Die Wirkung von Rapmusik ist ein medial viel diskutiertes Thema. Immer wieder wird eine direkte Kausalität zwischen Rapmusik und Gewalt heraufbeschworen. Dabei haben wissenschaftliche Untersuchungen längst gezeigt, dass diese Vermutung ins Leere läuft. Eine der wenigen festen Erkenntnisse ist, dass Menschen, die zu aggressivem Verhalten neigen, stärker assoziativ Musik hören als andere. Damit wäre die Kausalität genau umgekehrt.
Doch auch abgesehen von der Gewaltdiskussion bieten die Wirkung und der Einfluss von HipHop viele interessante Aspekte. Die Musik ist ein wichtiger Teil unserer Sozialisation und prägt zusammen mit der Community den Freundeskreis, Sichtweisen, die Art, wie man sich kleidet oder wie man sich ausdrückt.
In dieser kurzen Reihe kommt zuerst Falk Schacht zu Wort, es folgen zeitnah der Rap-Pädagoge Nico Hartung sowie der Journalist Stefan Burkard. Das Thema „Wirkung von Rapmusik“ soll dabei von verschiedenen Seiten skizziert werden.
Was hatte Deutschrap für eine Wirkung auf die deutsche Musiklandschaft?
Deutschrap ist hauptverantwortlich dafür, dass deutsche Musiker wieder mit ihrer Muttersprache texten und nicht in englisch. Wenn man sich die Charts Anfang der 90er Jahre anschaut, dann wird man dort sehr viel englischsprachige Musik finden. Die meisten deutschen Künstler haben in Englisch gesungen. Deutsche Rapmusik war eines der ersten Genres, die sich wieder extrem intensiv mit der deutschen Sprache auseinandergesetzt hat. Dabei wurde innerhalb von knapp zehn Jahren, mit Beginn der 90er Jahre, ein Grad der Perfektion entwickelt, wie sie in den 100 Jahren davor nicht ausgebildet wurde.
Die Verdienste des deutschen Rock in den 70er-Jahren in allen Ehren, aber was dort an Entwicklung von Wortfluss, Versmaß und Reimtechnik stattgefunden hat, ist gegenüber Rap so gut wie nichts. Rap hat da gerade auf Grund des sportlichen Battlecharakters unglaubliche Grundlagenarbeit geleistet. Heute kann jeder Zehnjährige deutsche Texte schreiben, die sauber fließen und kunstvoll gereimt sind. Den Unterschied kann man feststellen, wenn man sich anhört, wie ungelenk sich frühe Deutschrap-Versuche im Gegensatz zu heutigen anhören. Als dann Ende der 90er der erste Deutschrap-Hype losging und Rap auch im Mainstream stattgefunden hat, haben natürlich auch andere Musiker gesehen, wie man mit deutscher Sprache arbeiten kann. Welche Reimmöglichkeiten es eigentlich neben Herz/Schmerz und Haus/Maus noch gibt.
Zusätzlich hat Rap die deutsche Sprache wieder cool gemacht. Während Kids vor 25 Jahren meist auf Englisch Musik gemacht haben, und es absurd schien auf Deutsch zu Texten, ist es heute genau andersherum. Und das gilt für jedes Genre. Wer heute Rockmusik macht, tut dies meist auch auf Deutsch. Ein weiteres Indiz kann man darin sehen, dass Heinz Rudolf Kunze vor 12 Jahren versuchte, eine Deutschquote im Radio durchzusetzen, mit der Argumentation, dass, wenn man das nicht macht, die deutsche Sprache in der Musik aussterben wird. In den Jahrescharts der erfolgreichsten Künstler sind inzwischen die ersten zehn Plätze von deutschen Künstlern und in deutscher Sprache belegt. Und diese Entwicklung ist meiner Meinung nach allein deutschem Rap geschuldet. Also die deutsche Sprache wieder cool zu machen, mit ihr zu arbeiten, das ist fast schon der alleinige Verdienst der deutschen Rapszene. Es gibt noch andere Wirkungen von Rap, aber was Kunst und Kultur betrifft, ist das der wichtigste Einfluss.
