Juicy Gay ist in meinen Augen bzw. Ohren der momentan vielleicht interessanteste Emporkömmling des Landes. So vieles besticht an dem jungen NRWler: Der intelligente Humor, das zielstrebige Händchen für Themen, die grundsympathische Art, die Musikalität, mit der er zu Werke geht, der Mut, mit dem er sowohl inhaltlich, als auch musikalisch zu beeindrucken weiß und die schwindelerregende Hit-Frequenz. Gefühlt jeder zweite Song ist ein angenehm unaufdringlicher Ohrwurm. Außerdem hat er Videos von Timo Milbredt und Kurt Prödel und Cover Graphizzle Novizzle – sein gesamtes Auftreten ist durch die Bank weg stilsicher. Jeden dieser Punkte könnte ich nun ausschweifend ausführen – dennoch wird sich gerne auf einen Punkt beschränkt. Juicy Gay ist – wie der Name schon sagt – schwul. Durchaus ein Novum in der engstirnigen Deutschrapszene.
Das Problem ist, dass das Thema nicht von Juicy Gay selbst immer wieder ausgegraben wird. Bis auf den selbstverständlich an Juicy J angelehnten Namen – vor seinem gleichnamigen Song mit Money Boy im Dezember 2014 war er unter dem Alter Ego Kellerkind aktiv – und ein gutes Dutzend Songs, die sich in augenzwinkernde Referenzen verpackt und mit einer unpeinlichen Selbstverständlichkeit mit dem Thema auseinandersetzen, gibt es nämlich gar keine Bezüge auf die eigene Sexualität. Während das Motiv zu Beginn noch regelmäßiger aufblitzte, arbeitet Juicy Gay sich nun an genretypischen Themen, dem Tagesgeschehen oder absurden Themen der Marke „Diddl Blätter“ ab. Dennoch dreht sich jedes Interview nur um eines: Juicy Gay ist schwul. In der aktuellen Juice Ausgabe findet sich ein Interview, das sich zu gut und gerne einem Drittel um seine Homosexualität und sogar sein Outing dreht. Werden in Zukunft auch heterosexuelle Rapper in Zukunft über ihr ersten Mal ausgefragt? Mehr als der durchschnittliche Deutschrapper thematisiert Juicy derlei Aktivitäten nämlich auch nicht.
Kein einziges Interview kommt ohne ausführliche Gespräche über die Sexualität des selbsternannten Trapgaylords aus, obwohl Künstler wie King Orgasmus One, Rhymin Simon oder Frauenarzt mit der ihren weit exhibitionistischer umgehen. Ich will damit nicht sagen, dass es ein Tabuthema sein sollte, das man nicht mehr ansprechen darf – aber doch scheint es für viele der einzige Grund zu sein, sich überhaupt mit diesem talentierten Jungen zu unterhalten. Zumindest überschattet es das wichtigste: Die hervorragende Musik. Gerade die geheuchelte Weltoffenheit ist dabei die große Crux: Juicy Gay hat eine Lanze gebrochen, und jeder gescheit denkende Mensch heißt das willkommen. Aber ihn jetzt darauf zu beschränken, ihm einen Käfig daraus zu zimmern, ist absolut kontraproduktiv. Ja, wir haben jetzt einen offen schwulen Rapper, der auch mal damit hausieren geht. Ja, wir sind alle down damit und finden es mutig, dass endlich mal jemand die Eier hat, dieses Signal zu setzen. Genau deshalb sollten wir ihn bzw. seine sexuelle Ausrichtung aber nicht zur Schau stellen, wie ein exotisches Fabelwesen.
Spätestens als irgendein Pseudo-Journalist sich selbst mit der Mission betraute, Juicy Gay als verdammte Hete zu entlarven, wurde das ganze schon viel zu absurd. Ich habe vergessen, wie der Larry hieß, aber offenbar fühlte er sich reichlich investigativ dabei, alte Klassenkameraden auszufragen und kam so zu dem Schluss: Alles fake, alles Lüge, alles Photoshop. Einen Shitstorm später war das Thema dann auch vom Tisch, aber selbst wenn es so wäre: Wen juckt das? Juicy Gay macht hervorragende Musik, was spielt es da für eine Rolle, wo er sein Ding reinsteckt? Selbst wenn das gelegentliche Herumgeschwule lediglich der Unterhaltung dient oder ein Experiment darstellt: Songs wie das Liebeslied für Fler funktionieren einfach. Also hört auf, diesen hervorragenden Musiker nur darauf zu reduzieren, völlig egal ob „Schwuchtel!“ –YouTube Kommentator mit zweistelligem IQ oder vermeintlich unvoreingenommener Redakteur. Juicy Gay sollte nicht als Maskottchen wahrgenommen werden, sondern als der mutige Hitgarant, der er ist – völlig egal, ob er Cohibas oder Dicks smoket.