MoTrip hat sich mit seinem zweiten Album „Mama“ Zeit gelassen – und das hört man. Der Nachfolger von „Embryo“ ist weder ein Schnellschuss noch ein schaler Neuaufguss des Vorgängers. Anstatt die Formel des durchaus gelungenen, aber an manchen Stellen noch unausgereiften Debüts noch mal aufzuwärmen, schaltet Trip mit seinem neuen Werk zwei bis drei Gänge höher. „Manchmal ist der zweite Schritt schwerer als der erste„, rappt er zwar im Opener „David gegen Goliath„. Im Falle von „Mama“ lässt sich allerdings festhalten, dass der zweite Schritt anstrengender gewesen sein mag, aber auch deutlich mehr Fortschritt bringt als der erste.
Denn „Mama“ ist ein gut durchkomponiertes Album, das nie konstruiert wirkt. Es folgt einem roten Faden, der freilich lose genug gesponnen ist, dass keine Monotonie aufkommt. MoTrip wird ja immer wieder vorgeworfen, er habe zu wenig Ecken und Kanten, sei als Rapper zu glatt. Das stimmt meiner Meinung nach nicht. Er hat mehr Ecken und Kanten als die meisten seiner Kollegen – vor allem inhaltlich. Immer wieder blitzt auch in Songs, die man auf den ersten Blick für reine Rap-Rap-Tracks halten könnte, das durch, was man so schön eine Haltung nennt, eine Attitude. Was Trip allerdings abgeht, ist die Lust am Plakativen, Offensichtlichen. Man wird von ihm weder das „Scheiß-auf-die-da-oben“ noch das „Alle-Bullen-sind-Schweine„-Programm bekommen. Aber auch wenn plakativer Rap absolut geil ist, ist das in diesem Fall absolut kein Mangel, im Gegenteil. Man muss allerdings schon ein wenig genauer hinhören, was alles in dem Album steckt.
Los geht es mit drei Songs, die man zunächst einmal als klassische Representer bezeichnen könnte. „David gegen Goliath„, „Mathematik“ und „Wie ein Dealer„. Songs, bei denen der Style weitgehend Selbstzweck ist. Rap über Rap – aber eben doch nicht nur. Wie schon erwähnt versteckt Trip auch in diesen Stücken immer wieder Zeilen, aus denen eine klare Meinung spricht.
„Ein Teil der Menschheit fällt/ und verkümmert auf den Knien
damit 1 Prozent der Welt aus ihr das fünffache verdient“ („David gegen Goliath„)
Spätestens mit „Trip“ wird MoTrip dann ohnehin expliziter in seiner Kritik. Dabei geht er eher assoziativ vor als sich ein bestimmtes Thema auszusuchen und dazu einen Vortrag zu halten. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist seine Kritik am aktuellen Zustand der Szene. Sowas kann natürlich extrem nervig und aufgesetzt rüberkommen, im Falle von MoTrip ist es allerdings aufgrund des eigenen Auftretens absolut glaubwürdig. Mit dem ganzen Circus rund um Promobeef, wohlkalkulierte Disses und endlose Streitereien über die sozialen Netzwerke hat der Aachener einfach nichts zu tun. Kein Zufall wohl also, sondern ein interessantes Detail, dass die Hook von „Hype“ aus dem Public Enemy-Song „Don’t Believe The Hype“ gesamplet wurde.
„Früher wollte man noch rappen um die Kids zu motivieren
heute geht es nur noch darum ein paar Klicks zu generieren“ („Wut„)
MoTrip belässt es allerdings nicht beim Jammern. Was er den offensichtlichen Fehlentwicklungen entgegensetzt: Zum einen sein öffentliches Bekenntnis zum Fantum an der Seite von Samy Deluxe („Fan„), zum anderen eine clevere Kritik an der Praxisferne des Schulsystems („Kaltes Wasser„). Mit zunehmender Spieldauer wird das Album musikalischer und, damit einhergehend, persönlicher. Ganz offensichtlich ist das beim Titelsong „Mama„, der quasi den Gegenstandpunkt zum ewigen Muttergeficke einnimmt – statt auf die Erzeugerinnen anderer Rapper zu spucken, spucken Trip und Haftbefehl hier eine unkitschige Liebeserklärung an ihre Mütter ins Mic. Während bei Trip Technik und Gefühl bestens harmonieren, ist Hafts Part zwar emotional sehr stark, technisch aber arg einfach gehalten.
In Songs wie „Malcolm mittendrin“ und „Selbstlos“ packt MoTrip dann seine Gesangskünste aus und macht dabei keine schlechte Figur. Er mag nicht der weltbeste Sänger sein, dafür klingen die Hooks weder glatt noch platt. Die Stimmung von „Mama“ wird gegen Ende doch sehr nachdenklich, wenn etwa „Selbstlos“ zur Hymen aller herzensguten, im Grunde zu gutmütigen Menschen wird, „So wie du bist“ eine entwaffnende Liebeserklärung abgibt oder das abschließende „Gegenwart“ an die Bedeutung des Hier und Jetzt erinnert.
„Du nimmst alle Leiden auf dich
die Vergangenheit war traurig
handelst nur aus Instinkt/ keiner weiß, ob die Zukunft was bringt
also retten wir die Gegenwart“
Instrumentiert wurde das Ganze von David X Eli, die bereits „Amnesia“ von Ali As zum Großteil zu verantworten hatten – und hier wieder sehr, sehr gute Arbeit leisten. Die Instrumentale sind nicht zu aufdringlich, lassen MoTrip genügend Platz, um seine Skills zur Geltung kommen zu lassen. Weder wird sich auf „Mama“ krampfhaft an irgendeinen Zeitgeist geklammert noch strebt man allzu offensichtlich einem bestimmten Soundvorbild nach. Klar, wer der festen Ansicht ist, dass Rap hart, provokant und plakativ sein muss, der wird an diesem durchdachten, gefühlsbetonten und lyrisch ausgefeiltem Album wenig Freude haben. Wer aber bereit ist, einem Rapper mehr Gefühle, Zweifel und Gedanken zuzugestehen als dem handelsüblichen Comic-Superhelden oder Hollywoodfilm-Gangster, der entdeckt hier viele große und kleine Schätze, Gedankengänge, denen man folgen oder sich daran reiben kann, Sprachbilder, die neue Blickwinkel eröffnen und natürlich: Punchlines der gediegenen Sorte. Denn was Rap als Sprachkunst angeht, ist MoTrip dann doch eher klassischer Superhero als Antiheld. Und Rap ist erst mal wieder gerettet.