Welche Einflüsse hat deutscher Rap denn noch, abgesehen von der deutschen Sprache auf die Gesellschaft?
Die Wirkungen sind jetzt erst spürbar und das auch erst sehr, sehr langsam. Also auf jeden Fall langsamer als das Sprachliche. Da würde ich das Thema Integration auf jeden Fall noch benennen. Vor 15 Jahren war es eine totale Sensation, dass Kaya Yanar seine eigene Comedysendung bekommt: „Oh krass, ein Türke mit eigener TV Show“. Das war offensichtlich eine Besonderheit, weil es damals nicht Normalität war. Das zeigt, dass es kein Star-System im Kunst- und Kulturbereich gegeben hat für Deutsche mit Migrationshintergrund und jetzt gibt es dieses wegen Rap.
Denn die meisten Migranten oder ihre Kinder machen häufig, wenn sie Kunst machen, Rapmusik. Und jetzt gibt es diese Stars, die auch von vielen Bio-Deutschen bewundert werden. Deutsche setzten sich über die Texte auch mit den Lebensrealitäten der Deutsch-Migranten auseinander. Das kann man auch wieder am Sprachlichen erkennen. Deutsche Jugendliche benutzen jetzt nicht mehr so viele englischsprachige Begriffe im Alltag. Die Sprache der Deutsch-Migranten erhält Einzug. Para, Chaya, Babo. Das ist auch wichtig, um ins Gespräch zu kommen und sich kennen zu lernen. Und das hat in Kunst und Kultur vorher nicht so stattgefunden. Wenn Menschen und Bevölkerungsschichten in Kunst und Kultur nicht stattfinden, und damit auch nicht ihre Geschichten, dann ist es so, als würden sie nicht existent.
Ist das dieselbe Begründung, mit der du Bushido so vehement verteidigt hast, als er den Bambi für Integration bekommen hat?
Das ist mit einer der Gründe. Der Hauptgrund ist aber, dass die Leute, die sich da sehr drüber aufgeregt haben, sich erst mal an die eigene Nase fassen müssen. Ich habe das mal folgendermaßen formuliert: mir ist ein ehrliches Arschloch lieber als ein unehrliches. Und bei Bushido weiß man, was der einem liefert. Seine Texte sind keine große Überraschung. Er stellt sich aber auch nicht so da, als wäre er Jesus, und hat das auch nie getan. Er hat immer gesagt: „Ich komme aus schwierigen Verhältnissen und so bin ich, so rede ich, fickt euch!“. Damit kann ich leben und arbeiten, denn man kann ja trotzdem mit ihm reden und in einen Austausch kommen.
Die Leute, die ihn massiv kritisiert haben wegen des Integrations-Bambis, waren häufig große mediale Personen oder Medien, wie die Bild-Zeitung, die sich wie Jesus darstellen, obwohl wir wissen, dass sie es nicht sind. Und das ist der Grund, warum ich Bushido da vehement verteidige. Für mich basiert der Vorwurf gegenüber Bushido in weiten Teilen auch auf Rassismus sowie auf Sozialrassismus. Jemand wie Bushido wird nicht nur gehasst, weil er aus der Unterschicht kommt, sondern auch weil der „Kanake“ ist, der plötzlich auch noch Geld verdient und „meine Tochter hört ihn dann auch noch in ihrem Kinderzimmer, das geht ja gar nicht“. Natürlich kann man über Bushido diskutieren, aber wenn man da ehrlich sein will, muss man auch bereit sein, seinen eigenen Anteil an der Situation zuzugeben.
