Ich lege die Kopfhörer beiseite und bin ziemlich geflasht. Selten hört man Alben, die von vorne bis hinten stimmig sind. Bei denen nicht der Finger nach Lied acht Richtung Skip zu zucken beginnt. Goldrogers „Avrakadavra“ ist mal wieder so eins. Doch muss ich fairerweise dazu sagen, dass es bei mir auch leichtes Spiel hatte.
Denn einerseits ist es Goldrogers erstes Release, das ich mitbekommen habe und die erste Bekanntschaft mit neuer Musik birgt immer eine gewisse Magie in sich. Außerdem bin ich im Gegensatz zu manch anderen ein Freund von Gitarren in Rapsongs. Und Goldrogers Album ist einerseits voll von ihnen, aber gleichzeitig sind sie meist zurückhalten und begleiten die Lyrics des Rappers. Das erinnert an manchen Stellen fast an das Call und Response eines Bluessongs. Verantwortlich dafür sind Dienst & Schulter, die das gesamte Album produziert haben und so klingt „Avrakadavra“ wie das Produkt einer Band. Doch darf man nun nicht den Fehler machen, es zu sehr in eine poppige Richtung einzuordnen. Dem steht nämlich der teils sehr kraftvolle Rapstil Goldrogers sowie der Verzicht auf Gesangsbeiträge entgegen, wie sie z.B. bei Maeckes‘ „Tilt“ zum Einsatz kamen.
Und so kann sich Goldroger auf dem Fundament der stilsicheren Produktion reichlich austoben. Dabei wirft er nur so um sich mit Referenzen, dass man leicht die Orientierung verlieren kann. Da versucht man grade noch die Beatles und Fightclub unter einen Hut zu bringen, da geht es an anderer Stelle schon weiter mit Thomas Mann, Dragonball und Dali. Doch es ist nie ein reines Namedropping. Der Rapper flechtet die Referenzen in seine Lyrics, um seine eigene Sozialisation zu zeigen und seinen Vorbildern zu huldigen, aber auch, um vielschichtige Ideen und Geschichten durch einen Namen zusammenzufassen.
Hat man dieses Referenzsystem erst mal entknotet und durchblickt, erscheint aber eine feste Haltung und Meinung. So kompliziert wie es grade vielleicht klang, ist es aber auch nicht. Manche Songs wie „Friede den Hütten“ oder „Perwoll“ sind klar formuliert. Auch hier lohnt sich nochmal kurz der Vergleich zu Maeckes. Vielleicht versteht man nicht gleich alles, was einem vorgetragen wird, die Idee dahinter aber schon. Oder wie Prezident es auf „Antimärchen“ beschreibt:“ Im Übrigen ist gar nicht so sehr [wichtig] was ich sage, sondern wie ich’s rüberbring‚“.
Goldroger will sich abheben von der Reihenhausgesellschaft. Von den Menschen, die nicht hinterfragen und etwas nur gutheißen, weil es schon immer so war oder von oben kommt. Es geht darum, seine politische Haltung nicht nur durch seinen Musik- oder Filmgeschmack auszudrücken, und dem Kampf, das Rebellentum der Jugend nicht als Phase abzutun und abebben zu lassen. Es geht aber auch um die Liebe und den Tod. Dabei verliert sich Goldroger jedoch nie in zu großen Worten, sondern bearbeitet die Themen mit seinem eigenen, auf dem ersten Durchlauf nicht so leicht zugänglichen Stil. Statt Pathos gibt es leise Töne, statt Zaunpfähle Streichhölzer.
Bei vielen wird „Avrakadavra“ wahrscheinlich nicht zünden. Aber das ist – bis auf für Goldroger selbst – nicht schlimm. Das ist für Liebhaber: Man muss eine gewisse Affinität für diese Art von Lyrics und Musik mitbringen. Ich habe sie und so gehört „Avrakadavra“ für mich zu den besten Veröffentlichungen des Jahres.