Holt die HipHop-Polizei: Wie melodisch darf Rap sein?

Ein Fall für die HipHop-Polizei: Als Cro mit seinem Stil erstmals den Begriff „Raop“ in Deutschland prägt, bricht für die Trueschooler eine Welt zusammen. Ihr geliebtes Genre ist verhunzt, die Denkmäler von Pac und Biggie beschmutzt und mit Füßen getreten. Eine Mischung aus Rap und Pop? Zwei Musikrichtungen, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung (vermeintlich) grundlegend unterscheiden? Eine, seit Langem im großen Mainstream verankert und von 12-80 Jährigen in jeder Lebenslage konsumiert, mit viel Glamour, Radioplays, offen zugegebener Künstlichkeit – und eine, in der die Früchte kommerziellen Erfolgs zwar gerne zelebriert und präsentiert werden, gleichzeitig aber jeder Künstler, der etwas eingängiges, charttaugliches macht ein Verräter, ein Sell-Out, nicht mehr real und derselbe ist.

Rap mit Band

Man muss nicht einmal eine Pandamaske tragen und Feel-Good-Musik machen, damit einem die Welle geballter Aversion aus der Szene entgegenschlägt: Nachdem Casper 2009 sein Emorap-Image durch Vorzeige-Featureparts bei Selfmade Records halbwegs abgelegt hatte, folgten die nächste Anfeindungen sogleich, als er 2011 auf seinem zweiten Album „XOXO“ eine musikalischere Richtung einschlug und sich entschied, fortan Rap mit Band zu machen. Gemessen daran, wo sich die Deutschrap-Szene zu diesem Zeitpunkt befand, schlug er einen völlig neuen Weg ein – und versammelte nicht nur immer mehr Fans um sich, sondern inspirierte auch andere deutsche MCs, die sich gerne etwas von dem melodischeren Stil abschauten. Kommentare, dass dies kein Rap mehr sei, wollten trotzdem nicht abebben und sind auch bis heute nicht versiegt.

Dabei wagen es heute selbst frühere Gangsta Rapper, quasi Prototypen des Realraps, ihre Texte akustisch untermalen zu lassen: Chakuza (wenngleich nie ein klassischer Gangsta Rapper, durch sein Signing bei egj aber oft so gesehen) legte 2013 mit „Magnolia“ eine krasse Weiterentwicklung im Vergleich zu seinen früheren Releases hin und hat sich seitdem auch nur selten von dieser Herangehensweise abbringen lassen: Ruhige, introvertierte Texte, melodisch delivert auf kuscheliger Instrumentierung. Sicher sind dem Künstler auch viele treue, offene Fans in seine neue musikalische Ära gefolgt – einige werden sich aber kopfschüttelnd abgewendet haben, ob des Verlusts eines weiteren Lieblings an den „Mainstream“.

„Ich knall die Tür zu / Tschüss, Deutscher Rap / Hallo Musik, ich bin da / vielen Dank für die Einladung“Prinz Pi in „Beweis dagegen“ 

Bis heute hat sich viel getan im deutschen Rap und alternative Ansätze werden auch hierzulande stetig akzeptierter. Immer mehr Rapper nehmen eine Band mit auf Tour und produzieren Akustikversionen ihrer Tracks. Cloud-Rapper mischen dogmatische Szeneansprüche auf und legen nahe, dass Rap aus mehr besteht als Reimketten, Flows und Boombap-Beats. MoTrip, letztes Jahr unfassbar erfolgreich mit dem sehr melodiösen Rapsong „So wie du bist“, lässt seine Songs sogar von einem Orchester inszenieren. Gerade etablierte Artists müssen sich aber weiterhin Gedanken machen, ob sie vom Stil ihrer vorherigen Releases abweichen können, wollen sie ihr Stammpublikum nicht verlieren.

Blickt man über den großen Teich, sieht das Ganze deutlich entspannter aus. Schon früh begannen MCs hier, ihre Tracks mit Band zu performen. Man denke an The Roots, Outkast oder The Fugees, die auch hierzulande großes Ansehen genießen, und das nicht erst, seitdem akustischer HipHop in Deutschland angekommen ist. Experimente der Amis scheinen eher angenommen zu werden, die haben den HipHop schließlich erfunden, das wird schon richtig sein, was die machen. Aber hier wird gefälligst strikt den Four Elements gehuldigt.

