Es gibt ihn noch. Den Berliner Rapper. Den „Eingeborenen„, wie es K.I.Z. einmal umschrieben. Umzingelt ist er. Von Zugezogenen. Also zieht er sich einen Hoodie an. Auf der Oberkörperbekleidung steht es laut geschrieben: Du! bist kein Berliner. Der Berliner ist also nicht dumm. Wenn die Situation für Alteingesessene schon ekelhaft zu werden droht, warum dann nicht aus der misslichen Lage wenigstens ein paar Moneytos quetschen. Gangsta eben. So könnte man das Gedankenspiel würfeln, betrachtet man Saids Cover zu „Hoodrich“ und reflektiert zugleich den Titel. Ob der Berliner tatsächlich so leicht zu dekodieren ist, „Hoodrich“ eine Weiterentwicklung zu „Zum Leben veruteilt“ darstellt, und ob das Ganze hier noch Straße ist – das wird sich auf den 16 Anspielpunkten der uns vorliegenden Version zeigen.
Drei Alben („Alles oder Nichts“ mit Jom, „Said“ und „Zum Leben veruteilt“) zeigt die Diskographie Saids bisher auf. Und über diese, plus die EP „Jib Ihm“ mit Mosh36, den „Hoodrich Sampler“ und die „Bellini Boyz“ – EP mit Ufo361 und KD-Supier, reflektiert Said auf der ersten Anspielstation „Nachgeladen“ in chronologischer Reihenfolge seinen bisherigen musikalischen Werdegang. Damit verschafft er dem Hörer eine Vorstellung von den Umständen, die das Gefühl jener Lebensabschnitte bestimmten. Bildhaft und mit der für Said typischen Mischung aus Melancholie und Wut in der Stimme, gibt’s also ein ein gelungenes „Intro“ auf die Ohren, welches auch neuen Hörern einen guten Überblick liefert, was der Hoodrich – Künstler in den letzten Jahren so auf der Straße und im Studio getrieben hat.
„Es kommt nur darauf an, was ich anhabe man, und schon mach ich den Cripwalk auf der Anklagebank“ – Said in „Carlo“
Überhaupt sind das Leben und seine Geschichten des Albums Flüssigkleber. „Hoodrich“ ist deutlich vom Storytelling geprägt. Anschließend an den Rückblick „Nachgeladen“ packt Said z.B. in Sachen Haute Couture fast das Fernrohr mit Blick ins letzte Jahrtausend aus. Sein Throwback „Carlo“ ist die Liebeserklärung an die Kleidungsmarke Carlo Colucci und an eine Zeit, bei dem das Wort Carlo noch keine Bilder von einem sprechsingenden Panda in den Kopf rief. Speziell die farbenfrohen Pullover der Marke haben in Berlin eine ganz eigene Bedeutung, und so zollt Said seinen Carlos, die Ende der Neunziger, Anfang der Zweitausender die Straßenuniform Numero Uno darstellten, ihren verdienten Respekt. Ob der Song den Trend auch neustarten könne, wie Said im Interview mit rap.de-TV angab, dürfte aber fraglich sein. Aufällig erscheint „Carlo“ auch raptechnisch durch seinen abwechslungsreichen Flow, welcher durch Tempowechsel auch spittaffinen Hörern ein Grinsen abringen dürfte. Der traplastige Beat mit tief gepitchter Stimme in der Hook brettet hart gegen die Hauswand jeden Blockes in und um Neukölln/Kreuzberg. Mission erfüllt.
Sucht man eine musikalische Konstante auf „Hoodrich“, landet man fast zwangsläufig beim den Instrumentalen und Raps innewohnenden Hang zur Melodie. Kein Track kommt ohne den Copyright-Flow Saids und stimmungsreich produzierte Beats aus, die immer passend auf die inhaltliche Ebene abgestimmt sind. Ob Ficksong („F!cken„, der unpeinlichste Song über Weiber seit „Fick Dich“ von Jonesmann), Track für die verstorbene Mutter oder ein ungeborenes Kind („Höre dich rufen“ und „Junior“), ob die Thematisierung der Werte auf und fern der Straße („Gute Tage, schlechte Tage“ feat. Marc Reis oder „ZIDZ“), oder Storytelling über korrupte, gewalttätige Polizisten („Freund und Helfer„), Said versieht seine Geschichten stets mit dem Gefühl, für den richtigen Flow zur richtigen Stimmung. Die Beats ziehen nach, und so entsteht ein meist naheliegendes Ergebnis. Teilweise leider allerdings auch zu vorhersehbar. Mit Ausreißern nach unten liegt hier oft genau der Sound vor, den man sich als Hörer, ob des Themas des jeweiligen Songs vorgestellt hätte. Ist das überdurchschnittlich umgesetzt – was im Fall von „Hoodrich“ zumeist mit Ja zu beantworten ist und dem Album letztlich den Arsch rettet – ist der Flash vorprogrammiert. Bewegt man sich aber in den Sphären des Durchschnitts oder tiefer („Bei mir“ oder „Alles geht weiter“ feat. BRKN), kommt schnell Langeweile auf. Hier hätte dem Album das eine oder andere Experiment gut getan.
„Du kennst den Modus, deshalb arbeiten wie hart am Prominentenbonus“ – Silla auf „Anders als wir“
Der Höhepunkt von „Hoodrich“ erwartet den Hörer auf „Anders als wir“ feat. Silla und PTK. Hier spielt Said all das, was zu seinen Waffen gezählt werden kann, aus: Stimme, Flow, Atmosphäre, Gefühl für Hooks, Songkonzept und die Mischung aus Straßenkante und Sozialkritik. Plus den Orgel-dominierten Beat und die beiden Features kann der Track mit seiner Botschaft und dem dahintersteckenden Aufruf punkten. Conscious-Rap, der nicht verkopft ist.
„Die Merkel is’n Gangsta“ – Said auf „Anders als wir“
Die Kunst der Erzählung von Geschichten liegt Said hörbar und wird auf „Hoodrich“ vom Gangster („Nummer unterdrückt“ feat. Maskoe), zum Hustle („Hab’s versprochen„ feat. Veysel), über den Representer („Laber nicht„) bis zum Club („Rich Bitch“ feat. KD Supier) stringend durchgezogen. Hatte man nur ein Album Zeit seine Inhalte zu verpacken, Said hätte es geschafft, den Ladebalken auf über 90 Prozent zu treiben. Mission erfüllt.
„Im Protokoll steht, ich wäre ausgerutscht, hab nichts ausgepackt, schon hat ihm die Faust gejuckt“ – Said auf „Freund und Helfer“
Erwartet man von einem guten Album klangliche, inhaltliche und charismatische Konsequenz, den berühmten roten Faden, wird man von „Hoodrich“ nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Sucht man allerdings ein Album, dass auch am Stück mehrfach hörbar ist, mit der Vorliebe für Variation, liegt der Dämpfer nahe. Zu eben, zu einheitlich ist das Klangbild, was Beats und Flows betrifft. Ein Löffel mehr Abwechslung hätte das Album noch stärker gemacht. Nichtsdestotrotz legt Said einen überdurchschnittlichen Langspieler vor, der, Stand jetzt, sein stärkstes und schlüssigstes Werk abgibt. Man merkt, der Berliner hat sich selbst gefunden. Und seinen Sound sowieso. Mission erfüllt.