Eins kann man Massiv nicht vorwerfen: Dass er nichts neues ausprobieren würde. Mit seinem neuen Album „Ein Mann ein Wort 2“ schlägt der palästinensische Pfälzer wieder ein neues musikalisches wie inhaltliches Kapitel auf. Nachdem er vor zwei Jahren mit „Blut gegen Blut 3“ womöglich das Deutschrap-Album mit dem höchsten Bodycount aller Zeiten veröffentlicht hatte, ging es auf dem Nachfolger „M10“ immer noch hart zur Sache, allerdings musikalisch mit einem starken Trap-Einschlag.
Jetzt also ohne Schimpfwörter, ohne Beleidigungen, ohne Gewaltphantasien. Massiv zieht das auf „EMEW2“ tatsächlich durch. Gut, auch seine beiden Alben für den Major Sony „Ein Mann ein Wort“ (2008) und „Meine Zeit“ (2009) waren größtenteils von sanften Tönen geprägt gewesen. Damals wirkte das alles aber doch arg gewollt und aufgesetzt, was Massiv anschließend auch in diversen Interviews bestätigt hatte.
Bei diesem Album hat man dagegen nicht das Gefühl, dass Massivs neuer Stil ihm von außen aufgezwungen wurde. „Ein Mann ein Wort 2“ ist gewöhnungsbedürftig – aber man spürt, dass die Themen, die der Wahlberliner anschneidet, ihm tatsächlich am Herzen liegen. Allein das ist schon ein Punkt für ihn. Berechnung oder Kalkül spielen hier keine Rolle – derzeit sicher nichts selbstverständliches im immer besser durchkalkulierten Deutschrap-Spiel.
Massiv mag nicht der allerbeste Techniker sein, das fällt jetzt, wo er wenig brüllt, noch mehr auf. Er ist auch kein unfassbar origineller Denker, der nie geahnte, neue Blickwinkel eröffnet. Aber er hat eine gewisse Gabe, starke Gefühle in Zeilen zu packen. Dabei setzt er auf einfache Bilder, viel Pathos und mitunter arg vereinfachte Darstellungen – aber gerade durch diese etwas populistische Herangehensweise stellt er sicher, dass jeder Zuhörer ihm und seiner größtenteils guten Message stets gut folgen kann. Gut im Sinne von christlich-jüdisch-islamischen Werten: Sei demütig, sei dankbar, sei gut zu deinen Mitmenschen. Werte wie Solidarität mit Schwachen, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Güte werden auf „EMEW2“ fast in jedem Song gepredigt. Stellenweise kommt das ein wenig naiv rüber, ein wenig kitschig sowieso, aber eben auch entwaffnend humanistisch und sympathisch.
„Bruder, es kommt darauf an, ob du dein Leben in den Müll schmeißt
oder dein Leben zu ’nem Diamant schleifst“ („Solange der Mond über meinem Kopf kreist„)
Man muss Massiv nicht in jedem Punkt zustimmen. Manchmal schießt er auch übers Ziel hinaus, vereinfacht Themen wie das Schüren der Angst vor Terrorismus oder Islamfeindlichkeit so sehr, dass wenig substanzielles übrig bleibt („Verurteilt/ Ich wollte nicht nach Syrien„). Im Vordergrund steht hier ganz klar das Gefühl, das Herz, nicht der kühle, sachliche Verstand, der vielleicht zum einen oder anderen angesprochenen Thema interessante Ergänzungen gefunden hätte, Widersprüchlichkeiten aufgedeckt oder neue Fragen aufgerissen.
Besonders komplex oder mehrdeutig ist das alles nicht. Nach mehrmaligem Hören muss ich allerdings meine Kritik an der ersten Auskopplung „Märtyrer“ zurücknehmen: Der Song ist keine Rechtfertigung von Terrorismus, sondern im Gegenteil ein glühender Appell zur Friedlichkeit und zum Schutze Unschuldiger vor mörderischer Gewalt. Die Liebeserklärung an seine Mutter, „Ich küss den Boden auf dem Mama läuft„, ist ohnehin einfach nur rührend offenherzig.
Die musikalische Umsetzung hat wie schon auf dem Vorgänger Abaz besorgt. Er liefert die zu den Thematiken passenden Instrumentale: zurückhaltend instrumentiert, dafür mit viel Pathos, gelegentlich ein bisschen poppig bis kitschig. Gangsta-Rap ist das natürlich kein Stück mehr. Es bleibt abzuwarten, wie seine Fans auf den neuen, ernsten Massiv reagieren. Aus der Position eines neutralen Beobachters sage ich: Der ehrlichste Massiv, den es je gab. So überraschend es klingt, es fällt ziemlich leicht, die Umstellung nachzuvollziehen. Vielleicht, weil im Grunde ja eigentlich immer klar war, dass die total überzogenen Gewaltphantasien in seinen Texten seit jeher nur seinen Kern ummantelten. Ganz tief drinnen war er vermutlich schon immer der liebe, nette Junge, den er auf „Ein Mann ein Wort 2“ zu Wort kommen lässt. Auch wenn es musikalisch nur sehr bedingt mein Fall ist: Props für den Mut, zur eigenen Freundlichkeit nun auch in der Musik zu stehen.