Olson – Ballonherz (Review)

Im Leben des Olson Rough ist in den letzten paar Jahren viel passiert, aber irgendwie auch nicht. Spulen wir zurück: 2011 wurde der Düsseldorfer als Teil der “Neuen Reimgeneration” einem größeren Publikum bekannt gemacht und galt neben Crockstahzumjot als einer der Favoriten darauf, das nächste große Ding nach Casper und Marteria zu werden. (Dieses Rennen wurde dann doch recht eindeutig entschieden.) Im selben Zeitraum: Release der gefeierten “40213”-EP, Major-Deal bei Universal samt dickem Vorschuss, Umzug in die Bundeshauptstadt und gewaltige Erwartungen an das sicherlich bald folgende Album.

Passiert ist dann erstmal: nichts. Olson droppte in den Jahren danach die ein oder andere vielversprechende Feature-Strophe (etwa bei Felix Krull oder Psaiko.Dino), aber das mit dem Album wollte nicht so recht funktionieren. Das war wohl einerseits in den Verlockungen des Berliner Nachtlebens begründet, andererseits aber auch darin, dass Olson erstmal seine musikalische Vision finden musste und im nächsten Schritt die richtigen Leute, um diese Vision umzusetzen.

Dafür hat sich Olson laut eigener Aussage sämtliche relevanten Pop-Alben der letzten Jahre besorgt, um ihr Erfolgsrezept herauszudistillieren, und diese gründliche Recherche hört man dem Album auch an. “Ballonherz” ist moderner, mit großer Ernsthaftigkeit betriebener Pop, den Olson mit Hilfe der Beatgees in ein HipHop-Grundgerüst übersetzt hat. Zwar wird auf dem Album auch viel gerappt und Kendrick Lamar zitiert, wie es sich halt so gehört. Aber die primären Inspirationsquellen sind dann doch andere: Lana del Rey, Ellie Goulding, Katy Perry. Das schon mal zur Abschreckung.

Spätestens an dieser Stelle wird auch klar, dass der oft geäußerte Drake-Vergleich vollkommen ins Leere läuft. Während Olson sich primär an den großen Pop-Namen der Gegenwart zu orientieren scheint, ist Drakes Sound-Ästhetik fest im R&B und Südstaaten-Rap der Neunziger verwurzelt. Auch textlich haben die beiden gar nicht so viel gemein, wie sich zunächst annehmen ließe – was vor allem damit zu tun hat, dass Olson tatsächlich in größeren Maßstäben denkt als der kanadische Weltstar.

Bei Drake geht es inhaltlich vor allem um Selbstreflexion, um brutale Ehrlichkeit zu sich selbst und die Aufarbeitung seines widersprüchlichen Lebensstils. Olson hingegen vertritt klar den Anspruch, nicht nur für sich selbst zu sprechen, sondern für eine ganze Generation, die ähnlich großgeworden ist wie er: “Mach die Augen auf, bonjour Tristesse / Jeder hat hier eins gemein, wollen nur hier weg”, beginnt Olson auf dem grandiosen Opener “Mein kleines Hollywood”. “Ballonherz” ist ein Album über das Ausbrechen, über die Flucht aus der Ödnis der ländlichen Kleinstadt, über den diffusen Wunsch, einfach nur abzuhauen von all dem Abfuck aus Schule, Eltern und Nachhilfeunterricht – am besten zusammen mit der Nachbarstochter, in die man schon seit dem Kindergarten verknallt ist. Wohin ist egal. Wo auch immer das Herz einen hinträgt.

Olson versucht dabei gar nicht, aus der Warte eines 28-jährigen Erwachsenen zu sprechen, was man ihm natürlich als kühl kalkulierte Konzentration auf die jugendliche Zielgruppe auslegen könnte. “Ballonherz” ist ein Album über Probleme, die relativ nichtig erscheinen – aber gerade deswegen dürfte es näher an der Lebensrealität der meisten Hörer liegen als vieles, was deutsche Rapper sonst so erzählen.

Die romantische Idee der Flucht aus der Tristesse ist natürlich ein Gegenstand, den vor Olson schon andere bearbeitet haben, unter anderem Cro, Casper und Marteria. Aber Olson setzt dieses Thema in einer ganz anderen Konsequenz um als seine Kollegen. Das komplette Album folgt einem stimmigen Soundbild und klingt nach Cabrio-Fahrten bei offenem Verdeck, irgendwo auf der I-95, dem Sonnenuntergang in Miami Beach entgegen. (Kein Zufall, dass die bislang veröffentlichten Videos zum Album allesamt in den USA zu spielen scheinen.)

Olson verfolgt auf “Ballonherz” eine musikalische Vision, die ganz schnell peinlich wirken kann – von daher ist es ihm und den Beatgees hoch anzurechnen, dass das Album größtenteils auf der richtigen Seite der Kitsch-Grenze verharrt. Klar, einige Textstellen und Refrains sind schon hart an der Grenze. Die Hook zum Titeltrack etwa könnte so ähnlich auch von Helene Fischer stammen. Aber dafür halt: die so perfekten Drums im Refrain von “Morgen Vorbei”. Die Klarheit, in der “Taxameter” die Sinnlosigkeit von One-Night-Stands seziert. Die Nonchalance, mit der Olson auf “Megafon” seinen Lebensstil beschreibt: “Meine Mom will mich wiedersehen, meine Ex mich nie wieder sehen.

Inhaltlich sehnt sich “Ballonherz” nach großen Hollywood-Momenten, doch musikalisch liefert es viele kleine grandiose Augenblicke. Manchmal wünscht man sich schon, dass Olson ein bisschen stärker aus seinem Konzept ausbricht, wie er es etwa auf der angenehm leichten und selbstironischen Single “James Dean” tut. Stellenweise wirkt das Album dann doch etwas verkopft. Trotzdem bleibt “Ballonherz” eine starke und mutige Platte, mit der Olson endlich angekommen zu sein scheint – ähnlich wie auch sein Protagonist auf dem letzten Song “Feuerwerk” endlich angekommen ist: “Scheiß auf die Freigetränke / Hauptsache nie mehr den Bezug verlieren / Solange du bei mir bist / alles gut ab hier.” Mag sein, dass “Ballonherz” eine Ansammlung von Nichtigkeiten ist. In erster Linie ist es aber: schön.

Text: Florian Reiter

Ballonherz
VÖ Datum: 2014-08-29
Verkaufsrang: 404
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