Homezone #14: Auf Hafenrunde mit Pöbel MC und Milli Dance

Dass ihr dennoch einen subkulturellen Background habt, wird gerade an den Stellen deutlich, an denen ihr euch an innerlinken Debatten beteiligt …

Pöbel: Natürlich. Das liegt daran, dass sich unsere Raptexte aus beobachtender Lebensrealität zusammensetzen … Es ist ganz logisch, dass wir Debatten, die in unserem persönlichen Umfeld stattfinden, mitdenken und im Zweifel skeptisch beobachten. Ein gutes Beispiel ist die Line: „Deine Maid entschlüpft ihrem Kleid und ich flicke ihr das Sommerloch“. Da presche ich ganz bewusst scherzhaft an der vermeintlich kontroverseren Punchline vorbei … Mit dem Ziel, darauf aufmerksam zu machen, dass die Leute lieber genau hinhören sollen. Ich glaube, dass gerade die Debatte um Political Correctness in der Sprache von einer Exaktheit profitieren kann. Keine Wortklauberei ohne Sinn für‘s Detail! Leute machen sich in ihrem Plakativismus oft sehr angreifbar, weil ihre Positionen sehr leicht argumentativ übersteigert werden. Da sind wir eben so nett und weisen auf dem Tape drauf hin!

Speziell „Robomob“ habe ich als Kritik an gezielter und plakativer politischer Vereinnahmung von Künstlern oder anderen gesellschaftlichen Subjekten verstanden … Ihr weist hier unmissverständlich darauf hin, dass das Weltgefüge komplexer ist als es auf den ersten Blick scheint.

Milli: Es geht darum, Dinge konsequent durchzudenken und dabei bereit zu sein, einfache Vorstellungen auch mal aufzubrechen. Und um die Einsicht, dass es tatsächlich auch mal ganz gut tun kann, einen Schritt zurück zu gehen und sich einzugestehen, dass man vielleicht nicht auf alles eine Antwort hat … Prezident hat das mit diesem: „Wer sagt, dass es ne‘ Lösung geben muss“ gut auf den Punkt gebracht. Einfach nur zu brüllen „Kapitalismus nieder“ wird nicht von heute auf morgen alles Übel aus der Welt schaffen. Auch wenn es weh tut, muss man sich wohl damit auseinandersetzen, dass revolutionäre Ansätze alles noch schlimmer machen können, wenn sie nicht flexibel durchdacht sind. Man sollte sich das alles nicht zu leicht machen. Die Welt ist komplexer, gewalttätiger und gefährlicher als sie in der blanken Theorie erscheint. Bezüglich der Vereinnahmung von Subjekten, wie du es sagst, fallen mir Betrachtungen von immer wieder passierenden Jugendkrawallen wie in London oder Paris ein. Da wird dann gerne diskutiert ob das revolutionär sei oder nicht. Ich denke, man sollte diese Phänomene vielmehr als Zustandsbeschreibung hinnehmen und nüchtern analysieren. Wenn die Jugend randaliert und alles auseinandernimmt, scheint es nicht viel zu geben, was sie für erhaltenswert oder ausbaufähig hält. Was ich tun kann, ist lediglich festzuhalten, dass das eine Reaktion auf die Auswüchse von Kapitalismus und Ghettoisierung ist. Mehr nicht. Diese Einsicht ist wichtig.

Pöbel: … Da geht es ja wirklich nur um ein individuelles Unwohlsein einer gewissen Masse von Menschen, das sich in solchen Momenten kollektiv entlädt … Einfach weil die Gelegenheit dazu gegeben ist. Da gibt‘s ja kein politisches Moment, das die Leute im Voraus gebündelt hätte oder dergleichen. Was die Menschen in diesen Situationen verbindet, ist das soziale Moment … Vielleicht Perspektivlosigkeit, erfahrene Diskriminierung oder aber auch das kapitalistisch forcierte Motiv seiner Armut durch materielle Bereicherung, und sei sie nur temporär, entkommen zu können.

Milli: Teile der Linken machen traditionell einen Denkfehler: Sie projizieren die eigenen revolutionären Wünsche auf irgendwelche anderen Länder oder soziale Situationen. Oft schwingt da eine gewisse Arroganz beziehungsweise diffuse Allmachtsphantasien mit. Die Kämpfe der Zapatistas in Mexiko sind eben absolut nicht vergleichbar mit den Wohnungskämpfen in Friedrichshain. Um aber nochmal zu „Robomob“ zu kommen: Die Hook gibt das von dir angesprochene Thema schon einigermaßen her, insgesamt ist der Track aber doch eher eine klare Absage und gleichzeitige Ansage an den stattfindenden Rechtsruck.

