Dienstag, 28. November, Ort: Berlin, Haus der Bundespressekonferenz. Klingt nach einem ungewöhnlichen Ort für ein Interview mit einem Rapper, der erst einmal einer Erklärung bedarf. An jenem Tag fand im Haus der Bundespressekonferenz die Pressekonferenz zum diesjährigen Welt-Aids-Tag statt, an der Samy Deluxe zusammen mit Verona Pooth aka Feldbusch, Benno Führmann und Thomas Hermanns als einer der Botschafter teilnahm. Und da die Teilnahme eines Rappers bei dieser Aktion noch seltsam zu sein scheint, wurden auch wir von rap.de erstmal ausgiebig gemustert. Denn: als wir das Gebäude betreten wollten, kam uns der Pförtner entgegen und fragte logischerweise nach unser Erlaubnis, das Gebäude zu betreten. Als wir ihm erklärt hatten, dass wir hier sein dürfen, und den pompösen Saal betraten, stand er wieder vor uns. "Jungs, dürft ihr wirklich hier sein?", lautete anscheinend seine Lieblingsfrage des Tages. Trotz all der berechtigten Sorgen um blinde Passagiere hätte er vielleicht einfach unsere Angaben, die wir ihm erneut gaben, überprüfen sollen. Er zog sich dann erst einmal zufrieden zurück, und die Pressekonferenz konnte nun auch für uns beginnen. Auf dieser überfüllten Konferenz fiel Samy Deluxe unter all den Leuten gleich auf. Während alle, so schienen auch die Journalisten von ARD, ZDF und RTL sich dem prominenten Ereignis angepasst zu haben, fein gekleidet waren, stach Samy durch sein Cappi, seine weite Hose und Jacke hervor: ein angenehmer Einstieg. Nach einer weiteren Begegnung mit unserem Lieblingspförtner und seiner Lieblingsfrage kamen wir schließlich durch und konnten den Deluxe-Rapper sprechen.
Entstanden ist ein Interview unter besonderen Bedingungen mit dementsprechend etwas anderen Fragen, die sich nicht ausschließlich um HipHop drehen, sondern mehr die Verstrickung von Aids, Politik, Jugend und HipHop behandeln.
rap.de: Als erstes die wahrscheinlich häufig gestellte Frage: kannst du uns mal kurz erklären, was hier genau deine Aufgabe ist bzw. was du dir hiervon erhoffst?
Samy Deluxe: Also, ich bin hier einer von vier Botschaftern für diese Aids-Kampange dieses Jahr. Das Motto lautet: Gemeinsam gegen Aids. Verantwortung übernehmen für uns selbst und unsere Mitmenschen. Die Message ist, glaube ich, ziemlich klar. Ich bin definitiv derjenige in der Gruppe, der dafür da ist, eher die jungen Leute anzusprechen, also die wirklich jugendlichen. Ich beziehe das in erster Linie schon auf die HipHop-Generation, aber natürlich auch auf alle möglichen anderen Leute, die mit meinem Namen etwas anfangen können. Ich denke, dass so eine Message ein anderes Gewicht bei den Leuten hat, wenn es von so jemanden wie mir kommt, als wenn es von irgendeinem Politiker oder Lehrer quasi in den gleichen Worten gesagt wird.
rap.de: Die Tatsache, dass du jetzt als Rapper mitmachst, zeigt das, dass HipHop in Deutschland angesehener ist und die Gesellschaft erkannt hat, was für eine Wirkung der HipHop haben kann? Also, dass es besser ankommt, wenn du es ansprichst, wie du gerade gesagt hast.
