Aggro Berlin

Mit den „Aggro Videos Teil 1 2001-2005“ bringt Aggro Berlin eine Werkschau der seit der Labelgründung gedrehten Clips auf den Markt. Einschließlich des Intros gibt es insgesamt 20 Videos zu sehen, wobei es der Clip zur aktuellen Single „Wahlkampf“ von Sido & G-Hot nicht mehr auf die DVD geschafft hat. Dafür sind sämtliche Aggro-Klassiker enthalten (u.a. „Weihnachtssong“, „Mein Block“, „Fuffies im Club“, „NDW 2005“ und „Steh wieder auf“) und außerdem featuret die DVD einige Videos, die nie oder vergleichsweise selten im Fernsehen liefen. Bemerkenswert ist die herausragende Bild- und Tonqualität, die die für die Musikfernsehkanäle komprimierten Fassungen weit hinter sich lässt. Bedauerlich ist demgegenüber, dass die DVD mit keinerlei Bonusmaterial aufwartet. Auf die Suche nach Making-Ofs oder Interviews mit Künstlern oder Regisseuren begibt man sich vergebens, was schade ist, da das Produkt dadurch erheblich aufgewertet worden wäre.

Regie-seitig gehen die meisten Aggro-Videos auf die Kappe des Duos Specter und Daniel Harder. Für einzelne Clips wurde auch mit anderen Regisseuren zusammen gearbeitet, in letzter Zeit häufiger mit Moritz Stumm, der maßgeblich an „Twoh“ von B-Tight & Tony D und „Gib mir die Flasche“ von Deine Lieblingsrapper beteiligt war. Alle „großen“ Videos entstanden jedoch unter der Leitung des Teams Specter & Harder, mit dem wir anlässlich des DVDs-Releases ein Interview geführt haben.

rap.de: Wie habt ihr euch kennen gelernt und wie kam es dazu, dass ihr für die Aggro-Videos fast von Anfang an gemeinsam Regie geführt habt?

Specter: Kennen gelernt haben wir uns bei diesen Lucky-Strike gesponsorten Fat Vibes-Touren, also diesen Busta Rhymes-, KRS One–  und Wu-Tang-Touren Ende der 90er. Ich habe dafür damals die  Illustrationen gemacht und Daniel hat die Touren dokumentiert. Wir hatten also mal denselben Auftraggeber.

Harder
:„Ansage 2“ war dann der Start. Erik rief mich an und meinte „Du weißt doch, wie man Videos macht –  wir wollen jetzt auch welche drehen“.

Specter
: Mir fehlte es damals ganz maßgeblich an Erfahrung und Know-How, und in meinem Umfeld kannte ich vor Ort nur Daniel. Ich hatte natürlich auch „Dickes B“ [das Daniel Harder gedreht hat, genau wie alle anderen Videos des ersten Seeed-Albums, Anm. d. Red] gesehen und fand das voll geil, war aber selbst Lichtjahre davon entfernt, so was drehen zu können. Qualitativ haben wir diesen Schritt gemeinsam dann auch erst bei „Mein Block“ gemacht – das war der Anschluss.


rap.de: Was konntest Du von Daniel lernen?

Specter
: Daniel hat mich an die ganze Filmarbeit herangeführt und mir vor allem gezeigt, was im Rahmen eines Videos überhaupt machbar ist. Am Anfang bist du da als Kreativer noch sehr maßlos und musst lernen, zu reduzieren. Ein Musikvideo dauert eben nur ein paar Minuten, es sind eine Menge Parameter zu beachten und man kann dem Zuschauer auch nicht alles zumuten.


rap.de: Wie hat sich eure Zusammenarbeit über die Jahre entwickelt?

Harder
: Unter anderem sind wir viel schneller geworden. Anfangs haben wir noch sehr lange entwickelt. Um bei„Ansage 2“ überhaupt erst mal reinzukommen, habe ich z.B. zwei Monate gebraucht.


rap.de: Gibt es eine feste Rollenverteilung?

