Ein frostiger Samstagmorgen, irgendwo in der alternativ geprägten Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt. Schon in Berlin war es arschkalt und schrecklich ungemütlich, aber hier, so nah an der Küstenlinie, scheint der Thermometer-Tiefpunkt endgültig erreicht. Milli Dance, seinerseits normalerweise Front-MC der berüchtigten Krawall-Rap-Kombo Waving the Guns, ist schon da, während nach und nach teils etwas verschlafene, aber gut gelaunte Gestalten eintrudeln… Etwas verspätet dann auch Punchlinemagier Pöbel MC und sein Homie und Kollege DJ Flexscheibe. Die Jungs wollen mir das Viertel zeigen, die Orte, an denen sie gerne sind oder gerne waren, wollen mich in anständige Kneipen und an den Hafen verführen. Und sie wollen mit mir über „Soli-Inkasso“ sprechen, das am 9. März das Licht der Welt erblicken wird.
„Pöbel und Dance“ haben eine Platte aufgenommen, losgelöst von üblichen Crewbezügen und, vielleicht gerade deshalb, erstaunlich facettenreich und befreit von bornierten Konzepten. „Proggressive Angebermucke für Atzen und alle anderen auch“ wie es zu Beginn der LP heißt, haben sie da fabriziert. Eine gute Beschreibung, da sich das Machwerk tatsächlich nicht viel besser definieren lässt. Es ist irgendwie zu vielschichtig und kantig für eine vorgefertigte Schublade … Mal lustig, mal ernst, mal bizarr, mal ganz bodenständig. Und dadurch umso spannender.
Auch wenn die Jungs eine fröhliche Distanz zu Seemanns-Pathos und maritimer Romantik haben, merkt man ihnen doch an, dass sie gerne hier und zumindest auf eine Art in Rostock zu Hause sind. Abends werden die beiden einige hundert Meter weiter ein ausverkauftes Konzert spielen, der Heimspiel-Charakter scheint gerade an dieser Stelle selbstverständlich …
Nach einigen Kollabo-Tracks im Rahmen der letzten WTG-Alben, etlichen gemeinschaftlichen Konzerten und Touren in der näheren Vergangenheit habt ihr eure Freundschaft und Zusammenarbeit nun mit einer gemeinsamen Platte gekrönt. Wie kam die Idee, ein gemeinsames Projekt zu starten, ins Rollen?
Pöbel: Die Idee stand durch die bereits erwähnten Features, Konzerte und Touren schon länger im Raum. Im Spätsommer und Herbst letzten Jahres war dann endlich ein guter Zeitpunkt gekommen, um das Ganze durchzuziehen: Wir hatten beide unsere letzten Releases abgehakt, die Tour war weitestgehend rum‘ und wir hatten Bock.
Ich finde, dass der Vibe der Platte viel über eure Arbeits- und Herangehensweise an das Projekt verrät: Zwischen den Zeilen stecken große Portionen Leichtfüßigkeit und Experimentierfreude.
Pöbel: Das ist lustig, weil wir allein durch die organisatorische Problematik, nicht am selben Ort wohnhaft zu sein, eigentlich wenig Zeit zum Experimentieren oder gar zum Verwerfen hatten. Milli musste immer extra zum Aufnehmen zu mir nach Berlin kommen, da musste dann schon immer relativ schnell etwas entstehen. Wenn er wieder weg war, habe ich mit dem aufgenommenen Material weiter rumgebastelt und -probiert. Das war ob all der anderen Sachen, die sonst so zu tun sind, auch ein Hustle … Aber eben ein enorm spaßiger! Das hört man ja auch in den Texten und am Sounds, hoffentlich nicht nur zwischen den Zeilen hat.
Milli: Durch gewisse Pläne und Vorstellungen, die schon vor den ersten Sessions vorhanden waren, sind die Aufnahmen dann wirklich sehr zielgerichtet geschehen und, wie Pöbel schon sagt, in kurzen und sehr intensiven Etappen passiert. Experimentiert haben wir trotzdem, das kann ich schon unterschreiben.
„Soli-Inkasso“ erfüllt, bis auf den Umstand, dass es keine fließenden Übergänge besitzt, alle Kriterien, die ein klassisches Mixtape in meinen Augen zu erfüllen hat: Ein außergewöhnlich hohes Sample-Aufkommen, weitläufig variierende Beat-Styles und nicht nur dadurch ein sehr unbekümmertes Gesamtbild …
Pöbel: Ja, die bewusste Vielfalt und Konzeptlosigkeit, von der du sprichst, war auch immer der Grund dafür, dass ich im Fall von „Soli-Inkasso“ von einem Tape gesprochen habe, auch wenn Milli mit diesem Begriff nicht so viel anfangen kann (schmunzelt). Ich sehe das Abwechslungsreichtum als Stärke dieser Veröffentlichung an. Viele Releases erscheinen mir inhaltlich wie musikalisch recht gradlinig und schlachten so einen Style ganz gut aus, öden mich dadurch aber auch recht schnell an. Dieses Problem wird „Soli-Inkasso“ vielleicht nicht haben, da sowohl die inhaltliche als auch die musikalische Bandbreite recht groß ist. Dadurch fehlen den Leuten zwar die kommerziell vielleicht nützlichen klaren Identifikationsmerkmale, aber das finde ich eigentlich auch ganz gut.
