Review: Pillath – Onkel der Nation

What we’re gonna do right here is go back, way back, back into time: Anfang 2000 prägten Snaga und Pillath mit ihrer Mischung aus eingedeutschten Phrasen aus Übersee und dem sympathisch-proletenhaften Kohlepott-Charme eine Attitüde, die im Deutschrap lange seinesgleichen gesucht hatte. Zurück in der Gegenwart: Deutschrap ist mittlerweile nicht nur im Mainstream angekommen, er ist längst Bestandteil unserer Popkultur. Er hat sich selbst emanzipiert. Fast jede Woche entern Alben von deutschsprachigen Künstlern die Toppositionen der Charts. Während Snaga sich nie so richtig vom Rap verabschiedet hat, machte Pillath einen harten Schnitt in seinem Leben und widmete sich seiner Karriere in der Telekommunikationsbrache. Bis zum letzten Jahr. Mit seinem Debütalbum konnte er ein gelungenes Solo-Comeback feiern, wobei man ihm die jahrelange HipHop-Abstinenz vor allem am Sound angehört hat. Auch gerade im Hinblick darauf stellt sich mir die Frage, wie hungrig und entwicklungsbereit ein Künstler nach fast 20 Jahren Rap und einer langen Pause überhaupt noch sein kann.

Der Albumtitel hätte kaum besser gewählt werden können, denn er knüpft da an, wo er mit seinem letzten Solowerk aufgehört hat: Aus „Onkel Pillo“ wird der „Onkel der Nation“ – ein cooler Geschäftsmann à la Rudi Aussauer, ganz rationaler Denker, mit einem gewissen Hang zum Machogehabe, aber letztendlich doch immer sympathisch und auf dem Boden der Tatsachen. Er besucht deine Frau ohne Kondom, aber mit der Kippe danach, macht aus dem Gesicht deiner Mutter einen Sitzsack und vergleicht seine Geldbörse mit der Milka-Kuh. Pillath zaubert einem noch immer ein breites Grinsen ins Gesicht, steht aber genauso für Zwischenmenschliches, zeichnet düstere Bilder sozialer Ausweglosigkeit und steht für gnadenlose Ehrlichkeit und bedingungslose Loyalität.

Während mich das Trap-inspirierte „Wie ein Onkel“ positiv überrascht hat, machte die harmlose Sido-Single wieder einiges an meiner Vorfreude zunichte. Aber wenn man den königlich klingenden Titeltrack, der als Abriss von seiner bisherigen Karriere dient und den ich eher auf „Onkel Pillo“ erwartet hätte, erst mal hinter sich gebracht hat, dann wird es teilweise richtig gut: „Ich bleibe“ klimpert herrlich rein, nur um wenig später von Trompeten abgelöst zu werden und zu einem klassischen Pillath-Track zu mutieren, was durchaus als Lob verstanden werden darf. Das erwähnte „Wie ein Onkel“ ist ein Musterbeispiel dafür, ans aktuelle Geschehen angebunden zu bleiben ohne seine Identität zu opfern. Und wenn Snaga ohne Schulterblick über Bitches rollt und Pillath oberkörperfrei Kniebeugen im Arsch deiner Mutter macht, bedarf es keinerlei Worte mehr („Richtig korrekt“).

Ein großer Verdienst daran, dass „Onkel der Nation“ trotz des Sound-Updates einen authentischen Ruhrpott-Charakter besitzt, gebührt Produzent und Mit-Gelsenkirchener Gorex – gleichzeitig nutzt er die Gelegenheit, um ungewohnte Elemente in Pillaths Musik auszupacken. Der hohe Grad an Innovation ist im Gegensatz zu anderen Releases erst bei näherem Hinhören erkennbar. „Onkel der Nation“ ist ein wilder Mix aus Samples mit zeitgemäßen Elementen auf 90 bpm und klingt dabei erstaunlich harmonisch. Und wo ein spezifischer aktueller Sound gewählt wurde, passt sich Pillath dem Geschehen nahtlos an.

Von der Experimentierfreudigkeit und dem Mut zur Innovation diverser aktuell gehypter MCs ist Pillath dennoch genauso weit entfernt wie von einem Verfechter der alten Schule. Somit verliert der Knappe hier ein wenig seinen USP, durch den er sich von anderen Rappern unterscheidet. Die Sprüche und Vergleiche hinterlassen längst nicht mehr den bleibenden Eindruck wie zu Beginn seiner Karriere und die damalige neue melancholische Gangart, mit der sie an tiefgreifende Themen herangegangen sind, ist auch etwas abgeflacht, was mehr an der ernorm gestiegenen Vielfalt und Qualität von Deutschrap insgesamt und weniger an Pillath selbst liegt. „Sie schämen sich nicht“ mit PA Sports allerdings, auf dem sie sich mit der heuchlerischen Doppelmoral auf der Welt auseinandersetzen, weiß zu unterhalten und zu überzeugen. Gerade weil das Thema letztes Jahr die Sozialen Netzwerke beherrscht hat.

Kurzum: Mit „Onkel der Nation“ leitet Pillo das Jahr 2017 amtlich ein, lässt aber durchaus noch ordentlich Luft nach oben.