In Teil zwei der kurzen Reihe über die Wirkung von Rapmusik sprachen wir mit Gründer, Leiter und Deutschlands einzigem Rap-Pädagogen Nico Hartung über seine Arbeit, Rezeption, Identifikation und die Auseinandersetzung mit Gangsta Rap. Sein tuned Jugendprogramm gibt Jugendlichen verschiedenen Alters und Schichten die Möglichkeit, sich intensiv mit HipHop auseinanderzusetzen und eigene Songs zu recorden.
Hallo Nico, sag‘ doch bitte erst einmal, was genau ihr beim tuned Jugendprojekt macht?
Wir machen seit 2006 deutschlandweit Workshops und recorden mit den Jugendlichen Songs, die sie selbst geschrieben haben. Die werden dann auf CD gepresst, die sie mit nach Hause nehmen können.
Und mit was für Jugendlichen arbeitet ihr?
Mit jeglicher Art von Jugendlichen. Ich habe mittlerweile auch schon mit Kindergartenkindern gerappt. In letzter Zeit viel mit Refugees und Menschen mit geistiger Behinderung. Aber wir haben auch schwer erziehbare Jugendliche.
Warum hast du HipHop als Medium gewählt, um mit den Jugendlichen und Kindern zu arbeiten?
Das kommt daher, dass ich selbst sehr rapaffin bin. Mit 15 habe ich selbst angefangen zu rappen und hatte auch ’ne kleine Crew und so. Ich habe dann Sozialpädagogik studiert und dachte, das wäre eine wunderbare Möglichkeit Sozialpädagogik mit einem Jugendinteresse zu verknüpfen. Es gibt in der Sozialpädagogik ein Statement, das heißt: die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Das ist die beste sozialpädagogische Arbeit.
Mir ist halt aufgefallen, dass im Süden und Westen Berlins Rap ein Medium ist, das viel gehört wird und auch viel Einfluss auf Jugendliche hat. Da war schnell der Gedanke da, dass man die Jugendlichen darüber kriegen und mit ihnen Themen diskutieren kann.
Analysiert ihr zuerst Rapsongs und darauf bauen die Jugendlichen dann auf?
Sowohl als auch. Zuallererst fange ich immer damit an, dass ich die Rap-History darstelle, weil es mir ganz wichtig ist, zu gucken, aus welcher ethischen Idee Rap und HipHop eigentlich geboren sind. Dann gucken wir uns Reim- und Rhythmikübungen an und wie ein Text überhaupt aufgebaut ist.
Anschließend fangen wir dann an, eigene kleine Texte zu schreiben und dann kommt es darauf an, was gebucht ist. Am Ende müssen wir uns nach dem Finanzgeber richten und zu einem bestimmten Thema Rapsongs schreiben. Manchmal müssen wir Texte von bekannten Rappern auf Gewalt oder Homophobie analysieren. Oder wir sind halt völlig frei und können mit den Jugendlichen selbst ganz eigene Texte kreieren. Es kommt aber alles letztendlich darin vor.
Worüber schreiben die Jugendlichen, wenn sie selbst entscheiden dürfen, über was sie reden wollen?
Ganz unterschiedlich. Es gab bis jetzt jedes Thema: Liebe, Freundschaft, Gewalt, Straße. Das ist auch ein Vorteil von Rap. Eigentlich kann man ja zu allem rappen.
Welchen Effekt erhoffst du dir, wenn du mit den Kindern und Jugendlichen arbeitest?
Also, das ist ganz interessant, weil aus meiner Perspektive ein anderer wichtig ist, als der der Jugendlichen. Wir nehmen ja immer einen Song auf und die Jugendlichen stehen auf das Recorden. Für uns ist der Weg dahin total spannend. Zum einen ist es so, dass wir mit ihnen eigentlich Deutschunterricht machen, Metrik-, Reim- und Rhythmikübungen. Also alles, was die Lyrik auch kennt und die Kids nehmen das gar nicht so wahr.
