Wir schreiben das Jahr 2016 – ein junger Rapper namens Mena aus Bremerhaven erscheint auf der Bildfläche. Er kommt aus dem Sierra Kidd-Umfeld und es gelingt ihm blitzartig mit seinen Parts auf den zahlreichen Kidd-Releases und eigenen EPs einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Schon 2015, noch vor der „Strawberry Avenue“ und „Sandy Shores“-EP, wies Kidd bei den Kollegen der VICE darauf hin, dass Mena das nächste große Ding werden könne. Die Zweifler, die zu diesem Zeitpunkt diese Aussagen als Freundschaftsdienst, Vorschusslorbeeren oder billigen Promo-Move einordneten, wurden durch die beiden Mena-EPs schnell eines Besseren belehrt. Mit Bangern wie „Bankrolls“, „Wasser“ und „Wavy“, das auf Sierra Kidds Rest in Peace-Release erschien, liefert Mena dem Hörer eindrucksvolle Beweise seiner Schaffenskunst.
Seine Skills bildeten bereits zu diesem Zeitpunkt ein Komplettpaket, das durch die spielerische Leichtigkeit bei der Variation seines Flows und seinen bissigen und energiegeladen Delivery überzeugte und ihn zu einem der heißesten Newcomer macht.
Während die „Sandy Shores“-EP noch mit 5 Tracks und 15 Minuten Spielzeit daherkam und es an Mehrdimensionalität gefehlt hatte – was der EP durch die Klarheit und Stringenz in Aussage und Soundbild nicht schadete – erreicht uns nun die Folge-EP mit 8 Titeln die auf 25 Minuten verteilt sind.
Hier und jetzt
Nun kommt als das neueste Release „Lindsay Circus“. Und noch bevor es veröffentlicht wurde, warnte Mena auf seinem Twitter-Account, dass Trap-Fans es nicht feiern würden. Und das nicht ganz zu unrecht. Es geht dieses Mal in eine andere Richtung. Die Themen und Styles wurden auf Lindsey Circus multipliziert. Variantenreicher ist das Arsenal, das uns Mena auf hochwertigen und verspielten Instrumentals liefert, die mit den 808s, atmosphärischen Synthies und der eine oder anderen hypnotisierenden Bassline ständig nah am Zeitgeist ist, ohne austauschbar zu wirken.
Es geht zwar immer noch mit der gleichen Ignoranz und dem gigantischen Selbstbewusstsein zur Sache, wenn er im einen Moment statuiert, dass er deine „Bitch wegcockt“ oder dich stolz darauf hinweist, dass er „Dough knetet“, aber auch Lieder voll Schmerz, Sehnsucht und der eigenen Unfähigkeit zu lieben („Rotwein“, „Rose Interlude”, „Wenn ich dich seh” ) nehmen daneben stilsicher und selbstbewusst Platz.
Aller Anfang…
Bei all der Lobhudelei beginnt „Lindsay Circus“ jedoch mit einem Dämpfer. Das von Ashby produzierte „Rock the Boat“ zeigt gute Ansätze, aber besonders die Hook wirkt mir zu aufgesetzt und cheesy. Weder packt mich der Song emotional, noch erkenne ich hier die Stärken von Mena wieder. Zu austauschbar stellt sich für mich der Track – sowohl in der Delivery als auch im Style – dar.
„50 K“ wirkt dagegen nicht so erzwungen, die Reime nicht vorhersehbar, sondern klug gewählt. Und das Wichtigste: Ich spüre in jeder Zeile, mit welchem Spaß Mena die Lines aneinandergereiht und auf dem Beat platziert hat.
Der erste Track, der mich jedoch komplett begeistert, ist der von Gunboi produzierte Trap-Banger „Clout“. Hier bekomme ich wieder diesen „Sandy Shores“-Gänsehaut-Moment, mit einem Mena, der flext, als gäbe es keinen Morgen mehr und das auf eine spielerische, souveräne Art, die so wirkt, als wäre da stets noch Luft nach oben.
Gunboi plus Mena gleich Killerteam
Allgemein fällt mir auf „Lindsay Circus“ auf, dass Mena besonders auf den drei Produktionen von Gunboi heraussticht. Dieses Duo harmonisiert äußerst gut. Dabei bildet neben „Clout“ und „Rotwein“ zwar auch „Oh mein Gott“ keine komplette Ausnahme. Jedoch handelt es sich bei diesem Track um den schwächsten der drei – da kann Gunboi mit seinem durchschnittlichen Part das Ruder auch nicht mehr herumreißen.
Das experimentelle „Rose Interlude“, „Wenn ich dich seh“ sowie „Gang und Ich“ sind grundsolide Anspielstationen, die nicht lediglich als Lückenfüller dienen, aber gleichzeitig auch nicht darüber hinwegtäuschen können, dass es einem Mena-Moment wie „Clout“ fehlt.
Doch das starke „Rotwein“ erlöst mich von diesem Verlangen. Hier passt alles, das elegante, rhythmische Instrumental von Gunboi bildet ein hochklassiges Fundament für den Gesangs-Part von boredofgore13. Die Newcomerin nimmt sich ihre Zeit auf dem Beat während sie mit ihrer sanften Stimme beinahe in das Mikrofon wispert, aber ohne dabei an Wirkung zu verlieren. Auch Mena brilliert hier. Seine Delivery ist on Point, gleichzeitig beweist er gefühlvoll sein Gesangstalent. Ich spüre das Verlangen und die Sehnsucht in seiner Stimme. Der Song packt mich und verliert auch bei wiederholtem Hören nicht an Magie. Und während mir am Ende kanye’eske stimmverzerrte Gesangspart den Rest geben, spüre ich ganz klar, dass dies der Höhepunkt der EP darstellt.
Fazit
„Lindsay Circus“ macht Lust auf mehr. Mena unterstreicht seine Berechtigung, als einer der talentiertesten Newcomer genannt zu werden. Er ist ein Künstler, der sowohl auf melodiösen Beats mit einprägsamen Hooks überzeugen kann als auch auf roughen Trap-Instrumentals, mit seinem bissigen Style und seiner kraftvollen Stimme.
Mena hat mich auf dieser EP zunächst frustriert, dann hungrig gemacht und am Ende begeistert. Klar hat er noch Entwicklungspotential nach oben und es bleibt abzuwarten, ob er die Dichte an Qualität auch auf eine LP abliefern kann. Aber: Er ist ein vielseitiger und äußerst talentierter Künstler. Dies beweist er nicht zuletzt auf dieser EP. Und wenn er so weitermacht und sich noch stärker auf seine mannigfaltigen Stärken besinnt, dann wird er ein ganz Großer.