großartiger Alben, wurde jetzt der nunmehr vierte Streich des Lupe Fiasco auf die Zuhörerschaft losgelassen. Er trägt den (nicht gerade kurz-knackigen) Titel „Food & Liquor II – The Great American Rap Album Part 1„. Gespannt blickt der Rezensent auf die CD-Hülle. Artwork? Nö! Wer braucht sowas? Ein schwarzes Cover…reicht doch! Gewöhnungsbedürftig, aber okay.
Leider Gottes setzt sich das stark minimalistische (weil nicht existente) Design auch innerhalb des Booklets fort. Sage und schreibe fünf von jeglicher Schrift jungfräulich belassene Doppelseiten gähnen den potentiellen Käufer wortlos an. Einige Essentielle Randinfos a la Producer-Credits et cetera wären dann allerdings doch ganz interessant. Ab zu Google. Signifikant klüger ist man leider nach wie vor nicht. Die Liste der verantwortlichen Beatschmiede liest sich für mich ähnlich aufschlussreich wie ein chinesisches Grammatik-Tutorial. Soundtrackk? LarranceDopson & C. Brody Brown? Future Music? King David „The Future„? Habe ich unter einem Felsen gelebt? Nun ja. CD einlegen, durchhören, Bild machen.
Mit „Food & Liquor II“ liegt ein durchaus gefälliges Album vor! Solider 2012 Sound, welcher den Vergleich mit dem Löwenanteil aktuell erschienener HipHop Tonträger auf keinen Fall zu scheuen braucht. Ausfälle wie das Vorgänger-Album „Lazers“ dürfen demnach getrost in einem extra dick gefütterten Mantel des Schweigens unter den Teppich gekehrt werden. Gleich der von Streichern und Pianos durchsiebte Opener „Strange Fruition“ zeigt einem deutlich die generelle Marschroute dieses Releases an. Drumcomputer und Keybopards treffen klassische Elemente, angesiedelt irgendwo zwischen Drake, Lex Luger und 90er Jahre-Eurodance.
Da wäre das kraftvoll nach vorne treibende „Lamborghini Angels„, in welchem ein angefuzztes Synthesizer-Arpeggio über ein 16tel HiHat-Gewitter luftigen Claps nachjagt, um in einer schmackhaften Hook aus feinster Akkord-Suppe zu gipfeln.
Auch das wunderbar arrangierte „Form Follows Function“ weiß durchaus zu überzeugen. Klingt ein wenig nach Just Blazes geistigem Eigentum, sollte aber nicht weiter sauer aufstossen. Das Intro zu „Cold War“ erinnert dann gar in absolut glaubhafter Manier an 80er Jahre Yacht-Rock. Der Beat dropped. Man fragt sich instinktiv wo Rick Ross bleibt? Mit Rick Ross kann der Song nicht dienen, ist aber auch gar nicht notwendig. Funktioniert auch so: vortrefflich.
Auffallend: Im Gegensatz zu Lupes früheren Releases wurde zum allergrößten Teil auf offensichtliche Samples verzichtet, der Song „Around My Way“ allerdings stellt die offensichtlichste Ausnahme dar und ist nebenbei eine Hommage an Pete Rock & Cl Smooths „T.R.O.Y.„, bedient er sich doch desselben Tom Scott-Samples wie der 90er Jahre-Klassiker. Der ein oder andre illustre Feature-Gast rundet das Soundbild noch angenehm ab. Zum Beispiel Bilal (welcher der Hook auf dem West Coastig-lässig daherschwingenden „How Dare You“ eine herrlich soulige Note verleiht), Poo Bear, Guy Sebastian, Jason Evigan und Casey Benjamin.
Dazu ein Rapper in gewohnt starker Form, welcher über die Jahre noch deutlich nachgereift ist. Der charmante, aber eben auch etwas jugendlich naive, Mindstate, in dem einst Songs wie „Kick Push“ entstanden, scheint mittlerweile einem durchaus ensteren Blickwinkel sowohl auf die Geschehnisse unserer Zeit, als auch auf die eigene Vergangenheit gewichen. Beleg hierfür findet sich bereits in der ersten Zeile, die der geneigte Hörer präsentiert bekommt:
„Nah, i cant pledge allegiance to your flag/ cuz´i cant find no reconsideration with your past/ when there was nothing equal for my people in your math/ you forced us in the ghetto, and then you took our dads!„.
Das Album ist tatsächlich eher eine Generalabbrechnung mit dem amerikanischen Imperialismus als nur ein schnöder Datenträger mit ein paar Rhythmen drauf. Damit liefert Lupe den Gegenpol zu kapitalistischen Lobeshymnen a la „Watch the Throne„. Ein musikalisches Mosaik aus kritischem Gedankengut, allgemeinen Sorgen und Ängsten plus alltäglicher Problematik des normalen Mannes jenseits der Forbes Top-100.
Viele Köche verderben den Brei ja auch ganz gerne mal, mit „Food & Liquor II“ ist dank einer Vielzahl verschiedener Produzenten und Sängern (nach Rap-Features sucht man im übrigen vergebens) aber ein durchaus abwechslungsreiches Album entstanden. In diesem Album muss man das Fiasco tatsächlich mit der Lupe suchen…