Aber was für mich viel interessanter ist, sind so kleine Prozesse innerhalb der Gruppen. Denn die besonders lauten Jugendlichen haben meist Probleme, Texte zu verfassen, während die ruhigen teilweise schon Erfahrung damit haben. In diesen drei Tagen, an denen wir bei ihnen sind, ändert sich einmal die Gruppendynamik komplett. Das ist ein total toller Effekt.
Außerdem besprechen wir aktuelle Themen und versuchen, Rap wieder viel mehr als Kunstform zu betrachten, anstatt als Image-Ding, wie es heute auch ist. Und zuletzt, dass die Jugendlichen sich selbst ein Thema aussuchen und dieses auch reflektieren. Und da sie am Ende auch eine CD bekommen und den Song damit anderen auch zeigen, müssen sie sich für die Dinge rechtfertigen, die sie auf dem Song gesagt haben.
Und glaubst du, dass dies mit HipHop als Medium besser funktioniert als mit anderen Musikrichtungen?
Auf jeden Fall. Meine eigene These ist, dass die Jugendlichen eine andere Identifikation zum Rap haben. Selbst wenn es eine Distanz zu Rap gibt, ist er medial so präsent, dass alle eine Meinung dazu haben. Und ein großer Vorteil von Rap ist, dass die Schwellenangst geringer ist, das nachzumachen und nachzurappen, als wenn ich jetzt jemand eine Gitarre in die Hand drücke oder sage, sing diese Noten. Das ist ein Riesenvorteil von Rap.
Du hast von den kurzen Veränderungen gesprochen. Bekommt ihr denn Feedback über eine langfristigen Effekt?
Also Pädagogen denken oft, man macht jetzt einen Song über Gewalt und dann verschwindet sie aus meiner Klasse. Das können wir nicht leisten. Aber was viele Jugendliche merken, ist, dass es eine sehr gute Ausdrucksmöglichkeit für sie ist und sie am Ball bleiben möchten. Wir haben dafür ein kleines Studio, in das ganz oft Jugendliche kommen und weiter aufnehmen. Sie versuchen sich dann weiter über die Texte auszudrücken.
Welche Rolle spielt die Analyse von Straßen- und Gangsterrap?
Ist natürlich ein Riesenthema. Wenn der Geldgeber sagt, analysiere die Texte auf Gewalt hin, dann bin ich angehalten dies zu tun. Das ist so ein bisschen zweigleisig. Eigentlich finde ich es gut, nochmal mit den Jugendlichen zu reden: Was ist Straßenrap? Was ist Gangsterrap? Was gibt es für Vorurteile und Homophobie? Um den Jugendlichen zu zeigen, wie viel Image in den Raps ist und wie leicht es eigentlich ist, diese Form von Image zu bedienen. Aber Texte, die viel individueller sind, sind auch schwieriger.
Das ist die eine Sache. Andererseits denke ich, dass ist doch total doof, denn das macht man ja im Deutschunterricht auch nicht. Komm wir gucken uns mal die schlechten Dichter an, von denen wir Pädagogen meinen, sie sind nicht gut. Sondern man nimmt sich die Guten und zieht sich daran hoch. Es passiert in den Workshops leider viel zu selten, dass man sich die guten Sachen anschaut. Ich will damit nicht sagen, dass Straßen- und Gangsterrap schlecht sind oder keine Berechtigung haben, aber es gibt halt Rapper, die von den Sinninhalten und der Rhythmikstruktur viel interessanter sind. Die dürfen wir aber nicht als Positivbeispiele rausholen, sondern wir müssen die Negativbeispiele verurteilen. Und es ist total merkwürdig, dass wir auf diese Weise arbeiten.
Also gibt es da einen Druck der Veranstalter?