Harder
: Inzwischen nicht mehr. Aus der Historie heraus ist Specter aber etwas näher an den Künstlern und bestimmt stärker, wie die Dinge aussehen sollen, die die machen – er hat vergleichsweise also eher den Part des Art Directors, während ich eher die filmische Seite abdecke. Wenn ein Set dann läuft, verfließt das aber auch alles sehr schnell. Überhaupt teilen wir uns mittlerweile eigentlich alles, das Kreative wie die Durchführung.

Specter
: Als ich bei den ersten Videos am Set stand, hätte ich mich z.B. nicht getraut, den Kameramann anzureden und ihm zu sagen „Mach mal ´ne andere Optik drauf!“. Ich kannte die Begriffe auch nicht und konnte daher immer nur umschreiben. Z.B. „Es wäre cooler, wenn wir von unten kommen würden“ anstelle von „untersichtig“.


rap.de: Was macht für Euch generell ein gutes HipHop-Video aus?

Specter
: Für mich ist das zunächst auch einfach mal ein Level-Ding. Und da kommt handwerklich, von den Ideen und vom Geschmack her im Moment keiner an uns ran. Bushidos Videos sind uns da noch am nächsten, gerade auch vom Technischen und der Wertigkeit her. Dafür fehlt es da aber an anderen Stellen. Katja Kuhl hat auch schon geile Videos gemacht, aber der fehlt es an Kontinuität – ich finde das qualitativ sehr schwankend. „Haus & Boot“ mag ich z.B. gerne und dann kommt „Till ab Joe“, und da denke ich „Um Himmels Willen“. Das würde uns noch nicht mal auf Crack passieren. Curse mit „Gangsta Rap“ war in letzter Zeit noch ein amtliches Video, aber das war es auch.


rap.de: Ok, aber was macht inhaltlich ein gutes HipHop-Video für Dich aus?

Specter
: Wenn du die Musik so bebilderst, wie sie ist, entsteht das, was ich mit einem guten Rapvideo meine. Wenn ich Orgi-Untergrund-Videos sehe, finde ich die geil. Egal mit welchem Budget die arbeiten, das ist eben echt. Die Anderen haben sich bisher alle nichts getraut oder dachten immer, man muss irgendwie anders sein. Man kann aber auch Klischees benutzen und das haben wir natürlich auch getan. Manchmal kommst du darum auch gar nicht herum. Aber weshalb auch? Du musst das bedienen, nur musst du das eben auch gut und originell machen. HipHop ist ein Wettbewerb – wenn da einer mit ´nem Jeep kommt, komme ich eben mit dreien. Ich habe nichts Neues gemacht, aber ich habe den Typen getoppt. Dieses ganze Ding läuft hier in Deutschland aber gar nicht – Bushido ist der Einzige, der darauf eingeht.


rap.de: Was zeichnet Eure eigenen Videos deiner Meinung nach aus?

Specter
: Aggro Berlin hat einfach Sachen gemacht, die sich andere Label nie getraut hätten. Wir haben angefangen, die Grenzen mit Titten, Ärschen und Waffen auszuloten. Das ist natürlich auch nichts Neues. Aber wir müssen Rapmusik auch nicht neu definieren. Die ist so wie sie ist, und die Diskussion darüber, wie Rapmusik zu sein hat, ist auch langweilig. Abgesehen davon wird sie von Leuten geführt, die keine Ahnung haben, wovon sie reden. HipHop ist, wie er ist und daran können auch die Deutschen nichts ändern. Ich spüre bei uns gewisse Widerstände, Dinge einfach zu akzeptieren. Wenn ein Prolet von der Straße kommt, hat der in Sachen HipHop einfach mehr zu sagen, als ein Typ, der da von oben drauf kuckt und sich da reindenkt. Der eine hat die Energie, der Andere muss sie sich suchen. Es geht um Leute, die HipHop sind, ohne zu wissen, dass es so ist.


rap.de: Du hast das Ausloten von Grenzen angesprochen. Hat sich die Jugendschutz-Diskussion des vergangenen Jahres auf Eure Arbeit ausgewirkt?

