Oliver: Ich war ein großer Fan des ersten Kurdo-Albums. Das war extrem stimmig. Diese düstere Atmosphäre, gepaart mit einfachen, aber gut erzählten Geschichten – dazu die Bezüge zur eigenen Biographie, die halt einfach interessanter ist als die von 90% seiner Kollegen, hat mich voll überzeugt. Das zweite Album „Almaz“ fand ich zwar gut, aber nicht so stark wie das erste. Das neue ist aber wieder hervorragend. Schon das Intro hat diese Gänsehaut-Stimmung – wie gesagt, seine Lebensgeschichte gibt halt echt was her und Kurdo schafft es auch, das immer wieder so interessant, anschaulich und bildhaft zu erzählen, dass man fast das Gefühl hat, dass man dabei gewesen wäre.
Skinny: „Slum Dog Millionär“ habe ich nur durchgeskippt, „Almaz“ habe ich mir gar nicht angehört. Interessante Biografie schön und gut, aber Kurdo erzählt wie ein Achtjähriger. Kurdo arbeitet seine Biografie lediglich über stichwortartige Auflistungen von Impressionen auf. Das passiert aber leider nicht kunstvoll und gezielt, sondern derart plump und ungelenk, dass diese durchaus anspruchsvolle Herangehensweise nicht funktioniert. Hinzu kommt, dass „Verbrecher aus der Wüste“ trotz der hervorragenden Produktionen auch musikalisch nichts bei mir auslöst. Der Grund ist simpel: Kurdo ist kein guter Rapper. Stimme top, Rest flop.
Oliver: Klar kommt Kurdo voll über Gefühl, nicht über Technik. Aber genau das macht seine Faszination aus. Das ist Rap mit Herz und Eiern, nicht so schrecklich kopflastig und ausgedacht. Die assoziativen Aufzählungen von Schlagwörtern ist übrigens nicht so einfach und simpel, wie es sich vielleicht anhört. Es ist umgekehrt sogar die größte Kunst, in wenigen Worten auf den Punkt zu kommen. Und Kurdo hat diesen Style absolut perfektioniert. Gewisse Begriffe sind inzwischen untrennbar mit ihm verbunden „Tätersprachenmimik“ zum Beispiel. Was „Verbrecher aus der Wüste“ außerdem vollends abrundet, sind die Beats. Starke Arbeit von Abaz, KD-Beatz und Zino. Die Mischung aus düsterer Grundstimmung und den immer wieder eingestreuten orientalischen Samples untermalt Kurdos unnachahmlich kehligen, verrauchten Rap perfekt.
Skinny: Wie gesagt, an den Produktionen gibt es nichts zu meckern. Kurdo schafft es aber nicht mal diese einfachen 90 BpM-Beats zu stemmen. Da flowt nichts, Kurdo stolpert nur holprig von Takt zu Takt. Es gibt unzählige Straßenrapper, die ähnlich hart an die Sache gehen – aber eben auch rappen können. Und wie ich auch bereits sagte: Kurdos Herangehensweise ist anspruchsvoll. Genau deswegen überhebt er sich so maßlos daran, das ist einfach primitiv, es bedarf aber einer gewissen Poetik, damit das funktioniert. Damit meine ich keine geschwollenen, verkopften, wichtigtuerischen Worte, sondern eben genau das: Mit wenigen Worten einen Effekt zu erzielen. Vielleicht hängt das einfach völlig vom Empfänger ab, aber bei mir bewegt Kurdo damit überhaupt nichts, das sind corny Phrasen, mehr nicht. Das wäre halb so wild, würde Kurdo eben wenigstens anständig rappen. Aber da ist nichts, was ihn von talentierteren Kollegen hervorhebt.
Oliver: Ganz im Gegenteil, das ist echte, aufrichtige Poesie, ohne gekünsteltes Chichi und Kitsch. Eine einfache direkte Sprache ist mir tausendmal lieber als ausuferndes Gelaber, bei dem ich nach zwei Minuten automatisch abschalte. Kurdo schafft mit seinen Songs einfach eine unverwechselbare Atmosphäre, die komplett stimmig ist. Vor allem finde ich es gut, dass auf „Verbrecher aus der Wüste“ wirklich fast alle Songs auf Härte und diese klassische Kurdo-Dominanz setzen. Diese Fick alles-Attitüde verkörpert er bei einfach extrem glaubwürdig und unaufgesetzt. „K.U.R.D.O“ , „Gewalt & Brecheisen“ , „9 mm“ „Uppercut Flow“ oder „Die üblichen Verdächtigen“ mit KC Rebell – allesamt kompromisslose Mittelfinger-hoch-Songs. Perfekt.
Skinny: Ich verstehe beim besten Willen nicht, was diese Songs dir geben, andere Künstler aber nicht. Das gibt es alles in besser – Kurdo schafft es nicht mal, dieses wirklich kurze Album zu tragen, ohne langweilig zu werden. Das ist alles die selbe Suppe und die schmeckt schon nach dem ersten Löffel nicht. Sag mir doch mal, inwiefern die von dir aufgezählten Songs sich unterscheiden? Bis auf die Kitschbomben am Ende ist jeder Song dasselbe. Selber Inhalt, selbe Herangehensweise, selber Flow – nur der Beat klingt anders, aber auch da ist der Aufbau immer gleich. Selbst dir als Fan müsste das doch früher oder später langweilig werden.
Oliver: So ganz genau kann ich das gar nicht erklären. Es ist einfach das Gefühl, das er transportiert. Und das habe ich einfach selten bei anderen Rappern. Ich brauche auch ehrlich gesagt keine großartigen Variationen im Thema oder unfassbar abwechslungsreiche Flows. Ich muss einfach gerne zuhören. Und Kurdo schafft es, mit seinem einfachen, aber wirkungsvollen Style, mich komplett in seine Welt zu ziehen. Im Grunde sagt der Albumtitel da auch schon alles: „Verbrecher aus der Wüste“ – einfach ein Megafickfinger für alle PEGIDAs, Islamhasser und sonstige Rassisten. Und eine ungewöhnlich offensive, unverfälschte Art, dieses Flüchtlingsthema aufzugreifen. Die Sichtweise der Migranten wird in diesem ganzen Diskurs ja meistens marginalisiert – gerade deshalb ist es so wichtig, dass Kurdo hier seinen Standpunkt so offensiv und ohne falsche Scham vertritt. Also ist das Album sogar noch politisch.
Skinny: Dass dieses Thema unplakativ und unpeinlich aufgegriffen wird stimmt, aber auch ohne Weitsicht. Dass Kurdo dich in den Bann zieht ist ein Punkt, über den man schlecht diskutieren kann – man fühlt Musik halt, oder tut es nicht. Mich wundert nur, dass gerade Kurdo das schafft, der in meinen Ohren nicht ein einziges Alleinstellungsmerkmal hat und mich völlig kalt lässt. Für mich ist „Verbrecher aus der Wüste“ ein schlecht gerapptes Album ohne Abwechslung oder inhaltliche Stärken – dafür sind die Beats ziemlich gut. Die Atmosphäre nehme ich als austauschbar wahr – das ist nichts, was nur Kurdo kann. Aber wenn sie dich catcht, scheint es ja doch irgendetwas zu geben, was an mir vorbei geht. Oder um mit einem Dead Prez Zitat zu schließen: „If I feel it, I feel it – if I don’t, i don’t“ .
Oliver: Gut, Subjektivität ist natürlich genau das, was Musik ausmacht. Insofern einigen wir uns darauf, dass wir uns nicht einig sind. Für mich bisher eines der stärksten Deutschrap-Releases.