Samy Deluxe: Das heißt, dass ich bei den Jugendlichen besser ankomme (lacht). Ob HipHop generell das geschafft hat, ist in Frage zu stellen. Ich wüsste jetzt nicht, wer wirklich außer mir hier sitzen könnte. Weil es ja nicht nur damit zu tun hat, welche Wirkung man auf die Leute hat, allein durch das, was man vorher gemacht hat, sondern auch, wie man sich in dem Feld verkaufen kann, wenn man sich so einer Sache widmet. Und das ist eben was, was mir einfach liegt, weil ich es schon immer gemacht habe. Nicht immer Aids-Prävention, aber ich habe mich immer für Sachen engagiert, die mir wichtig waren. Das war in der Vergangenheit eher Rassismus, weil ich mehr einen persönlichen Bezug dazu habe. Und jetzt habe ich diese Plattform einer der bekanntesten jungen Künstler in diesem Land zu sein, die ein Sprachrohr haben, weißt du. Es gibt hier viele Künstler und Leute in der Öffentlichkeit, die kein Sprachrohr haben, da sie sich nie als Person etabliert haben, die von sich aus was zu sagen hat. Ich merke das selbst in dieser Konstellation, mit den anderen Botschaftern, die alle super nette Menschen und auch sehr engagiert sind. Aber es ist schon was anderes, wenn man Moderator in einer TV-Show (Thomas Hermanns), deutscher Schaupspieler (Benno Führmann) oder ne deutsche Werbe-Ikone (Verona Feldbusch) oder Samy Deluxe ist, der wirklich immer er selbst ist. Ich meine, Verona Pooth ist auch immer definitiv sie selbst, aber so ein Benno Führmann, als Schauspieler, schlüpft meistens in andere Rollen. Er ist nicht als Person die ganze Zeit da draußen, so dass alle sehen, wie er sich fühlt, was er macht und denkt. In dieser Konstellation wirkt es fast ein bisschen natürlicher, was ich mache als was die anderen machen, ohne jetzt das abzuwerten, was die machen. Ich merke es einfach an der Reaktion, wenn ich irgendwo eine Rede halte oder in einer Pressekonferenz sitze. Die Stimmung im Raum istsofort eine andere, weil es nicht dieses vorbereitete "ich muss jetzt dieses ablesen, und meinem Image gerecht werden und meine tolle Message in die Welt bringen" ist, damit sich meine Platte noch besser verkauft, sondern ich sage einfach genau das, was ich in diesem Moment denke. Der Raum entspannt sich sofort, weil die Leute merken, dass es nicht dieses abgelesene "er will das und das rüberbringen" ist, sondern er passt sich der Situation an. Ich glaube nicht, dass irgendein anderer deutscher Rapper das hier so machen könnte. Und wenn er es könnte, würde er es nicht. Es gibt definitiv welche, die genauso rhetorisch begabt sind wie ich, so ein Eißfeldt oder Max Herre. Aber die sind teilweise schon zu politisch, sich auf diese Plattform zu stellen und zu zeigen, ich bin jetzt dies und das hier für Deutschland. Ich habe ja als Schwarzer auch noch mal eine andere Position und für mich ist es noch mal wichtiger in der Öffentlichkeit Sachen zu machen, die dem Klischee, was die Leute von Schwarzen und Rappern haben, widersprechen. Ich komme eben nicht in die Runde und sage: „Jo jo jo, digga, alter, heftig, geil, fett, Fotze, Nutte“, sondern ich kann mich ausdrücken wie die, aber wenn ich in meiner Welt bin, kann ich mich da anpassen, wo die nicht reinpassen.
rap.de: In den Wochen, die sich um den Welt-Aids-Tag drehen, also die zwei Wochen jetzt, ist das Thema groß in der Politik und den Medien vertreten, aber wie sieht es in drei Wochen aus? Beziehungsweise hat ja die Vergangenheit gezeigt, dass einmal daran erinnert wird und es von allen dann wieder vergessen wird. Was kann man daran ändern?
Samy Deluxe: Ja, genau das Gleiche habe ich eben schon mal in einem Interview ungefragt gesagt. Obwohl ich einerseits diesen Welt-Aids-Tag als gute Institution empfinde, finde ich es auch andererseits schade, dass es immer nur einmal im Jahr ist, dass dieses Thema aufgewärmt wird. Und das Leute nur ein Bezug zu Themen aufbauen, wenn ständig daran erinnert wird, oder wenn z. B. ein deutscher Celebrity auf einmal ein Aids sterben würde. Das würde dann mal lang anhalten und wir hätten sechs Monate am Stück irgendwelche Berichte. Das ist einfach auch ein Problem und das werde ich einfach nicht ändern können, ich kann definitiv diese Medienschwankungen nicht bestimmen. Aber ich kann natürlich trotzdem versuchen, in dem Rahmen die Leute, die sich wirklich für mich interessieren, auch immer wieder daran zu erinnern. Und ich denke, das wirklich wichtige ist ja nicht, dass diese Plakate hängen oder dass dieser Werbesport läuft, sondern dadurch, dass ich Botschafter bin, werde ich auch z. B. von euch, einer HipHop-Seite, angesprochen. Normalerweise hättet ihr mich gefragt: „Wie findest du Bushido? Wie findest du Sido? Und wie findest du, dass deutscher Rap jetzt Gangster ist?“ (Hätten wir nicht 😉 Anm. d. Red.) Und so befragt ihr mich zu Aids. Und das ist wieder eine Diskussionsplattform, um das Thema auf den Tisch zu schmeißen und möglichst lange am Leben zu halten.
rap.de: In einem Interview hattest du gesagt, dass in Amerika, speziell in San Francisco das Thema Aids anders angegangen wird. Ist es da generell präsenter in den Medien?
