Ich kenne das Ruhrgebiet nur durch Deutschrap. Klar war ich mal da, oder bin besser gesagt ein paar mal durch oder dran vorbeigefahren. Aber meine Bilder im Kopf, wenn ich Städtenamen wie Dortmund, Duisburg oder Essen höre, wurden nachhaltig durch Raptexte geformt. So hatte ich lange eine Vision vom Ruhrpott als eine Art staubige Einöde. Schuld daran waren die trockenen, nüchternen, verkopften Lyrics von RAG, ABS oder Dike, die das Bild einer riesigen verlassenen Kohlengrube zeichneten. Durch Snaga & Pillath kam dann irgendwann eine neue Facette dazu: Der Typus des jovialen, aber latent aggressiven Malochers vom Kiosk, das Pilsator immer griffbereit im Anschlag, gern und ausgiebig zum Pöbeln und Sprüche klopfen aufgelegt. Alles, aber nicht verkopft.
Nun ist Snaga, der jetzt wieder solo angreift, immer noch irgendwie so ein Typ vom Kiosk, was seine Ausstrahlung angeht. Irgendwie korrekt, bodenständig, gerade. Nur, dass dieser Typ vom Kiosk richtig stinksauer ist – und das ist noch milde formuliert. Auf „Snaga fickt Deutschland 2“ geht der Mittdreißiger mit einer Intensität und direkt in Zeilen gepackten Wut zu Werke, die man eher von einem 20jährigen erwarten würde.
„Ein Pam und du Pisser bist waagerecht
S-N-A-G-Z, aus der Fahrbahn/ weg wenn der Panzer rollt
Ich geb einen Fick auf Strafgesetz“ („Insubordination„)
Praktisch aus jeder Zeile sprühen Funken, die Spannung wird über die komplette Spielzeit hoch gehalten. „Snaga fickt Deutschland 2“ startet mit dominanten Kampfansagen wie dem eben zitierten „Insubordination„, „Snagatron“ und der Ruhrpott-Hymne „Glück auf„. Die Beats dazu: Bombastisch, pathetisch, hart und majestätisch düster. Dann folgen drei Songs, in denen Snagz von sich das Bild eines aufrechten Einzelkämpfers zeichnet: „K.o.K.“ (steht für König ohne Krone), „Eisbär“ und „Hyäne„:
„Unterwegs/ rote Augen wie ein Schichtarbeiter
leerer Magen/ voll geladen, wie ein Blitzableiter
6. Gang, 22 durch die Zollkontrolle
Kofferraum voll/ und voll von der Rolle“ („Hyäne„)
Der gute Snaga hat nichts verlernt, im Gegenteil. Statt sich über imaginäre Battle-Gegner lustig zu machen, fokussiert er seinen Zorn auf diesem Album in brachiale Parts. Fast jeder Schlag trifft, fast jede Bombe zündet. Mit „Eine Kugel eine Träne“ wird es dann mal kurz politisch, inhaltlich jetzt nicht weiter aufregend, bisschen das übliche halt, Krieg ist scheiße, klar. Eine gewisse Nähe zu Verschwörungsideologien, die schon auf „Talion 2“ zum Tragen kam, kann man dem Gladbecker nicht absprechen, im Vergleich zu diesem spielt das aber auf „SFD2“ kaum eine Rolle. Das gilt auch für die beiden Tracks mit Fard.
Mit „VHS“ sorgt er dann für etwas Auflockerung, nostalgisch Erinnerungen an alte, gar nicht mal so tolle Zeiten, die aber durch den Blick in den Rückspiegel einen gewissen Glanz bekommen. „2013“ ist dann die schonungslose Aufarbeitung seiner wohl schwersten Zeit im Leben, als Snaga wegen seines Herzfehlers im Krankenhaus lag. Auch diese fällt nicht selbstmitleidig oder emo aus, sondern wuchtig, hart und aufrecht.
„Einfache Worte/ von einem einfachen Mann„, rappt Snaga im letzten Song „Für immer“ – und fasst damit das Album recht treffend zusammen. „SFD2“ ist kein feinnerviges, hintersinniges Album zum Nachdenken, es ist die Wut des sprichwörtlichen kleinen Mannes in Feuerzeilen auf kompromisslose Beats gepackt. Ehrlicher, harter Rap auf knallharten Instrumentalen ohne Gimmicks – es braucht nicht viel mehr, um ein starkes, kohärentes und in sich schlüssiges Rapalbum zu kreieren.