Ist Antisemitismus nur ein Kampfbegriff? Wird der Vorwurf des Judenhasses missbraucht, um unliebsame Stimmen mundtot zu machen? Nein. Deutschrap hat definitiv ein Problem mit antisemitischen Denkmustern. Dem müssen wir uns stellen.
Deutschrap 2019. Vier Leute sitzen an einem Tisch und diskutieren. Einer davon ist B-Lash aus Berlin-Kreuzberg, HipHop-Veteran, Produzent, Rapper und selten um eine starke Meinung verlegen.
Oft ist das, was er sagt, fundiert und nachvollziehbar. In diesem Fall aber nicht. Mit einem seltsamen rhetorischen Spielchen entkräftet er ein durchaus reales Phänomen: Antisemitismus im Deutschrap.
Anstatt anzuerkennen, dass das Problem existiert, erklärt er, für ihn sei Antisemitismus erstens kein Judenhass, sondern Hass auf Semiten (also auch Araber, Armenier etc.). Das ist schon mal vorsichtig gesagt sehr eigenwillig: Antisemitismus beschreibt seit der Einführung des Begriffs den Hass auf jüdische Menschen. Sprachlich ist der Begriff unsauber und unscharf, aber was er zu beschreiben versucht (Hass auf jüdische Menschen), ist sehr real.
Alles andere ist Wortklauberei, die davon ablenkt, dass dieses Phänomen nach wie vor existiert – in der deutschen Gesellschaft wie auch im Deutschrap. Und ja, der Hass auf Juden geht oft einher mit Hass auf Muslime, Hass auf Schwarze Menschen, Hass auf Homosexualität, Hass auf Frauen. Es gibt ihn aber, genau wie die anderen genannten Phänomene, auch solo.
Zweitens erklärt er Antisemitismus zum reinen Kampfbegriff, mit dem unliebsame Meinungen mundtot gemacht würden. Auch das stimmt so nicht.
Genug Beispiele
Zum einen sind leider genug Vorfälle im Deutschrap dokumentiert, in denen sich Künstler*innen – ob wissentlich oder nicht – antisemitisch geäußert haben. Haftbefehls oft zitierte frühere Lines gehören genauso dazu wie Massivs Facebook-Post über 4.000 Israelis, die angeblich am 11. September 2001 nicht im World Trade Center zur Arbeit erschienen sind oder Kollegahs mit antisemitischen Symbolen und Denkmustern gespickten Werk „Armageddon“ (das mittlerweile von YouTube verschwunden ist) sowie seiner Relativierung des Holocausts in einem Interview.
Wer macht wen mundtot?
Zum anderen: Wer wurde bitte jemals durch den Vorwurf, Antisemit zu sein und/oder antisemitische Statements abgegeben zu haben, mundtot gemacht? Gilt das für Kolle mit seinen über 300k Abonnenten auf YouTube? Für Massiv, der eine gefeierte Hauptrolle in der gefeierten Serie „4 Blocks“ hat?
Hinschauen statt Wegschauen
Mein Appell an alle im Deutschrap lautet daher: Machen wir uns nichts vor. Deutschrap ist genauso wenig frei von Antisemitismus wie er frei von Rassismus, Sexismus, Islamhass, Homophobie und allen weiteren menschenfeindlichen Ideologien ist.
Man muss ihn nicht darauf reduzieren. Er hat das auch nicht exklusiv – in ihm spiegelt sich unsere gesamte Gesellschaft nur sehr zugespitzt wider. Trotzdem oder gerade deshalb dürfen wir dieses Problem nicht kleinreden. Auch wenn das wie immer bequemer und einfacher wäre.