Samy Deluxe: Auf jeden Fall, insofern, dass auch wirklich schon viele Celebreties, die für das Land wichtig waren, an Aids gestorben sind oder z.B. durch Magic Johnson, der auch schon seit 10-15 Jahren HIV-positiv ist und aktive Aufklärungsarbeit die ganze Zeit am Laufen hat. In San Francisco ist dann ja noch mal das Extra-Phänomen, dass dadurch, dass es eine große Homosexuellen-Szene hat, die Krankheit wirklich sehr verbreitet ist in der ganzen Stadt. An fast jeder Bushaltestelle hängt so ein Plakat, wo tatsächlich die Zahl von Leuten steht, die letztes Jahr in San Francisco an Aids gestorben sind und solche Sachen. So, dass es einem wirklich so erscheint, dass die Krankheit viel näher dran ist, als wenn man hier ist. Das ist natürlich auch einfach eine Sache der Medienvermarktung, weil da auch nicht jeder auf der Straße auf dich zugeht und sagt: „Hey, ich bin Bob, ich habe Aids.“ Also hat man auch keinen persönlichen Kontakt zu den Menschen, aber zumindest sind die Medien und die Stadt irgendwie schlau genug das so zu verpacken, dass es den Leuten ständig ins Gedächtnis gerufen wird. Es gibt auch so viel mehr Aktionen, die berühmte Leute einbinden, z.B. „Knowing is beautiful“ mit Common, eine Kampange, die Leute aufgerufen hat, zum Aids-Test zu gehen. Es gibt, glaube ich, wirklich mehr gezielte Sachen, gerade in der schwarzen Community, weil es da ein sehr großes Thema ist.
rap.de: Wir hatten ja gerade besprochen, dass die Medien ihren Teil dazubeitragen, dass es nicht konstant vertreten ist. Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass du mit Leuten zehn Mal zu Pro Familia gehen kannst und die sich nur denken: cool, ich habe schulfrei. Wie kann man diese Menschen dann doch noch erreichen, dass sie vielleicht mal in der Werbepause von GZSZ einen Gedanken darüber verlieren? Ist es dann einfach so, dass sich manche keine Gedanken machen, wie ja auch Thomas Hermanns eben gesagt hat, nämlich dass sie so „dumm“ sind, da sie zwar darüber informiert sind, aber trotzdem drauf scheißen?
Samy Deluxe: Ich denke auch, es ist so ein bisschen so eine Verwahrlosung der ganzen Generation und auch ein Mangel an Selbstliebe. Ihr wisst es ja selber. Kommt ihr hier aus Berlin?
rap.de: Ja.
Samy Deluxe: Euch wird es ja genauso gehen: ihr seid in irgendwelche Schulen gegangen, wo es abgefucktes Lehrmaterial gab, kaputte Tische und kaputte Lehrer, weißt du. Das ist schon mal der Anfang, der Einstieg, wo man dann als junger Mensch denkt: ok, das Land, gibt ein Scheiß auf mich. Dann müssen wir als Männer noch ein Jahr lang Bundeswehr oder Zivildienst machen, wo wir im Endeffekt einen Scheiß zurückkriegen, uns den Arsch aufreißen, ein Jahr Sklavenarbeit machen und wir letztendlich so wenig von diesem Staat kriegen. Wir haben auch als Land so wenig Selbstliebe. Wir können nicht sagen: „Deutschland ist was richtig geiles!“ In Amerika kannst du in Brooklyn ins schlimmste Ghetto gehen und der Typ, der am wenigsten vom Staat profitiert, wird trotzdem noch sagen: „America is a great country, geil, ich fahre jetzt nach Afghanistan und baller ein paar Moslems ab“. (lacht) Das ist natürlich auch ein bisschen Wahnsinn; nicht, dass es was gutes wäre, aber da funktioniert dieser Nationalstolz, obwohl das alles Migranten sind, die da wohnen. Hier in Deutschland funktioniert das eben nicht so. Ich denke, da spielen so viele Faktoren eine Rolle, und ich weiß auch nicht, wie man das ändern kann für die Generation, die da ist. Ich denke, man müsste einfach mal richtig viel Geld aktivieren, um die nächste Generation in eine andere Richtung zu pushen. Es geht darum, dass jeder das Leben auch als was positives sieht und Lust darauf hat und denkt: ich will zur Schule, ich will danach einen geilen Job haben und ich will später auch einen schönen Ruhetag haben. Die Leute scheißen mittlerweile, glaube ich, drauf, ob sie sich selber oder irgendjemanden anstecken. Das kommt ja bestimmt manchmal wie ein willkommener Ausweg.
rap.de: Früher haben ja noch mehr sozialkritischen Themen eine Rolle gespielt. Mit der Zeit hat man gemerkt, dass mit dem Gangster-Rap andere Leute ins Geschäft gekommen sind. Warum hat sich das so entwickelt bzw. warum gibt es heutzutage unteranderem nur noch Leute wie Eißfeldt oder Curse, die sich solcher Themen annehmen?
