Prezident – Limbus (Review)

Das hatte ich lang nicht mehr: Den Drang, nach dem Durchhören eines Albums direkt einen neuen Durchgang zu starten. Das Gefühl, gerade wirklich etwas erlebt zu haben, weggetreten zu sein. Den Gedanken, der Fußweg solle noch etwas länger sein, auf dass ich das Album noch zu Ende hören kann. Das letzte derart intensive Album für mich war Earl SweatshirtsI Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside“ . Nicht sonderlich lang, dafür umso packender und kompakter. Frei von Belanglosigkeiten oder Lückenfüllern schafft „Limbus“ es, ein Wechselbad von Gefühlen und Stimmungen zu erzeugen, dass durchaus kräftezehrend sein kann – Easy Listening ist das jedenfalls nicht.

Das ist nicht zuletzt aufs exzellente Tracklisting zurückzuführen, das auf den ersten Blick so gar keinen Sinn macht, schon während des ersten Durchgangs aber eindrucksvoll seine Wirkung entfaltet. Die dichte, düstere Atmosphäre wird immer wieder von angenehmen, gediegenen Nummern, wie dem warmen BoomBap-Hänger „Halb so wild“, aufgebrochen, nur um einen nach dieser willkommenen Atempause wieder wie ein Eimer Eiswasser in den Nacken zu treffen. Prezident spielt hier ganz bewusst mit den Erwartungen und Stimmungen des Hörers, was verdammt fordernd sein kann. Doch wie sagte der Wuppertaler schon Anno 2010? „Unterschätz‘ deine Hörer nich‘ / sie sind wie Muskeln und wachsen durch Überforderung, wenn’s nötig ist“ – diesem Leitspruch folgt er auf „Limbus“ kompromissloser als je zuvor.

Ein straff gespannter roter Faden zieht sich durch das Album, dessen thematischer Pfad nur vermeintlich gelegentlich verlassen, auf den zweiten Blick aber konsequent bewandert wird. Der „Limbus“, die Vorhölle, der äußerste Zirkel in Dante AlighierisGöttliche Komödie“ – der Ort, an dem diejenigen ihr Dasein fristen, denen trotz tugendhaften irdischen Lebens aufgrund von heidnischen Glaubens oder Ermangelung einer Taufe der Zugang zum Himmelsreich verwehrt wird. Prezidents Interpretation von diesem tristen Ort zwischen Himmel und Hölle ist aber nicht theologischer Natur – es ist das Leben dieser absolut durchschnittlichen, langweiligen Menschen, wie auch du oder ich es sein könnten. „Der ewige Ikea“, in dem sich diese Gestalten, „halb Mensch, halb Smartphone“, tummeln. Statt dem Heiden Vergil, der Dante durch den Limbus führte, kriegt Prezident einen „Autor bei der Vice oder YouTuber“ zur Seite gestellt, mit dem er „beide MoTrip-Alben auf dem Weg zum Limbus durch“ hört. An offensiv formulierten Sinnbildern für Mittelmäßigkeit und Langeweile mangelt es dem Wuppertaler jedenfalls nicht.

Düstere Anspielstationen wie diese sind es, die die absoluten Highlights darstellen. Wenn Prezident das thematische Geflecht ausdehnt und auf „Feiern wie sie fallen“ mit den Kamikazes in Höchstform den tristen, pseudo-hedonistischen fünf-Tage-arbeiten-zwei-Tage-feiern Alltag vieler aufgreift, dann passiert das nicht nur hervorragend produziert, sondern eben auch schmerzhaft entlarvend. Preze hat ein stilsicheres Händchen dafür, den Finger in die Wunde zu legen, wie „Fressfeind“, der obligatorische Rundumschlag gegen die Rapszene, mit überwältigender Schlagkraft demonstriert. Wenn Prezident flink zwischen harten Klartext-Ansagen und detailverliebter Bildsprache hin- und her wechselt, dann fesselt das einfach ungemein.

Die lebendige, punktgenaue Wortwahl, die Metaphorik, die skizzenhafte, atmosphärische Produktion von Jay Baez und den Kamikazes, die allgemeingültigen Themen verpackt in Prezis trocken-zynischer Attitüde – all das weckt einen dystopischen Film vorm inneren Auge, dem man sich nicht entziehen kann. Die Reise durch den „Limbus“ ist ein in sich geschlossener Trip, den man so schnell nicht vergisst, stattdessen immer wieder antreten will. Denn auch wenn das erste Hören bereits ein faszinierender Hochgenuss ist – „Limbus“ ist ein Grower, schon weil einem von Mal zu Mal mehr gewitzte Querverweise, elegante Wortspielereien und intelligente Analogien auffallen. Das ist kein Album für ein paar Wochen, das ist ein Album für ein paar Jahre.