Rap wird immer noch assoziiert mit „cool“ und Goldkette und für die meisten gibt es gar keine andere Form von Rap. Dieses hinterwäldlerische Bild von Rap ist halt immer noch total verbreitet. Aber die Medienwelt bauscht das halt auch noch auf.
Verstehen die Jugendlichen und Kinder denn, dass Rapper auch Imagefiguren sind, oder nehmen sie alles für bare Münze?
Es gibt solche und solche. Ich habe vor vier Wochen einen Workshop in Neukölln gegeben. Den Jugendlichen dort war es total wichtig, dass das, was die Rapper sagen, wahr ist. Und wenn man dann widerlegt hat, z.B. Bushido war gar nicht so lange im Knast etc., dann ist es so, als würde man ihnen eine gewisse Identität wegnehmen. Und warum ist das so? Ich glaube, es liegt an der Hoffnung, die man mit den Rappern verknüpft: Sie sind durch Rap aus ihrem Milieu ausgebrochen.
Gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, dass sie wissen, das es auch Image ist. Es braucht zumindest nicht viel, um sie davon zu überzeugen. Aber es hat viel mehr mit den Jugendlichen selbst zu tun, als mit dem Rapper als solchen. Rap ist eine Möglichkeit, hier raus zu kommen. Viele wähnen sich ja auch als Rapper, rappen vor sich hin und denken, sie können damit groß werden.
Und dann gibt es die ganz andere Gruppe, die gelangweilt ist von Gangsterrap, weil die Songs und die Images gleich sind. Bei denen ist es dann viel leichter. Es gibt also beide Gruppen. Was mir aber schwer fallen würde zu sagen, ist, dass es Jugendliche gibt, die Raptexte als bare Münze nehmen und sagen, wie bei einem Drive-By muss ich jetzt losfahren und jemanden abknallen.
Kommt das auch auf die Sozialisation an, ob sie die Texte reflektieren und einordnen können?
Ja, auf jeden Fall. Sozialisation spielt dabei eine ganz große Rolle und das Milieu in dem sie groß werden auch. Der Bildungsstand ist auch sehr wichtig. Viele verstehen auch ganz viele Worte nicht aus den Texten, aber sie mögen die Stimmung. Sozialisation und Identifikation sind da die wichtigen Felder.
Glaubst du, die Jugendlichen identifizieren sich nicht nur mit der Musik, sondern spielen auch das Verhalten und die Attitüde nach?
Ich finde die Verknüpfung sehr fragwürdig, denn die Jugendlichen, die aus einem Milieu kommen, in dem Gewalt herrscht, würden auch ohne Rap auf ähnliche Weise agieren. Ich finde das zu leicht zu sagen, dass Rap einen so großen Einfluss hat oder etwas Bestimmtes wegen Rap passiert. Sondern anders herum, dass man sagt, mit der Figur kann ich mich identifizieren, die hat das Gleiche erlebt wie ich.
Glaubst du denn, dass die Jugendlichen sich in die Identität des Rappers flüchten und das ihnen hilft, ihren Alltag zu verarbeiten?
Ich weiß nicht, ob sie sich in die Identität des Rappers flüchten. Ich glaube, jedes Kunstwerk trifft einen zuerst emotional affektiert und nicht rational. Und wenn ihnen die Stimmung des Songs so gut gefällt, dann, weil es ihre eigene Stimmung grade abbildet. Aber das ist nichts Rap-spezifisches. Jeder Rocker hört Rockmusik, weil es seine emotionale Stimmung trifft, und jeder Klassikhörer hört Klassik, weil er die emotionalen Wendungen toll findet. Das ist eher Musik- als Rap-spezifisch.
Wenn die Teilnehmer des Workshops dann hinter das Image der Rapper blicken, ändert sich die Wahrnehmung von ihnen und ihrer Musik?