Zu dem Thema hast du in deiner kleinen Review zum Bushido/Staiger-Buch „Auch wir sind Deutschland“ geschrieben, dass der gleiche Sachverhalt bei Politikern und Rappern (es ging um Angela Merkels Diskriminierung von Homosexuellen) völlig anders aufgenommen wird. Ist dies für die Rapper eine Belastung oder vielleicht sogar eine Qualität, da Rapper durch ihre Aussagen einen Diskurs anstoßen?
Das ist eine Frage, die jeder Rapper persönlich für sich beantworten muss. Denn es gibt Menschen, die damit besser umgehen können, wenn sie etwas sagen und dafür wahnsinnig kritisiert werden, als andere. Entsprechend agieren sie ja auch: die, die provozieren und kontroverse Sachen sagen, können damit umgehen, weil sie z.B. darauf scheißen. Aber eine generelle Aussage zu deiner Frage zu treffen, ist kompliziert, da es im Individuum des Rappers liegt. Wichtig ist, wie es gesagt wird.
Die Homophobie im deutschen Rap ist nicht weit weg von dem, was eine AfD oder CDU/CSU dazu sagt. Der Unterschied zwischen der konservativen Politik und homophobem Rap liegt nur in der Form. Im letzten Bundestagswahlkampf wurde Angela Merkel gefragt, wie sie zum Adoptionsrecht für Homosexuelle steht. Sie sagte etwas wie, sie möchte niemanden diskriminieren, aber sie hätte damit Probleme. Inhaltlich hat sie gesagt „ich will niemanden diskriminieren, aber werde weiterhin Homosexuelle diskriminieren“. So wie sie es formulierte, klang es nicht unhöflich und deshalb hat sich niemand aufgeregt darüber. Inhaltlich ist es aber dasselbe wie die homophoben Lines von Rappern. Und ich glaube, dass das der viel wichtigere Punkt ist. Angela Merkel würde Bushido und jeden anderen Rapper für seine Lines öffentlich kritisieren. Das ist einfach heuchlerisch.
Passend dazu sagst du ja auch immer, dass Deutschrap der Spiegel der deutschen Gesellschaft ist. Aber ist es nicht genau das Problem, dass die Gesellschaft Deutschrap gar nicht als Spiegel sieht?
Ja, genau das ist das Problem. Der Grund, warum sie es nicht anerkennen mag, liegt für mich auch wieder begründet in diesem Sozialrassismus. Die Auswirkung dessen, was die Gesellschaft verursacht, findet ja auch im Rap statt. Der durchschnittliche deutsche Bürger sieht sich selbst ja erst mal als anständig an. Und wenn er z.B. Homosexuellen die Eherechte nicht zugestehen will, ist er trotzdem der Meinung, dass er der anständige Bürger ist. Das ist das abstruse, was wir in der extremsten Form in diesen ganzen AfD– und Pegida-Umfeldern sehen: das Postfaktische. Es geht gar nicht mehr um Argumentationen, sinnhafte oder logische Zusammenhänge, sondern nur noch um so persönliche Gefühligkeiten. Ego trippin‘.
Ich verstehe natürlich, dass die meisten Menschen sich an der Form von Rap aufregen. Aber bevor ich versuche, einen Rapper von seiner Homophobie zu befreien, würde ich zuerst versuchen, die Politik und damit die Gesetze von Homophobie zu befreien.
In den USA ist es die Black Community, in Deutschland die Postmigranten. Beide nutzen auch die Musik im Kampf um Anerkennung. Wie unterscheidet sich die Rezeption der beiden Gruppen?
In den Vereinigten Staaten gibt es in Kunst und Kultur wesentlich mehr Afro-Amerikaner als hier Deutsch-Migranten die Positionen inne haben. Ich glaube, hier wird es noch dauern, bis es sich angleicht. Dass in sämtlichen Gesellschaftsschichten und Lebensbereichen genauso viele Leute mit Migrationshintergrund Entscheidungsträger sind, wie Afro-Amerikaner in den USA. Und damit hängt auch zusammen, was Zugänge betrifft. Der Rezipient ist im Grunde nur derjenige, dem ich etwas vorsetze, aber davor muss ich ihn erst mal erreichen können. Und um ihn zu erreichen, muss ich an bestimmte Schlüsselstellen gelangen. Also an Leute, die etwas zulassen, die Tür aufmachen.
