Fernab von Limited Deluxe Boxen und Schallplatten aus Edelmetall sitzen „der Möchtegern-Kanake und die Glatze mit der Zahl“ bei ein paar Herrengedecken beisammen und lassen sich über den ganzen Schmutz der so in der Welt passiert aus. Ob irgendein Wack MC sich in einem Videoblog zum Affen macht oder Menschenrechte in Südostasien verletzt werden – alles verdient es, gehasst zu werden. Normale Feindbilder.
„Normaler Samt“ ist kein Friede-Freude-Eierkuchen Album, aber das überrascht wohl auch niemanden. Stattdessen legen Audio88 und Yassin den vorher sorgfältig in Salz gewälzten Finger in die höchstselbst aufgerissene Wunde. Ohne Effekthascherei wird mit jedem kleinen Satz große Wirkung erzielt. Nüchterne Beobachtungen werden, nicht selten im Trojanischen Phrasen-Pferd getarnt, so bitter-zynisch und treffend vorgetragen, dass man beschämt auf seine Füße starren möchte. Aber auch sich selbst nehmen die beiden unerschrockenen Rächer der sorgfältig verdrängten Missstände nicht von der ätzenden Kritik aus.
„Du hast keine Kilos verkauft, du hast nur Platten über Leute die Kilos verkaufen verkauft – und die Leute für dumm / Aber ist ja nicht schlimm, ich mach ja auch Platten über Kinder in Vietnam, die meine Nikes vernähen und unternehme nichts“ (Audio88 auf „Die Welt dreht sich weiter„)
So lässt sich die Quintessenz von „Normaler Samt“ relativ bündig zusammenfassen. Aber das ist noch lange nicht alles. Da sind die unzähligen Referenzen, ob an die eigene Diskographie oder die bekannten und unbekannten Rap-Meilensteine, die gelegentlich fast schon klamaukigen Albernheiten, der eigensinnige Wortschatz, der fast schon einen eigenen Slang darstellt, die Punchlines, die sich nicht gegen die größeren Dinge, sondern eben einfach gegen den Schmutz richten und der generelle Facettenreichtum.
„Du blickst traurig aus dem hundert-elften Stock deiner Bank, ich steh unten lächelnd vor deinem Benz und pisse ihn an“ (Yassin auf „Täter oder Opfer„)
Generell folgen die einzelnen Songs einem stringenteren roten Faden als es bei vorhergegangen Releases der Fall war. Aber nicht nur über die Spieldauer eines einzelnen Titels, auch das ganze Album ist runder und stimmiger als etwa die „Herrengedeck„-Reihe, nach deren Genuss ich das Gefühl hatte, eine Collage genialer, aber wirrer Gedankengänge an den Kopf geworfen bekommen zu haben.“Normaler Samt“ ist in sich schlüssiger. Ein nachvollziehbares Album, bei dem es eine massive Rolle spielt, ob man die Zufallswiedergabe aktiviert oder eben nicht.
Doch nicht nur die Struktur tut „Normaler Samt“ gut, auch die Instrumentalisierung ist weit musikalischer und weniger atonal als gewohnt. Torky Tork hat ein Beatgewand geschneidert, das den beiden nicht nur passt wie angegossen, sondern auch noch einen ganz eigenen Spannungsbogen mit sich bringt. Der Titelsong „Normaler Samt“ leitet das Album augenzwinkernd mit Trap ein und das krawallige „Schmutzige Rapper“ mit Savas-Referenz in der Hook ist daraus die logische Konsequenz, die noch krachender vom misanthropischen „Das Orakel von Delfin“ mit einem brachialem grim104-Part fortgesetzt wird. Dann kommt mit „Der Rest der Band stellt sich vor“ der Bruch, bei dem die beiden Beatbastler ihre Bühne bekommen und den gefälligeren Teil des Albums einleiten. Dieser wird nach fünf Anspielstationen erneut durch das angespannte „Dieses Interlude“ gebrochen, um zum brillanten „Täter oder Opfer“ mit Enoq überzuleiten, das das schwerfälligere abschließende Drittel des Albums einläutet.
„iPhone gekauft, eine Woche später sagen sie das neue kommt raus, doch die Sonne, sie scheißt drauf – das is‘ was sie machen tut“ (Yassin auf „Taschentuch„)
„Normaler Samt“ ist das bisher beste Album von Audio88 & Yassin. Wenn diese Phrase nicht so unerträglich ausgelutscht wäre, könnte man an dieser Stelle sogar schreiben, dass es ihr erstes richtiges Album ist. Und das nicht, weil es erstmals auch so etwas wie eine normale Promophase gab. Fast jede Zeile ist zitierfähig und geht genau dahin, wo es am meisten weh tut. Die Tracklist ist perfekt sortiert, die Features sind sicher gepickt. Der Posse-Track „Normale Freunde“ stellt zudem einen neuen Rekord in Sachen Dopeness-Dichte auf. Gefühlt der gesamte deutsche Untergrund wurde versammelt und ausnahmslos jeder liefert einen verdammt guten Part ab. Ein verdammt gutes Album, das gar nicht so normal ist und noch besser runter geht, als es die ohnehin schon schmackhaften Herrengedecke taten.
„Ich sag’s mit Fiko, statt mit Schiller: Las gut gen Aynen“ (Audio88 auf „Normale Freunde„)