Transatlantische Unterschiede

In den USA ist es außerdem Gang und Gäbe bei großen Rapartists, sich Unterstützung von hochkarätigen Popstars zu suchen: Da kollaboriert ein Eminem mit einer Rihanna, ein Jay-Z mit einem Justin Timberlake oder ein Mac Miller mit einer Ariana Grande – die Berührungsangst scheint deutlich geringer zu sein. Wieso auch nicht? Das Endergebnis geht gut ins Ohr, die Künstler ergänzen sich häufig hervorragend und der gesungene Refrain hilft einem guten Track über die Schwelle zum Welthit. Natürlich würde das Ganze auch ohne gehen, Raptracks mit straight durchgerappten Hooks haben ihren Charme und können genauso durch die Decke gehen. Aber da beides funktioniert, warum nicht auch beides zulassen?

In Deutschland ist die Angst davor erneut bei Weitem größer. Na gut, misst man die Künstler am relativen Bekanntheitslevel, dann wäre Samy Deluxe feat. Helene Fischer wahrscheinlich das deutsche Äquivalent zu Mac Miller feat. Ariana Grande – das Endergebnis sollte der Welt aber wohl lieber erspart bleiben. Doch auch hierzulande gibt es talentierte Sänger und Sängerinnen, deren Unterstützung mittlerweile auch gesucht wird – man denke an „Hurra, die Welt geht unter“ von K.I.Z. und Henning May oder Edgar Wassers „Aliens“ feat. Mine. Die Künstler, die diesen Schritt gehen, kommen aber meistens aus einer Sparte, die sich ohnehin offener für musikalische Experimente zeigt.

Zweierlei Maß

Im klassischen Deutschrap hingegen wären ähnliche Features ein Sakrileg. Überraschenderweise kein Problem: Austauschbare (und meistens furchtbare) Singsang-Hooks von No Name-Sängern und Sängerinnen auf Battleraptracks oder cheesige RnB-Refrains. Gerade letzteres liegt wohl daran, dass R’n’B und HipHop spätestens seit den 90er-Jahren eng verwoben und zusammen erwachsen geworden sind. Features zwischen R’n’B-Künstlern und Rappern gehörten lange zum guten Ton, auch das haben sich deutsche Artists von den Staaten abgeschaut.

Die Selektivität dabei, was im Rap erlaubt ist und was nicht, bleibt aber trotzdem ein Mysterium. Wenn Casper mit Konstantin Gropper aka Get Well Soon ein fantastisch produziertes Album an den Start bringt, dann ist die Nummer der HipHop-Polizei auf Kurzwahl – wenn sich aber der King of Rap von Karen Firlej eine Hook mit dem Text „Immer wenn eine Missgeburt zum Mic greiiiift, quittiert ein echter Rapper seinen Diiienst“ einsingen lässt, dann wird alles realgekeept – schließlich ist das hier ja ein echter Rapper.

Mach dich locker

Klar, übertrieben weichgekochte Musik nervt und wenn Sido ein Feature mit Andreas Bourani veröffentlicht, dann ist der Vorwurf, dies würde nur für den Charterfolg geschehen, zweifellos naheliegend. Wenn aber durch einen Griff in andere Genrekisten mehr Innovation in die deutsche Rapszene kommt, warum wird diese dann so verteufelt? Man könnte meinen, dass sämtliche BoomBap-Tracks gelöscht werden, sobald ein Rapper sich entschließt, Musik zu machen, die nicht in diese Schablone passt. Als würde jedem Einzelnen ein Stück „seiner“ Musik weggenommen werden, wenn ein Künstler sich entschließt, ein paar Bars über Gitarrenriffs zu rappen oder sich einen melodischen Flow anzueignen.

Dem ist aber nicht so. Zum Glück muss Bushido auch heute noch kein „CCN4″ auf Milky Chance-Instrumentals produzieren und Hafti muss kein großes Kollabo-Album mit Wir sind Helden rausbringen. Das erwartet und will niemand.
Inspiration und Anleihen aus anderen Genres, gepaart mit einer fetten Prise Innovation, sind aber das, was HipHop seit seinen Kindheitstagen geprägt und ausgemacht hat. Es tut der Szene also nur gut, wenn einige Künstler auch weiterhin über den Tellerrand blicken.