Nach knapp sechsjähriger Schaffenspause meldete sich Kano im März mit seinem fünften Soloalbum „Made in the Manor“ zurück. Der Albumtitel trägt eine Referenz an die Manor Road in sich, die Straße im Osten Londons, in der eben jener Kano aufwuchs. Dementsprechend persönlich geht es auf dem Werk zu. Nun ist der Engländer auf Europatour und stellt neue Songs sowie altbekannte Hits vor. Grund genug, ein Interview über u.a. das Album, die eigene Entwicklung und britische Musik zu führen.
Deine Texte sind sehr persönlich. Du erzählst von erlebten Geschichten und Orten aus deiner Jugend. Hattest du Bedenken, dass die Leute, die diese Orte nicht kennen, die Songs nicht so fühlen werden?
Nein, nicht wirklich. Ich habe das Album so gemacht, aber wollte natürlich niemanden ausgrenzen. Ich habe festgestellt, dass die Leute, die das Album hören, sehr oft Parallelen von deren Leben zu meinem, oder deren Herkunft zu meiner Herkunft ziehen können. Der Song „Strangers“ handelt zum Beispiel von einem ehemaligen Freund, mit dem ich leider nicht mehr wirklich cool bin. Da muss man nicht aus dem Osten Londons kommen, um das zu verstehen. Die meisten Leute haben eben so etwas ähnliches auch schon erlebt. Das war die eine Sache, aber dann gibt es zum Beispiel den Song „This is England“, von dem ich dachte, dass er auch nur in England funktionieren würde. Vor zwei Tagen haben wir aber in Gent gespielt. Dort stand einer mit England-Trikot in der ersten Reihe, obwohl er nicht mal Engländer ist. Der Song ist tatsächlich einer der meist gefeierten auf der Tour bisher.
Das Album ist sehr biografisch. Wieso war jetzt der perfekte Zeitpunkt für diese Platte?
Das hat sich einfach so ergeben, als ich angefangen habe zu schreiben. Ich wollte den Leuten auf diesem Album nicht irgendetwas erzählen, was sie schon gehört haben. Außerdem wollte ich es echt halten und keine Geschichten erfinden. Dementsprechend musste ich tief in mich rein hören, um mehr offenbaren- und die Leute näher an mich ranlassen zu können.
Gibt es bei dir auch bestimmte Themen, über die du keine Songs machen würdest, da sie zu privat sind?
(überlegt) Ja, die gibt es wahrscheinlich. Es gibt sicher Dinge in meinem Leben, die ich eigentlich nicht teilen sollte. Aber dann kommt vielleicht die Zeit, wo ich mich wohler fühle, über diese Themen zu sprechen. Wenn ich es dann aufnehme, tue ich mich schwer damit, später zu sagen: „Nein, den Song kann ich nicht verwenden“. Der Künstler in mir gewinnt dann. Er gewinnt immer. Deswegen ist es eigentlich das beste, wenn ich es gar nicht erst aufnehme (lacht).
2005 hast du dein erstes Album veröffentlicht. Was ist heute der größte Unterschied, wenn du Musik machst?
Ich habe früher viel mehr im Studio geschrieben, mittlerweile schreibe ich sehr viel mehr zuhause, wo ich alleine bin und meine Ruhe habe. Ich finde, das hört man dem Album auch an. Und ich habe damals einfach mehr geschrieben. Zu jeder Gelegenheit habe ich einfach Lyrics geschrieben, auch wenn die nicht einmal für einen Song angedacht waren. Mittlerweile weiß ich eher, was ich nicht gebrauchen kann und was ich verwenden werde. Ich bin wählerischer geworden.
Auf „Made in the Manor“ hört man sehr viele Liveinstrumente. Wie lief die Produktion der Instrumentals ab?
Ja, ich liebe Livemusik einfach. Ich hätte sicherlich auch schon früher mit mehreren Instrumenten gearbeitet, wenn ich die nötigen Mittel gehabt hätte. Heute bin ich in einer anderen Situation. Diese erlaubt es mir, mit bestimmten Leuten zu arbeiten, die mehr Expertise haben. Das sind einfach großartige Musiker. Deswegen habe ich mir nicht einfach Beats zu schicken lassen und dann ausgewählt, sondern bin mit Produzenten und Musikern ins Studio gegangen, wo wir im Prinzip von Null angefangen haben. Manchmal habe ich mich an die MPC gesetzt und einen Beat gebaut, dann kam jemand dazu der mit dem Klavier etwas eingespielt hat. Diese fantastischen Musiker haben sehr dabei geholfen, dem Album die musikalische Tiefe zu geben, ohne das es aber diese raue Energie verliert. Das war mir sehr wichtig.
