Trotzdem: Wenn Massiv auf seinem neuen Album wieder mal vehement Respekt einfordert, dann tut er das nicht zu Unrecht. Tatsächlich hat der mittlerweile 29-Jährige sich eine kleine, eigene Nische im deutschen Gangsta-Rap geschaffen, mit vergleichsweise wenig Unterstützung, dafür umso mehr Durchhaltevermögen und harter Arbeit. Al-Massiva ist durchaus zu einer kleinen Bewegung angewachsen, so lächerlich man diesen Begriff auch finden mag. Zwar demonstriert diese ihre Loyalität eher auf RapidShare als im Media Markt, bildet aber zumindest auf Facebook, YouTube und den traditionellen Jahresendvotings großer deutscher Rap-Seiten eine schlagkräftige Voting-Armee. Vielleicht sind das ohnehin die aussagekräftigeren Faktoren, um die Relevanz eines Rappers zu quantifizieren. Davon mal abgesehen: Massiv liebt das,was er tut, und er liebt HipHop. Alleine das ringt einem zumindest Anerkennung ab. Wie viele deutsche Gangsta-Rapper erzählen schon mit leuchtenden Augen in Interviews, wie super sie das Casper-Album finden? Und wie viele deutsche Gangsta-Rapper zitieren auf ihrer aktuellen LP mal eben so beiläufig die Massiven Töne und droppen subtile Biggie-Referenzen? Na?
Klar, das alles sagt natürlich noch nichts über die Musik aus. „Eine Kugel reicht nicht“ heißt das neue Album nun also, was in erster Linie selbstverständlich auf den Anschlag im Januar 2008 bezogen ist, als Massiv zum Opfer eines bewaffneten Angriffs wurde. So sehr diese Attacke den Wahl-Berliner auch beschäftigen mag, richtig explizit macht er sie nur auf dem stimmungsvollen Intro-Track zum Thema: „Ihr habt gehofft, dass ich sterbe, wenn mich Blei trifft / Album Nummer Sechs, Junge, eine Kugel reicht nicht.“ Direkt danach schaltet Al-Massiva unvermittelt mit „Black Gun Beretta“, dem vielleicht stärksten Track des Albums, in den Angriffsmodus über. Auf diesem wie auf weiteren Songs mit wunderschönen Titeln wie „Brennpunkt Innenstadt“, „Tanz Mit Dem Teufel“ oder „Ghettoalphabet“ gibt es dann auch den klassischen, berühmt-berüchtigten Massiv, wie man ihn wahlweise liebt oder hasst: Untermalt von „epischen Ritterbeats“ (Zitat Staiger) werden Rs gerrrrrollt, Kalaschnikow-Magazine entleert, illegale Substanzen vertickt, Rapper an Strommasten erhängt, das Splash! in die Luft gesprengt und Mütter von unglaublich dicken Schwänzen in jede denkbare Körperöffnung gefickt. Natürlich ist das alles unfassbar dämlich und ergibt über weite Strecken nicht den geringsten Sinn, aber egal. Denn aus jeder Ecke knallt und scheppert es, dass es eine wahre Freude ist. Das „Call of Duty“-Rezept eben.
Auf „Massaka Kokain 2“ geben sich dann auch die beiden NRW-Chefbanger Farid Bang und Kollegah die Ehre. Während ersterer eine eher unmotivierte Performance hinlegt, überrascht Kolle der Boss mit einem verhältnismäßig introspektiven Part: „Aufstehen, rausgehen, mit Flex in den Jeans / illegales Cash in den Streets / nachts heimkommen, beten auf dem Teppich auf Knien / denn ich will eigentlich nur Aladdin (Allah dienen) wie Prinzessin Jasmin.“ Massivs Schützlinge Beirut und Granit sind natürlich ebenfalls in der Tracklist vertreten, doch die Parts der drei Protagonisten auf „Die Nacht wird zum Tag“ sind derart austauschbar, dass beim groben Durchhören gar nicht auffallen würde, es hier mit einem Posse-Track zu tun zu haben. Da fehlt es auf jeden Fall an Profil.