Samy Deluxe: Na, ich denke, es gibt schon auch andere Leute, aber das wird dann nicht gehört.
rap.de: Ich meine die, die dementsprechend präsent sind.
Samy Deluxe: Ja, denn Demos kriege ich viele. Also viele machen sich noch Gedanken, aber wenn die Leute da draußen es nicht hören wollen.
rap.de: Ja, aber woran liegt das?
Samy Deluxe: An Trends, wenn gerade nur weiß "in" ist, kann ich nicht einen schwarzen Pulli auf den Markt bringen und hoffen, dass er sich verkauft. Das ist ganz einfach , obwohl es keine logische Erklärung dafür gibt, dass nur weiß "in" sein sollte. So ist das dann auch bei diesem Rap-Ding und ich denke, es gibt dann immer wieder so einen Wandel, wie in den Staaten, wo auch alles immer mehr Gangster wurde, und dann kommt so ein Kanye, so ein Lupe Fiasco. Es gibt irgendwann dann wieder auch richtig Bedarf nach diesem anderen Kram, weißt du.
rap.de: Könnten aber nicht gerade die Labels das steuern, also die Trends setzen?
Samy Deluxe: Das glaube ich nicht. Warum sollten sie das auch? Die sind ja Finanzunternehmen, keine idealistischen Labels. Wir sind ein idealistisches Label. Ich signe jetzt keine Gangster-Rapper, weil ich weiß, dass Gangster-Rap "in" ist. Ich signe Rapper, wo ich denke, die können richtig geil rappen und die erfüllen meine Kriterien, die ich an Rapper habe. Und das sind vielleicht andere, die Savas an seine Rapper hat oder Azad oder Bushido, weißt du, jeder von diesen Rappern, die auch andere Rapper signen. Jeder macht das nach seinem Ding und ich denke, das macht HipHop auch so interessant. Dass es so vielschichtig ist, fast so wie eine Religion, eine ganze Kultur, wo Leute soviel reininterpretieren. Aber es gibt eben auch die verschiedenen Fraktionen: es gibt die Fundamentalisten, die vier-elemente-mäßig die Flagge hoch halten. Dann gibt es mittlerweile die, die sagen: "ich scheiß eh auf HipHop. Ich mache das nur um Geld zu machen, denn eigentlich bin ich Hustler bla bla". Es gibt diese ganzen Richtungen und ich komme definitiv aus diesem HipHop-Ding, aus dem Ur-HipHop-Ding: Grafitti, auflegen, Beats machen und rappen. Das ist das, was ich so mache. Trotzdem kann ich die andere Seite auch verstehen, wenn Leute einfach nicht aus dieser HipHop-Szene kommen und ihr ganzes Leben immer gehustelt haben und dann haben sie auf einmal ne gute Möglichkeit, zu rappen und über den Hustle zu reden und damit Geld zu machen. Ich denke, es kommt dann drauf an, ob es gut gemacht ist oder nicht. Und ich finde, in vielen Fällen hier in Deutschland ist er nicht auf dem Level wie in den Staaten, wo ich sagen würde, dass in den Staaten die besten Rapper Gangster-Rapper sind. Und hier finde ich das rein technisch nicht.
rap.de: Gerade geht ein Video von einem Studenten um, der ein Video zu „24“ von Curse gemacht, passend zum Welt-Aids-Tag. Könntest du dir vorstellen, auch über solche Themen ein Track zu machen?
Samy Deluxe: Ich denke, dass kommt immer drauf an, ob einem der Geistesblitz kommt. Es gibt viele Themen, die mich irgendwie interessieren. Obwohl ich ja viel über Rassismus nachdenke, hast du jetzt ja auch nicht 20 Rassismus-Lieder von mir in meiner Karriere gehört. Es kommt mal hier oder mal da. Man muss einfach die richtige Form finden. Es wäre einfach albern, wenn jetzt nach so einer Kampagne, nach den Plakaten auf einmal die Samy Deluxe „Stoppt Aids“- Single kommt. Dann kommt das so rüber, als ob ich diese Plattform nutze, um mich zu bereichern. Dabei will ich ja in Wirklichkeit dieses Thema bereichern und versuchen was zu bewegen, was andere Leute hier nicht bewegen können.
rap.de: Das war es dann. Danke, dass du bei diesem Stress hier Zeit für uns gefunden hast.