Review: Genetikk – Fukk Genetikk

 

„Fukk Genetikk“. Wer den Titel liest, könnte meinen, hier hätte sich mal wieder jemand mit mangelhaften Orthografiekenntnissen auf Twitter über Genetikk ausgelassen. Das Kollektiv nennt ihr mittlerweile viertes Studioalbum aber selbst so. Eine Abrechnung mit sich selbst, eine Auseinandersetzung mit dem eigenen künstlerischen Schaffen? Oder stammt das in roten Lettern an das Cover gesprühte „Fukk“ eher von anderen hängengebliebenen Artists, die mit dem Erfolg der Saarbrücker Bandidos nicht klarkommen?

Die Underdogs und ihre Feindbilder

In „Fukk Genetikk“ nehmen Genetikk zumindest wieder einmal die Rolle der Underdogs ein, sympathisieren mit Favela-Kids und Indianern und schießen mit Pfeilen und Kalashs gegen den Westen und das Establishment. Vor allem die USA kommen immer wieder ins Kreuzfeuer von Karuzo: Da werden auf „Peng Peng“ in zwei Strophen die Vertreibung und Ermordung der Indianer sowie die Kriege im Nahen Osten abgearbeitet, um wenig später auf „TeenSpirit“ mit dem amerikanischen Traum abzurechnen.

Gerade im Bezug auf die eigene Konsumgeilheit und Beeinflussung aus den USA nimmt sich Karuzo aber nie selbst aus der Kritik heraus und beschreibt sich, bewusst oder unbewusst, immer wieder als Teil der Industrie des ungehemmten Exzesses und dem Drang, „Tote Präsidenten“ zu zählen und dem üblichen Show-Off. Das kann man eine widersprüchliche Message finden – was es natürlich auch ist. Es führt aber dazu, dass Karuzo nicht wie ein Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger spricht und alles ein bisschen besser weiß, sondern sich selbst als Teil des Phänomens sieht – wenn auch nicht weiter problematisiert.

Delivery > Message

Wirklich neue Ansichten vermitteln die meisten Tracks aber nicht und man kann anbringen, dass es so klingt, als würde es sich Karuzo manchmal sehr einfach machen mit seinen Texten. Guns, Cash, Erfolg, Fame und natürlich lang- und breitgetretenes Amerika-Bashing. Das kommt sicher bei vielen Fans gut an – in einigen Tracks bleibt aber schlichtweg unklar, worum es überhaupt geht. Oft werden zahlreiche Schlagwörter gedroppt und Bilder in den Kopf des Hörers gepflanzt, die irgendwie nicht zu einem höheren Sinn zusammenwachsen wollen.

Meistens geht es bei Genetikk aber eh eher um die Delivery als um die Message. Darum, ein gewisses Feeling zu vermitteln. Darum, dass es geil klingt. Und das funktioniert. So ist die Zeile „ich bin kein Bäcker, doch ich mache CAKE“ („Jordan Belfort“) weder ein krass um die Ecke gedachter Vergleich, noch transportiert sie irgendeine tiefergehende Message. Aber fukk it, so wie Karuzo sie bringt, klingt sie einfach verdammt dope. Überhaupt schafft der Deutsch-Italiener mit seiner kratzigen Stimme im Zusammenspiel mit Sikks grandiosen Beats eine sehr lässige, dreckige Atmosphäre, die gut zum kritisierten Favela-Artwork passt.

Und es glänzt

Seinen Höhepunkt erreicht das Album dann mit dem Track „Diamant“. Hier zeigt Karuzo, dass er eben sehr wohl auch Texte mit einem roten Faden schreiben kann, die eine fesselnde Geschichte erzählen und weit über stichwortartige Skizzen hinausgehen. Wenn er will. Auf einem atmosphärisch sehr dichten Gitarren-Instrumental von Sikk rappt der Saarbrücker sich emotional aufgeladen durch verschiedene Länder und Kontinente, Intentionen und Reaktionen, Handtaschen und Menschen – aus der Sicht eines Blutdiamanten. Das ist ganz großes Kino.

Paff. Karuzos Storytelling endet und der Track geht in ein genreuntypisches Finale über, dass mich in dieser Form vielleicht am ehesten an Andersoon.Paak oder das neue Mac Miller-Album erinnert. Warum ich auf so einen kurzen Outro-Part extra eingehe? Weil es sinnbildlich für die nächste Stärke von „Fukk Genetikk“ ist. Auf Genre-Grenzen wird nämlich gerne mal geschissen.

Denn Genetikk haben eine Sache sehr gut verstanden: Dass sie sich von ausgelatschten Rapfaden und vorherrschender Szenesturheit befreien müssen, wollen sie mehr als einfach nur ‚guter Deutschrap‘ sein. Ihr Album lässt sich in keine der gewohnten Sparten komplett und bequem einordnen: Es ist kein Boombap oder auf irgendeinem klassischen Rapfilm hängengeblieben, es springt nicht auf den Trap- oder Cloudrap-Hype auf, genauso wenig ist es epochaler Gangstarap oder trockener, synthielastiger Battlerap. Klar, der Eastcoast-Einschlag ist nicht zu verhehlen, aber genau dieser Rahmen wird eben immer wieder bewusst verlassen. Das Album greift sich Anleihen aus allen eben aufgezählten Sparten (außer Autotune, thank god), quirlt sie einmal gut durch und garniert es mit ein paar Einflüssen völlig anderer Genres, bevor das Ganze in den Ofen kommt.

Dabei wird immer wieder deutlich, dass Sikk und Karuzo gleichberechtigte Spieler in ihrem Game sind: Der Produzent ist hier kein Dienstleister, der mal eben seine Beats rüberschickt. Er kriegt seinen Raum auf der LP, genauso wie Karuzo Platz für seine Lyrics, teils sogar Acapella („Fukk Genetikk“) bekommt. Am Ende einiger Tracks bleibt mehr als eine Minute Raum für Sikk, sich fernab von einengenden Lyrics musikalisch auszudrücken und -toben.

Alles nur wild zusammengeworfen?

Bei den vielen musikalischen Einflüssen und dem relativ experimentellen Klangbild könnte man schnell den Eindruck gewinnen, dass das Album nicht wie aus einem Guss wirkt oder zuviel versucht. Und tatsächlich ist es so, dass viele Tracks nicht gleich ins Ohr gehen, sondern erst beim zweiten oder dritten Hören an Reiz gewinnen. Das ist kein Easy Listening und wird vielleicht nicht überall hoch und runter laufen. Aber es ist ein Entwurf dafür, wie sich Deutschrap anhören kann. Und weiterentwickeln.