Auf „Lil Sis“ erzählst du von deiner Beziehung zu deiner kleinen Schwester, die du nur einmal gesehen hast. Du rappst: „Now I wonder if you know who I am“. Weiß sie das mittlerweile?
Ja, sie weiß wer ich bin, das habe ich herausgefunden. Der Song wird definitiv einen Effekt auf unsere Beziehung haben, sie kann jetzt losgehen. Das ist schon interessant. Musik ist einfach sehr kraftvoll, weißt du was ich meine? Man kann Leute berühren und ihre Leben verändern. Vor allem ich mein eigenes. Zum Beispiel der Song „Strangers“: Ich habe mit der Person, über die ich auf dem Song spreche, stundenlang telefoniert, nachdem er den Track gehört hat. Deswegen hat das Album schon etwas verändert. Diese Platte ist mehr für mich, als einfach Songs auf einer CD. Sie ist persönlich sehr wichtig für mich.
Auf dem Vorgänger „Method to the Maadness“ fand sich das Skit „iPod Generation“, auf dem das Nichtstun kritisiert wurde. Wie hat sich diese Generation in den vergangenen sechs Jahren entwickelt? Oder gibt es eine neue?
Naja, wir sind die Wi-Fi-Generation (lacht). Für das „This is England“-Video sind wir einmal durch das ganze Land gereist und kamen an Orte, wo es nicht einmal Empfang gab. Ich dachte mir: „Wie haben die Leute hier eigentlich irgendwas auf die Reihe bekommen?!“. Aber die haben wahrscheinlich einfach ihre Arbeit gemacht und mit ihren Familien kommuniziert, wenn sie nach Hause gekommen sind. Aber ja, wir sind halt die Wi-Fi-Generation. Das ist alles unglaublich gewachsen und mittlerweile auch nicht mehr aufzuhalten.
Findest du das gut oder schlecht?
Es ist natürlich etwas Schönes, einfach zum Haus eines Kumpels zu gehen, zu klopfen und zu gucken ob er da ist. Aber es ist natürlich auch praktisch, ihm einfach ein Bild zu schicken mit der Caption: „Yo! Wo treibst du dich rum?“.
Vor sechs Jahren hast du den damaligen Status von HipHop auf dem Song „Dark Days“ kritisiert. Bist du mittlerweile wieder mehr Fan oder stören dich immer noch Dinge?
Ich glaube… Es ist einfach anders. Ich bin absolut für Veränderung, aber ich bin einfach ein totaler Lyrics-Typ. Ich mag gute Sachen. Hiphop hat Phasen, wo viele Leute gute Sachen machen, aber manchmal macht jemand etwas schlechtes, das dann aber total groß wird. Schon wollen alle das gleiche machen, weil sie denken, das dass der neue Weg ist. Andererseits sind mittlerweile Leute wie Kendrick Lamar oder J. Cole an der Spitze der Charts, verkaufen Millionen von Alben und spielen Welt-Tourneen. Deswegen ist schon eine Menge Qualität an der Spitze. Mehr, als vor fünf Jahren zum Beispiel.
Britischer Rap und Grime wird weltweit immer populärer. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?
Die Leute haben immer schon englische Musik gemacht. Aber dass die Art von Musik die wir machen nun so erfolgreich ist, haben wir auch den sozialen Medien und dem Internet zu verdanken. Man sollte nicht vergessen, dass ein Künstler wie Dizzee Rascal schon vor langer Zeit in Amerika oder in Australien gespielt hat. Das hat aber einfach niemand gesehen, weil es zum Beispiel noch kein Instagram gab. Aber diese Leute haben auf jeden Fall Türen geöffnet und einen Weg geebnet. Stormzy und Skepta sind sehr erfolgreich außerhalb der UK und das sehen nun einfach mehr Leute. Es ist einfach ein Wachstum. Manchmal werde ich gefragt, ob ich es gut oder schlecht finde, dass sich immer mehr Leute für „unsere“ Musik interessieren. Ich finde das großartig! Es geht nur um Wachstum.
Vor dem aktuellen Album hast du fast sechs Jahre keine Musik veröffentlicht. Warum eigentlich nicht?
Nach dem letzten Release habe ich viel für die Fernsehshow „Top Boy“ gemacht, das hat ein paar Jahre gedauert. Dann habe ich angefangen, dieses Album aufzunehmen, was ungefähr drei Jahre gedauert hat. So ist die Zeit vergangen. Aber ich will auf jeden Fall wieder ins Studio, Songs machen und Musik veröffentlichen. Ich fühle mich gerade gut und habe Lust, mehr zu kreieren.