Saigon – The Greatest Story Never Told

"I feel like Tupac now… It’s me against the world“, beschwerte sich ein merklich frustrierter Saigon auf seiner MySpace-Seite, um im nächsten Absatz zu betonen: "Not to worry though, my fans WILL hear my entire album very soon whether they put it out or not“. Saigon gegen den Rest der Welt also. Ein ambitionierter, junger Musiker gegen die Bürokratie der Plattenindustrie.

Das war übrigens 2007.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2011 und Saigons beinahe schon ironisch betiteltes Debütalbum "The Greatest Story Never Told“ steht endlich in den Plattenregalen. Nach einem langwierigen Rechtsstreit mit Atlantic Records ist der New Yorker nun beim kalifornischen Underground-Label Suburban Noize untergekommen, so dass der vielleicht talentierteste Newcomer, der im letzten Jahrzehnt aus dem "Big Apple“ kam, endlich sein Forum gefunden hat. Aber was geht jetzt mit der Musik?

Festzuhalten ist zunächst: Das Tracklisting ist bis auf eine Ausnahme genau so, wie es schon 2007 im Netz kursierte. Das ist insofern enttäuschend, als dass Sai-Giddy zwischen 2008 und 2010 ja nicht gerade im Terminstress war, um sein Album zu promoten oder mit besagtem Album auf Tour zu gehen – zumal viele Tracks bereits seit Jahren frei zugänglich im Internet zirkulieren. Fans dürften ungefähr die Hälfte des Albums also schon kennen. Einzig das zur ersten Single auserkorene "Bring Me Down“ ist jüngeren Datums; allerdings ist der Song auf dem Album nur als Remix-Version vertreten, die aus dem fiesen, eleganten Original ein völlig überambitioniertes Rock-Epos macht.

Was den Sound angeht, merkt man den Songs ihr bereits etwas weiter zurückliegendes Entstehungsdatum kaum an, was natürlich vor allem Just Blaze zu verdanken ist. Der nämlich liefert hier in seiner Rolle als Executive Producer Track für Track echten Vollprofi-Scheiß ab und sorgt dafür, dass alles an der haargenau richtigen Stelle sitzt, ohne dass dieser klassische, ruffe New-York-Vibe verloren geht. "Come On Baby“ mit Jay-Z ist auch drei Jahre nach dem dazugehörigen Videodreh noch ein veritabler Banger, genauso wie der hymnische Titeltrack.
Lyrisch hingegen gibt es dadurch auf "The Greatest Story Never Told“ den ein oder anderen seltsamen Moment. Wenn Saigon etwa auf "Believe It“ gegen den zu Recht schon wieder längst vergessenen Young Joc schießt oder die Verhaftung von T.I. anspricht, die nun auch schon wieder ein Weilchen her ist, wird schmerzhaft offensichtlich, dass wir es hier mit Ware zu tun haben, die ihr Haltbarkeitsdatum an der ein oder anderen Stelle womöglich schon überschritten hat.

"The Greatest Story Never Told“ verfolgt, wie der Name vielleicht nahelegen würde, nicht wirklich einen roten Faden. Saigon eröffnet das Album mit einigen standesgemäßen Representer-Nummern wie "The Invitation“ mit Q-Tip, doch am stärksten ist der 32-Jährige immer dann, wenn er Missstände anspricht, mit Fehlschlüssen über HipHop aufräumt oder einfach packendes Storytelling aus den Straßen New Yorks betreibt.
"Preacher“ etwa ist ein wahnsinnig intelligenter Song, in dem Brian Carenard Doppelmoral, Pharisäertum und die "Wein trinken, Wasser predigen“-Mentalität anprangert.
"Clap“ mit Faith Evans wiederum ist eine sehr schön gemachte Gospelnummer, in der Saigon den Hood-Poeten in sich herauslässt und generell sehr viele kluge Sachen sagt: "Clap your hands if you’re getting up in some real estate / buy a crib, ma, the Benz with the wheels can wait“. Einzig die Line "Do away with all the Chinese restaurants / do away with all these fake Gloria Estefans“ verwirrt mich. Ist das jetzt Rassismus? Verstehe ich einfach nicht, was mir Saigon hier sagen will? Oder war ihm die Peking-Ente beim letzten Restaurantbesuch einfach nicht knusprig genug?        

Richtige Ausfälle gibt es auf dem Album nicht zu vermelden. Klar, "Give It To Me“ mit Raheem DeVaughn ist einfach nur eine Ansammlung leicht ekelhafter Schweinereien im Soul-Gewand, was ich persönlich jetzt nicht unbedingt bräuchte: "Told me she was coming just to kick it with me / soon as she jumped in, I said ‚Lick it for me‘ / she said ‚Only, if only you gon‘ stick it to me / I said ‚Come on, quit playing, girl, give it to me‘.“ Vielleicht bin ich für klassische "Lollipop“-Rhetorik auch einfach nur schon zu alt. Und der altbekannte Themenkomplex "Freund wird zu Feind“ ist auch schon mal fantasievoller abgehandelt worden als in "Enemies“.

Unterm Strich bleibt "The Greatest Story Never Told“ aber ein sehr gutes und auch relevantes Album eines Künstlers, dessen lyrische Finesse vielleicht nur noch von seiner stets spürbaren Liebe zur Kultur übertroffen wird. Dass man als Hörer dennoch ein wenig enttäuscht zurückbleibt, spricht eher für Saigon als gegen sein Album. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der New Yorker mit diesem Album endlich durch die Decke geht, wie es ihm vor Jahren prophezeit wurde. Es wäre ihm jedoch zu wünschen.