Specter
: Das Griefahn-Thema hat auf jeden Fall auch bei den Sendern stattgefunden. Die sind sehr vorsichtig geworden, und die zwei Aggro-Videos vor„Wahlkampf“ sind auch beide in der MTV-Rechtsabteilung gelandet. Die achten da nicht darauf, ob die Videos schön sind, sondern auf andere Dinge. Wir mussten auch schon mal umschneiden. Von „Aggro Berlin Zeit“ gab es z.B. zwei Versionen, von denen eine erst ab 22 Uhr lief. Die Tendenz bei uns ist daher auf jeden Fall, mit den Bildern weniger explizit zu sein. „Fuffies“ würden wir heute meiner Meinung nach auch nicht mehr durchkriegen, aber nach dem Hype von „Mein Block“ war man uns gegenüber für eine kurzen Moment kulanter. Da ist das durchgeflutscht, aber wir haben schon damals gemerkt, dass wir damit vielleicht etwas zu weit waren.


rap.de: Denkt ihr schon während des Drehs an diese Grenzen?

Specter
: Spätestens im Schnitt denken wir definitiv daran. Wir auto-zensieren ja auch die Lieder. Fans denken oft fälschlich, dass MTV da was rausschneidet, aber wenn da ein Wort fehlt, waren wir das. Wenn wir das nicht machen würden, würde das betreffende Video nicht laufen.


rap.de: Was war budgetunabhängig das aufwendigste Video, das ihr gemacht habt?

Specter: „Steh wieder auf“ – das haben wir in so ´nem ehemaligen Stasi-U-Haft-Knast am Alex gedreht.  

rap.de: Der Knast steht am Alexanderplatz?

Harder: Ja, das ist so der Standard-Fernsehknast. Da dreht fast jeden Tag einer, weil der eben leer steht und auch mitten in der Stadt ist. Der taucht auch in jedem zweiten Tatort und bei Sperling auf. Jeder, der mal schnell ´ne Knastszene braucht, geht da hin – da fährst du rein und bezahlst pro Stunde.


rap.de: „Steh wieder auf“ wirkt für mich von allen Videos auch am Filmischsten…

Specter: Was man da sieht, sind lang gereifte Zusammenhänge – da sind Storys drin, die bei Aggro auftauchen, seitdem wir Bilder machen. Für uns sind das quasi existentielle Sachen. In dem Video gibt es dieses Element von „Musik machen und dafür gesellschaftlich zur Rechenschaft gezogen werden“ – in Form von Verhaftung. Das hatten wir bei „Fuffies“ und das kehrt da wieder. Außerdem liefert das Video ja so eine Art Wiedergeburtsszenario, das du als kontroverser Künstler ja auch durchmachst. Du bringst eine Platte raus, wirst dafür von der Öffentlichkeit getötet, musst dich neu erfinden und wieder neu rauskommen. Das passiert bei uns jedes Mal, wenn wir ein Lied machen, und das haben wir mit dem Video bebildert: Sido hängt am Kreuz und am Ende sieht man wieder die Bühne vom Anfang, nachdem Harry ihn ausgegraben hat – das ist ein Kreislauf.


rap.de: Für welches Video hattet Ihr das größte Budget?

Specter: Am teuersten war das TomekkVideo mit rund 100.000, – €. Da war eben auch viel 3-D und Compositing drin.

Harder
: Diese ganze Fliegerarie, wie Tomekk da am Anfang aus dem Flugzeug springt – das ist natürlich aufwendig. Das kommt alles aus der Flame bzw. wird damit dann zusammen geklatscht. Dann war das natürlich auch ´ne fette Location mit hunderten von Komparsen.


rap.de: Das erste Video, das richtig groß wirkte, war „Mein Block“. Wo lag das Budget dafür?

Harder: Zu „Block“ können wir eigentlich keine realistischen Angaben machen, weil das sozusagen unter Ausnahmebedingungen zustande kam. Wenn wir das Video normal bezahlt hätten, hätte das locker zwischen 70- und 80.000, – € gekostet. Das war damals wirklich verrückt, weil ja noch gar nicht daran zu denken war, mal eine goldene Platte zu verkaufen. Wir haben vier Tage auf 35mm gedreht und dabei über 30 Rollen Material verschossen. Wir hatten bei „Mein Block“ aber eben das Gefühl, dass das der Song ist, mit dem man nun angreifen und auch wirklich in die normalen Playlists kommen könnte. Deshalb haben wir auch alles gegeben.