Ja, würde ich sagen. In den letzten fünf, sechs Jahren hat sich z.B. das Image Bushidos so verändert. Die Kids bemerken das auch. Sie wissen, Abou-Shaker spielt da eine wichtige Rolle. Also all das, was Bushido erzählt, ist eigentlich unter dem Deckmantel eines anderen gelaufen. Solche Dinge verändern die Musik für die Jugendlichen schon, denn sie mögen authentische Rapper sehr gerne. Die Frage ist halt, wie erkennt man noch die Authentizität, wenn davor ein so starkes Image steht.
Wie stehst du selbst zu gewaltvoller Rapmusik?
Er hat natürlich seine Berechtigung, wenn man Rap als Kunstform wahrnimmt. Man könnte ja sagen, wenn jetzt Bilder von toten Kindern aus Syrien um die Welt gehen, oder diese Werbung auf Zigarettenschachteln, dass Kinder so was auch nicht sehen sollten, aber es hat alles seine Berechtigung. Und so würde ich das bei Rap auch sehen. Schonungslose oder überspitzte Gewalt in Texten hat seine Berechtigung.
Was ich als problematisch sehe, ist, dass Rapper sich immer wieder aus ihrer ethischen Verantwortung ziehen, indem sie sagen, ich mache mir über meine Konsumenten keine Gedanken. Und ich würde dann gerne an die Rapper appellieren, macht euch auch bewusst, dass nicht nur Zwölf-, Fünfzehnjährige oder Ältere das konsumieren, sondern auch noch Jüngere und ihr habt auch eine ethische Verantwortung als Künstler. Da machen Rapper es sich, was die Gewalt betrifft, zu einfach.
Das ist keine richtige Antwort, aber der Versuch zu sagen, es hat gleichzeitig seine Berechtigung, aber es muss auch eine Reflexion geben. Ich muss wissen, wenn ich meine Kunst als Produkt verkaufe, warum ich das Produkt gemacht habe und was ich damit ausdrücken möchte.
Muss dieses Brechen mit dem Image in der Musik oder außerhalb, z.B. in Interviews, passieren?
Sowohl als auch. Im Interview bekommen es erst mal natürlich weniger Leute mit. Ich finde es aber auch schwach, wenn ein Künstler einen gewaltverherrlichenden Song macht und später sagt, so war er doch gar nicht gemeint. Wenn man merkt, dass die Reflexion nicht tief geht.
Wenn man mit der Gewalt im Song bricht, dann ist es eine neue Form der Kunst. Es gibt große Unterschiede bei den Rappern. Bei „Blaulicht“ von Nate57 würde ich sagen, das ist ein kunstvoller Song. „Wenn der Mond in mein Ghetto kracht“ von Massiv ist zwar ein schönes Bild, aber es fällt mir schwer, darin eine Kunstform zu erkennen. Bei den Jugendlichen wäre es vielleicht gut, wenn sie in einem bestimmten Alter manche Sachen nicht hören müssten.
Filme werden ab 6, 12, 16 und 18 freigegeben. Bei Musik geht nur freier Verkauf oder ab 18 mit Werbeverbot. Glaubst du, eine Regulierung wie bei Filmen würde dabei helfen?
Ich glaube, dass es nicht die jungen Leute schützen würde. Auch bei den Filmen ist es eine Pseudoethik. Jeder, der einen Film sehen will und vielleicht noch einen älteren Bruder hat, wird den Film bekommen. Es wäre nur etwas für das gute Gewissen der Leute, die die Sachen indizieren.
Müssten stattdessen die Menschen, die täglich mit den Jugendlichen zu tun haben, intensiver geschult werden, damit sie die Medienwelt der Jugendlichen und damit diese selbst besser verstehen?
Ich bin ja auch Lehrer und ich finde, dass die pädagogische Landschaft sich vor der neuen Medienwelt wegduckt. Und es wäre so wichtig, sich mit dem Internet, Tablets, Streaming- und Onlineportalen zu beschäftigen. Das ist einer der Gründe, warum Pädagogen heute nicht mehr hinterher kommen.