Flers Meinung zum Thema Amerika ist wohlbekannt. Man weiß mittlerweile: Fler liebt und bewundert dieses Land. Das merkt man auch sehr deutlich an seinem neuen Soundbild, das er seit seinem letzten Album „Hinter blauen Augen“ verfolgt . Alles soll größer, monumentaler, dramatischer klingen, ganz nach dem Vorbild des großen Bruder aus Übersee eben. Hamses nich‘ ’ne Nummer kleiner? Nee! Trap, Dirty South und Crunk lassen freundlich grüßen. Wie zu erwarten erzeugte diese musikalische Anlehnung bei den Amis in Teilen der traditionell wenig flexiblen Deutschrapgemeinde einen empörten Aufschrei. Aber hey, Rap kommt nun mal aus den USA. Und noch jede deutsche Spielart von Rap hatte ein amerikanisches (in selteneren Fällen auch französisches) Vorbild.
Und siehe da: Wo Fler mit seinem ersten Schritt in die neue Richtung, „Hinter blauen Augen„, teilweise noch etwas holprig klang, hat er sich auf dem Nachfolger „Blaues Blut“ offenbar eingegroovet. Die Mischung aus seinem im Vergleich zu alten Zeiten deutlich langsamerem Flow und den pathetischen Synthiebeats klingt auf einmal viel organischer und weniger aufgesetzt. Ob das nun daran liegt, dass sich der Hörer daran gewöhnt hat oder daran, dass Fler seinen neuen Style inzwischen besser verkörpert – egal.
„Der einzige, für den man spielen sollte, ist man selbst“ – mit diesem Zitat aus „The Fan“ mit Wesley Snipes und Robert De Niro beginnt das Intro von Flers zweitem Album der Ära Blue Magic. Und auf diese durchaus programmatisch zu verstehende Ansage folgt auch gleich das erste Ausrufezeichen. Das Intro kommt mit einem drückendem, basslastigen Beat daher und dem inzwischen bereits bekannten Fler-Flow: Viele bewusst gesetzte Pausen, Hashtagflow, ostentativ zur Schau gestellte Ignoranz und Gleichgültigkeit. Klar, die Vorbilder dieses Styles heißen Rick Ross, French Montana oder auch Booba. Der Punkt ist aber: Es funktioniert.
Thematisch gibt es nicht viel neues aus dem Hause Maskulin. Es geht um Scheine, hauptsächlich lilane, um den eigenen Status als CEO und um die rasche Hestellung sexueller Kontakte zu stets willigen Damen. Statussymbole, Materialismus und Angebertum. Der Weltfrieden interessiert Fler nicht, wie er in „Pheromone“ betont. Die Maskulin-Jungs sind eben „Echte Männer„, das gilt auch für die auf dem gleichnamigen Track gefeatureten Silla und Jihad, ehemals G-Hot. Hier wird mit Sicherheit kein Klischee ausgelassen. Das Ganze ist aber so herrlich übertrieben arrogant und vor Ignoranz strotzend umgesetzt, dass man selbst am liebsten den Maybach ausparken, damit über den Ocean Drive cruisen und Schlampen erst mit Geldbündeln bewerfen, dann mit Moet bespritzen will.
Selbst der sonst eher für sentimentale Liebeslieder bekannte Animus lässt sich von der ganzen Dicke-Eier-Stimmung anstecken. Auf „Grizzly“ liefert der Heidelberger eine weitere Bewerbung für ein Signing bei Maskulin ab, die der Prahlerei und Protzerei von seinem möglichen zukünftigen Labelboss in nichts nachsteht. Der zweite Part von „Neureicher Wichser“ setzt dem ganzen Geprotze dann die Krone auf. Dicker kann man gar nicht mehr rumprahlen – es sei denn man kommt aus Österreich, ist knapp zwei Meter groß, geistig zurückgeblieben und rappt über Hähnchenflügel, doch das steht auf einem ganz anderen Blatt.
„Ich kann dir gern was borgen/ wenn du am verhungern bist, denk dran, wie ich Steak ess‚“
Doch wer Geld und Ruhm hat, hat auch Feinde. Auch die bleiben auf „Blaues Blut“ natürlich nicht unerwähnt. Mit „Mut zu Hässlichkeit“ widmet Fler Kollegah und Farid Bang sogar einen ganzen Song. Doch auch abgesehen davon gibt es immer wieder Seitenhiebe Richtung Düsseldorf – normaler Move.
Ein weiterer Ausgleich zum Eier-Geschaukel sind Songs wie „Meine Farbe„, „City Boy“ oder „Produkt der Umgebung„, die zumindest inhaltlich mehr an den alten Fler erinnern – musikalisch jedoch kaum. Statt Glamour und Glitzer geht es hier textlich wieder hart, ruff und ehrlich zu, so wie in der Thermometersiedlung in Lichterfelde, in der Fler aufgewachsen ist.
„Junge, was ich bin?/ Das Produkt der Umgebung/ Alle um mich rum, meine Jungs, auf Bewährung/ Junge was ich bin, wollen die Reichen hier nicht haben/ Sie wollen mir was erzählen, doch ich scheiß drauf was sie sagen.“
Leider erspart uns Fler das gute alte Autotune auch dieses Mal nicht. Allerdings erfolt der Einsatz des umstritenen Vocal-Effekts dieses Mal weit dezenter als auf „Hinter blauen Augen„. So wurde zwar die Hook von „Skrupellos“ damit verunziert. Diese paar Sekunden sind allerdings aushaltbar. Außerdem gibt es ja auch noch die Skiptaste.
Für den nächsten Ausflug mit dem gemieteten Benz, auf dem Beifahrersitz eine Blondine mit großen Titten, aus den Boxen wummernde Bässe, der arm betont lässig meterweit aus dem Fesnter gelehnt, kann man sich also neben dem neusten French Montana-Mixtape nun auch „Blaues Blut“ vormerken. Nach einem tieferen Sin darf man hier freilich nicht fragen. „Blaues Blut“ ist nicht doppelbödig und mehrdeutig, sondern klar, simpel und plakativ. Wer seinen Rap gerne ignorant und unreflektiert, mit einem Schuss Vergangenheitsbewältigung hat, der ist hier genau richtig.