Und bevor das Niveau wie in den USA erreicht werden kann, werden sicher noch schätzungsweise zehn, fünfzehn Jahre vergehen. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Wie ich schon sagte, wird die Sprache schon genutzt. Über die Kinder kommt es auch in die Familien. In funktionierenden Familien, in denen sich Eltern und Großeltern mit ihren Kinder bzw. Enkeln unterhalten, kommunizieren sie über Musik: „Aha, ein Babo, was ist das?“. Da lernen die Älteren das ja auch kennen.
Plus, die Kinder von heute werden in zwanzig Jahren ja auch Eltern. Das heißt, auch hier wird das Wissen immer weiter gegeben und hineingewachsen und es wird immer selbstverständlicher. Die Botschaften, die Rapper mit Migrationshintergrund senden, werden noch mehr Ziele erreichen und noch besser verstanden werden. Das ist ein Prozess. Ein Farid Bang wird in 15 Jahren ein sehr etablierter Künstler sein, der mehrere tausend Leute auf Konzerte ziehen kann. Es wird aber auch wieder neue junge Rapper mit Migrationshintergrund geben, deren Botschaften auch gehört werden, die ins Fernsehen eingeladen werden. Ich denke, es wird immer besser und ist nicht aufzuhalten.
Siehst du denn auch schon in den letzten Jahren eine Entwicklung in der Berichterstattung über Deutschen Gangsterrap und Gangsterrapper? Dass es einen aufgeschlosseneren Umgang damit gibt?
Ja, ganz, ganz langsam, weil jetzt Leute als Autoren bei Zeitungen oder dem Radio, Fernsehen anfangen, die mit Bushido z.B. groß geworden sind und nicht diese Berührungsängste haben. Das ist auch etwas, was ich mit Türen öffnen meine. Während die ältere Generation es noch nicht versteht. Im Feuilleton wurde Hafti ja vor zwei Jahren als einer der wichtigsten neuen deutschen Autoren genannt. So was sind natürlich erste Schritte und Phänomene.
Es entspannt sich da etwas, was diesen Sozialrassismus-Part betrifft. Gleichzeitig, wenn man sich die Kommentarspalten darunter anguckt, waren wahnsinnig viele Kommentare extrem negativ und es wurde vom Untergang des Abendlandes gesprochen. Ich glaube, dass es diesen Kampf immer geben wird, aber das Rap am Ende die Oberhand gewinnen wird, was die Mehrheit dieser Medien betrifft. Das ist ein langsamer Prozess, aber es wird sich in den nächsten Jahren weiter entspannen. Dann wird es auch weniger schlecht recherchierte Artikel geben.
Muss Rap auch selbst in gewisser Weise Imagepflege betreiben oder sollte es komplett darauf verzichten?
Dass muss erst einmal jeder für sich selbst beantworten. Am Ende ist es wohl egal. Denn Medien suchen sich ihre Geschichten selber aus, und wer wird wohl zuerst Beachtung finden? Der nette Rapper von nebenan? Oder der Rapper, der auf andere geschossen hat? Der nette Rapper bekommt seinen medialen Raum, wenn er erfolgreich ist. Aber wenn der unbekannteste Otto eine Bank überfällt, und er Hobby-Rapper ist, den NIEMAND kennt, steht in der Zeitung: Rapper überfällt Tankstelle!
Da kommen dann diese medienökonomischen Prozesse zum tragen, dass sich Medien das negative Bild aussuchen und weiter verbreiten, um sich zu refinanzieren. Daher finde ich nicht, dass der meiste Rap was leisten muss. Der meiste Rap ist gut, so wie er ist.