Milli Dance: Wie Pöbel schon richtig sagte, tue ich mich mit dem Begriff „Tape“ schwer, zumindest in diesem Fall. Auch ein Album kann sehr abwechslungsreich sein. Wir haben uns ja schon nen‘ Kopf gemacht, was drauf sein soll, wie wir das sinnvoll aneinanderreihen und, und, und. Die Unterscheidung zwischen Album und Tape ist für mich sehr schwammig und in vielen Fällen auch nicht wirklich nachvollziehbar. Klar, ich beschäftige mich sicher auch zu wenig damit. Am Ende scheiß‘ ich drauf, es ist eine Platte, es ist ein Release … Diese Worte benutze ich, macht damit, was ihr wollt.
Pöbel, speziell deinen Parts merkt man an, dass du mehr Bock auf eine musikalische Vielfältigkeit hattest als auf deinen ersten Veröffentlichungen.
Pöbel: Klar! Was aber auch daran liegt, dass sich meine Vorstellungen in der Zwischenzeit extrem geweitet haben. Ich habe ja allgemein noch nicht sonderlich viel released und erst 2015 die ersten Sachen aufgenommen. Auf „Personallity Trainer“ ging es mir ja eher darum, ein paar nette Parts auf stabilen Boom-Bap-Beats zu kicken und solide durchzuklatschen. Seitdem hat sich einiges getan, meine Herangehensweise an einen Track ist eine völlig andere … Ich bin mehr auf das musikalische Moment konzentriert, denke intensiver über Emotionalisierung, Beatauswahl und Ästhetik im Allgemeinen nach.
Ein Grund für die Breitaufgestelltheit musikalischer Einflüsse sind sicherlich auch die jeweils unterschiedlichen Einflüsse und Rap-Freundeskreise, in denen ihr alltäglich verkehrt. Ich spiele hier konkret auf das Upstruct-Umfeld und den Waving-the-Guns-Dunstkreis an. An elf Tracks waren, auch durch diesen Faktor, insgesamt sieben Beatmaker beteiligt … Kein Wunder also, dass der Sound sehr abwechslungsreich ist und verschiedene Stile abdeckt. Außergewöhnlich ist, nur beispielhaft, dass ihr euch auf „Soli-Inkasso“ an Rap auf Electrobeats und Trapfilmen probiert. Sind das Sachen, die zukünftig vertieft werden könnten oder waren das einmalige Seitensprünge, die ihr nur mal im Mixtape-Rahmen ausprobieren wolltet?
Milli: Ich glaube, das lässt sich schwer sagen. Ich kann nur allgemein festhalten, dass ich insgesamt mehr Bock auf verschiedene Sachen habe als früher. Die Idee für „Robomob“, den wir kurz später auf diesem weirden Electrobeat von Pöbel aufgenommen haben, ist tatsächlich während einer Party an einem der ersten Aufnahmeabende in Berlin entstanden, auf der richtig finstere Intergalactic-Remix-Electro-Scheiße lief (lacht). Wir haben im Suff beschlossen, dass ein Track drauf muss, der einen in diese Richtung gehenden Sound hat … Und daran haben wir uns schlichtweg gehalten (schmunzelt). Was dabei raus gekommen ist, hat gerade durch den Beat einen spannenden Charakter bekommen. Was das Trap-Ding angeht, ist das gar nicht so geplant abgelaufen. Der Beat von Platzpatron war irgendwann einfach da … Geplant war was‘ anderes, aber wir fanden den musikalisch sehr schön und haben damit rumprobiert. Die neuen Sachen, die ich derzeit mit WTG entwerfe, gehen teilweise in Richtungen, die etwas von unserem eingefahrenen Film abweichen, wobei das jetzt nicht bedeutet, den gesamten Stil umzuwerfen. Die Erfahrungen der Arbeit an „Soli-Inkasso“ haben aber auf jeden Fall Bock auf stilistische Weiterentwicklungen gemacht. Mal sehen.
Pöbel: Ich möchte mich stilistisch für die Zukunft nicht beengen. Ich höre ja auch verschiedenste Sachen: Von einem Haze, der straight einen athmosphärisch-oldschooligen Boom-Bap-Film à la Mobb Deep fährt bis zu einem Ce$, der seine Tracks quasi nur auf Drops hin baut und übelst trapige Arrangements hat. Zur Zeit kannst du in vielen Gefilden Dinge finden, die wirklich großen Spaß machen. Was sich bei aller klanglichen Modifikation eher nicht ändern wird, ist eine gewisse Art an Inhaltlichkeit und Position.