Tun wir mal kurz so, als wäre eine Review nicht ihr eigenes Universum, das keine äußeren Einflüsse außerhalb von Album und Rezensent kennt. Dann wäre es wirklich ein Leichtes, Animus‚ zweites Album so richtig zu verreißen. Nachdem der Heidelberger in den vergangenen Tagen von einigen größeren Kollegen mit Hohn und Spott überzogen wurde, wäre es supereinfach, „Purpur“ als kitschiges, pseudoromantisches Werk mit ein paar sarkastischen Sprüchen abzufertigen. Der Applaus des Publikums wäre einem obendrein sicher, und der eine oder andere missgünstige Kollege würde die Review sicher in den sozialen Netzwerken teilen. Großartig.
Das Problem ist nur: „Purpur“ ist weder kitschig noch pseudoromantisch. Im gegenwärtigen Deutschrap-Kontext, wo an vielen Fronten wieder eine Rückkehr zu alter Härte und Gefühllosigkeit propagiert wird, kann man es sogar als mutigen Schritt in die andere Richtung sehen. Nun betritt Animus damit kein für ihn völlig unbekanntes Neuland. Schon immer ließ er bei vielen seiner Songs das Visier herunter, gewährte Einblicke in sein Seelenleben. Und auch, wenn manche das unmännlich finden, was in einem Rapkosmos, in dem alles vermeintlich weibliche mit schwach und willenlos gleichgesetzt wird, nicht groß verwundern muss – es braucht schon Eier, um sich selbst so verletzlich zu zeigen. Würde Animus R&B machen, dann wäre die Diskussion ohnehin hinfällig, denn Sänger dürfen bekanntlich Gefühle zeigen, Rapper nicht. Es sei denn natürlich, Überheblichkeit ist ein Gefühl. Soweit, so simpel.
Aber lassen wir Gefühle mal eben ganz cool Gefühle sein und beurteilen wir „Purpur“ zunächst raptechnisch. Über die lyrischen Fertigkeiten des Heidelbergers besteht kein Zweifel. Statt den derzeit so beliebten Wie-Vergleichen serviert er dem Hörer echte Metaphern. Wie er etwa in „Kinderspiel“ den Kontrast zwischen harmlosem Kindheitsvergnügen und harter Erwachsenenrealität zeichnet, ist sauberes Handwerk.
„Schere, Stein, Papier – hat Ali schnell gecheckt
Macht durch Steine sein Papier und schert sich einen Dreck
Anna wollte ’ne Prinzessin sein und dachte sie kommt groß raus
Spielte nur mit Barbie, heute schafft sie selbst im Dollhouse“
Seine lyrische Stärke spielt Animus über die gesamte Spielzeit aus. Das gilt für den eher klassischen Einstieg in das Album, wo dem Protagonisten noch alles klar zu sein scheint, das Gute hier, das Böse da und der Kompass geeicht (mit Norden) wie für die zweite Hälfte von „Purpur„, in der sich die Stimmung dreht. Plötzlich ist es vorbei mit den scheinbaren Gewissheiten, der Protagonist verliert Stück um Stück den Halt, weil er sich in einer Amour fou mit einer Frau verliert, die genau wie er selbst eine verletzte, kaputte Seele hat. Ausgang offen, vermutlich aber tragisch. Diese Geschichte, die in der Videotrilogie „Karma„, „Interlude“ und „Purpur„ kulminiert, erzählt Animus unaufdringlich und ohne plakative Plumpheiten. Dass er nicht der beste Schauspieler der Welt ist, war in den Videos zwar tatsächlich deutlich zu sehen, soll hier aber – genau – keine Rolle spielen. Genausowenig wie das Cover übrigens, das ebenfalls, nun ja, Geschmacksache ist.
„Purpur“ ist, ungeachtet der ganzen Begleitgeräusche, ein konsequentes, lyrisch starkes und inhaltlich schlüssiges Album, das dem Hörer eine größere Geschichte erzählt, die aus vielen kleineren besteht. Kein Kitsch – nirgendwo. Dafür eine wirklichkeitsnahe Gefühlswelt fernab von Allmachtsphantasien und Unverletzlichkeitswahn. Nur den Beats kann man vorwerfen, dass sie ein wenig zu konventionell klingen, ein krasser Banger, der sofort im Ohr hängen bleibt, ist nicht dabei. Womöglich wäre das das i-Tüpfelchen gewesen, das noch fehlt. So bleibt Animus für sein drittes Album eben noch ein bisschen Luft nach oben.