An nachdenklichen Momenten herrscht auf „Eine Kugel reicht nicht“ überraschenderweise kein Mangel. Es hat sechs Studioalben gebraucht, bis Massiv musikalisch dasjenige Bild von sich zeichnet, das er selbst vermutlich schon die ganze Zeit von sich gehabt hat: Eine Identifikationsfigur für vernachlässigte Jugendliche mit Migrationshintergrund, die er auf den richtigen Weg führen will. Der Al-Massiva-Vorsteher berichtet ungewohnt viel aus seinem von Vorurteilen geprägten Leben als Zuwandererkind in der pfälzischen Provinz, verteilt aufmunternde Kopf-hoch-Botschaften und fordert zur Eigeninitiative auf: „Das Schlimmste ist, wenn du den Zug verpasst / und deinen Abschluss nicht schaffst, deine Ausbildung verkackst / schieb nicht die Schuld auf den Pass“, heißt es etwa auf „Schließ Deine Augen und Vergiss“. Schade nur, dass Massiv seine lobenswerte Agenda eigenhändig sabotiert, wenn er ungelogen in der selben Strophe zu mutmaßen beginnt, sein Deal mit SonyBMG sei nur geplatzt, weil er wohl „ein Ausländer zu viel“ für den Major-Riesen gewesen sei. Die unpassenden NS-Vergleiche, die sich der 29-Jährige ab und an ebenfalls nicht verkneifen konnte, sind bei der Verhandlung eines solchen Themas ebenfalls kontraproduktiv.
Dennoch: Wenn Massiv auf dem heimlichen Schlüsseltrack „Nicht Nur Deutsche Adler Können Fliegen“ anhand seiner eigenen Vita veranschaulicht, wie ausländische Jugendliche durch systematische Ausgrenzung auf die kriminelle Bahn geraten, dann ist das zwar ein ähnlich eindimensionaler Blickwinkel, wie ihn CSU-Innenexperten und selbsternannte Islamkritiker auf der anderen Seite des Spektrums pflegen. Aber gerade deswegen spricht der Wahlberliner vermutlich tausenden Immigranten-Kids in den Wohnblocks deutscher Großstädte aus dem Herzen, deren Perspektive in der hitzig geführten Integrationsdebatte ohnehin viel zu selten eingenommen wird. In dieser Hinsicht leistet Massiv also einen durchaus wertvollen Beitrag, auch wenn die Realität natürlich komplizierter ist, als sie sich in zwei Sechszehnern darstellen lässt. Stellenweise bringt Massiv auch wirklich kluge Einwände, etwa wenn er die Doppelmoral einer deutschen Gesellschaft anprangert, die gleichzeitig zu erschreckend großen Teilen kein Problem darin sieht, wenn ein hochrangiger Minister seinen Doktortitel klaut.
Den klassischen vernachlässigbaren Massiv-Liebestrack gibt natürlich auch. Auf Songs wie „Mit Dir Durch Die Ewigkeit“ werden eben doch wieder nur klassische Kitsch-Vokabeln durchgenudelt, was das Ganze zu einer eher unhörbaren Angelegenheit macht – abgesehen von der gelungenen Produktion aus den Reglern von Abaz. Dieser zeichnet sich auch für einen Großteil der Beats auf dem Album verantwortlich, was Segen und Fluch zugleich ist: Einerseits weiß der gute Mann definitiv, was er tut, denn zu jeder Zeit schallt es gleichermaßen druck- wie stimmungsvoll aus den Boxen. Andererseits ähneln sich die Produktionen allesamt so sehr, dass sie spätestens nach der halben Spieldauer nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Das Repertoire, aus dem sich Massiv und Abaz bedienen, beschränkt sich über die gesamte Distanz hinweg auf melancholische Streicher-Loops, irgendwelches böses Synthie-Geballer und Drums, die verdächtig oft dem selben Pattern folgen. Und die Gunsounds natürlich. Gunsounds sind krass wichtig.
Generell ist die Austauschbarkeit der einzelnen Songs die Krux dieses Albums. Denn auch Massiv selbst ist technisch leider zu limitiert, um der durchaus gegebenen inhaltlichen Variation durch eine abwechslungsreichere Delivery Rechnung zu tragen. Irgendwie ist es halt doch immer die selbe Leier. Die Halbwertszeit des Albums wird dadurch empfindlich gemindert. Was schade ist, denn Massiv ist ein maßlos unterschätzter Entertainer und er hat definitiv eine Agenda, die er an den Hörer bringen möchte. Aber was nutzt das, wenn besagter Hörer nach Hälfte des Albums abschaltet und gar nicht mehr richtig zuhört, weil er irgendwann eingelullt ist von den immergleichen Beats und der immergleichen Vortragsweise. (Stellenweise wiederholen sich sogar ganze Lines!) „Eine Kugel reicht nicht“ ist vielleicht Massivs bestes Album – aber es steht zu befürchten, dass Wasiem Taha damit bereits den Zenit seines Könnens erreicht hat.