Specter
: Das mussten wir auch, denn von Aggros Seite aus war das auch Crunch-Time. Hätte Sidos Album nicht funktioniert, hätte es Aggro nicht mehr gegeben. Wir hätten natürlich noch weiter murksen können und vielleicht hätten wir das auch getan. Aber von der Laune her war es bei der Geschäftsführung eher so, dass wir aufgehört hätten, wenn es nicht geklappt hätte.

Harder
: Wir haben alle angeschnorrt, die man anschnorren konnte. Wir hatten nur ein sehr kleines Team und haben den Leuten auch nur kleine Pauschalbeträge gezahlt.

Specter
: Die Produktion hat uns Filmmaterial aus ihrem Kühlschrank geschenkt, das sie noch hatten. Da war viel Kulanz dabei. Allerdings auch viel Guerilla und viele Sachen, die wir heute nicht mehr dem Zufall überlassen. Wir sind da auch einfach rein ins Gebäude – heute arbeiten wir nicht mehr so.

Harder
: Man darf beim Punkt Budget aber generell nicht vergessen, dass bei den Aggro-Videos gewisse Posten immer schon vom Auftraggeber selber – also von Aggro – geleistet werden. Die Videos wären alle wesentlich teurer, wenn wir die als Fremdanbieter für Dritte machen würden. Posten wie Styling und Komparsen werden z.B. von Aggro organisiert, da wird das Label dann zum Zulieferer für den Film. Wenn du da jedes Mal 30 Typen bezahlen müsstest, würde das überhaupt nicht gehen.


rap.de: Bei MTV und Viva wird in den sogenannten Acquisition-Meetings entschieden, ob ein neues Video gespielt wird oder nicht. Glaubt ihr daran, dass da freie redaktionelle Entscheidungen getroffen werden?

Harder
: Was heißt frei? Man muss ja auch mal sehen, dass das ein Meeting von einem Unternehmen ist, das entscheidet, wie das Unternehmen laufen soll.

Specter
: Richtig – die sind nicht verpflichtet, sich allen gegenüber als Medium zu öffnen und alles zu spielen. Gerade so Leute wie wir haben da vielleicht so ein Ungerechtigkeitsgefühl, aber eigentlich ist das quatsch. Wenn Universal da Werbeslots schaltet, dann haben die auch Einfluss auf die redaktionelle Tätigkeit des Senders, während wir als Aggro Berlin das z.B. nicht tun und froh sein dürfen, dass sie uns trotzdem spielen. Bis jetzt muss man MTV ja auch zugute halten, dass sie das, was wirklich relevant und gut ist, letztlich auch zeigen. Wir können uns bei denen zumindest nichts kaufen. Dieses gespannte Verhältnis, das die Leute zu den Sendern haben, beruht halt auf der Abhängigkeit – wenn die dein Video nicht spielen, bist du eben gefickt. Das ist natürlich anstrengend, und das empfinden wir auch so. Wir könnten mit unseren Videos ja auch viel weiter gehen, wenn wir uns nicht selbst zensieren müssten. Im Moment machen wir ja angewandte Kunst in dem Auftrag, im Fernsehen laufen zu müssen.

Harder
: Scheiße ist natürlich, dass das mittlerweile ein Monopol ist. Früher konntest Du Viva und MTV ja vielleicht noch ein bisschen gegeneinander ausspielen. Mittlerweile kannst du das knicken.


rap.de: Irgendwann wird es dieses Problem ja nicht mehr geben. Schon jetzt kann man ja z.B. „Wordcup“ im Internet sehen.

Specter: Ja. Wir arbeiten zurzeit auch daran, die Internetplattform zu einem Fernsehmedium aufzubauen – also „aggro.tv“. Wir haben seit cirka einem Jahr diesen kleinen Bildschirm auf unserer Seite, und da sollen in Zukunft noch mehr Videos, Making Ofs und Werbungen von uns rein, irgendwann aber eben auch eigene Sendekonzepte.

Harder
: Es ist ja nur eine Frage von ein paar Jahren, und dass es kommen wird, steht ja fest. In drei oder fünf Jahren kannst du Fernsehen im Internet machen.

rap.de: Vielen Dank für das Gespräch.