Das Album hat unter anderem sehr selbstreflektierende Charakterzüge. Die Analyse menschlichen Verhaltens ist in jedem Fall ein roter Faden, der sich durch alle Tracks zieht. Spannend und authentisch daran finde ich, dass ihr auch immer wieder auf eure eigenen Macken und Fehler eingeht und eure eigenen Privilegien unter die Lupe nehmt … Wie schwer fiel euch ein Song wie „Therapeutin“, der ja doch relativ intime Eindrücke liefert?

Milli: Auch wenn es in dem Song sicherlich um die eigenen Schwächen geht und ich für meinen Teil ja einigermaßen hart mit mir ins Gericht gehe, ist das Ding ja nicht auf ganzer Linie ernst gemeint und beinhaltet durchaus Übertreibungen. Ich habe ein bisschen dafür gebraucht, aber schwer fiel mir das Ding beim Schreiben eigentlich nicht … Ich zähle ja auch an sich nur Schäbigkeiten auf (schmunzelt). Habe ich vorher ja auch schon gemacht.

Pöbel: Mir fiel es nicht besonders schwer, den Part zu schreiben, da ich normalerweise etwas andere Texte erdichte und mich daher eines noch ungeschröpften Pools an Weisheiten bedienen konnte. Der Text als solcher ist ganz nett geworden … Ein bisschen ironisch, ein bisschen albern und ein bisschen ernst. Allgemein ist es für das Verständnis vielleicht wichtig zu erwähnen, dass der Song aus Millis Impuls heraus entstanden ist und sein Part schon stand, bevor ich meinen geschrieben habe. Allgemein passt das Ding charakterlich gut ins Schema WTG, weil diese kritisch-selbstreflektierende, emotional-persönliche und dystopische Ebene dort ja auch häufig eine große Rolle spielt.

Zu guter Letzt möchte ich mit euch über „Aufbruchstimmung“ sprechen, in meinen Augen das mit Abstand stärkste Lied auf dem Tape. Es bringt eine Problematik in bisher nicht dagewesener Perfektion auf den Punkt. Die aus dem Song zu ziehende Konsequenz ist allerdings (oder gerade deshalb) ganz schön niederschmetternd. Beschreibt mal in euren eigenen Worten, was das Thema des Songs ist!

Milli: Für mich geht es um die Banalität des Bösen. Als ich den Text schrieb, hatte ich „Eichmann in Jerusalem“ von Hannah Arendt vor Augen. Er hat dort immer wieder betont „nur organisiert“ zu haben. Ähnlich argumentieren heutzutage Abschieber, die „ja auch nur ihre Pflicht“ tun, dabei aber perspektivlose Schicksale und Leid kreieren und Träume zerstören. Da wird mit einer bürokratischen Abgeklärtheit vorgegangen, die etwas sehr Böses und Gruseliges in sich trägt … Ahrendt hat dort auch dargestellt, dass die Identifizierung Eichmanns als Personifikation des Bösen so auch nicht funktioniert. Seine relative Schlichtheit ist das, was es so schwierig macht. Der war keiner, den man als diabolisch grinsendes Genie, als Superbösewicht bezeichnen konnte. Er hat funktioniert und war damit wichtiger Teil der industriellen Vernichtung von Menschen, vor allem Juden. Unter anderen Umständen hätte der vielleicht für wen‘ anders funktioniert. Das offenbart, dass die Vorstellung von Licht und Schatten, von Gut und Böse nicht funktioniert, weil es da einfach viel zu viele Abstufungen gibt. Die Barbarei schlummert unter eine dünnen zivilisatorischen Schicht, und sie kann sich jederzeit wieder Bahn brechen bzw. tut sie das ja auch immer wieder.

Pöbel: Was ich an dem Track interessant finde, ist, das sich die unterschiedliche Stilistik von Milli und mir hier gut abzeichnet. Trotz dessen wir thematisch nah beieinander sind, ist sein Part maßgeblich von Exemplifizierung und greifbaren Bildern geprägt und meiner eher auf abstrakter Ebene basierend. Ich konstruiere meistens eher eine Beschreibung des allgemeineren Zusammenhangs, während Milli die Dinge sehr direkt in ihrer Ausprägung beschreibt. Ich glaube das ist eine Figur, die sich auch auf vielen anderen Tracks auf der Platte abzeichnet …

Vielen Dank für das ausführliche Interview!