Rap und die gesamte HipHop-Kultur sind in den letzten Jahren zu einem beliebten Forschungsgegenstand geworden. Immer mehr Alumnis und Profs wagen sich an das breite Angebot des Sprechgesangs in allen möglichen Sprachen für alle möglichen Untersuchungen heran. Eine Entwicklung, der wir mit unserem Format Rap und Wissenschaft Rechnung tragen. Dabei handelt es sich nicht um eine ausführliche Analyse, da dies den Rahmen sprengen würde, vielmehr soll es als Anregung dienen. Die dritte Ausgabe führt uns wieder in die Linguistik.
In-ter-tex-tu-a-li-tät. Was ein Wort. Als Text-Charakteristikum bezeichnet der sperrige Begriff sämtliche Beziehungen, die zwischen verschiedenen Texten bestehen können. Geprägt wurde er von Julia Kristeva 1967, aufgegriffen und weitergeführt von unter anderem Michel Foucault, Roland Barthes und Gérard Genette.
Für meine heutige Rap-Analyse wende ich den Begriff Intertextualität auf jegliche Art von Verweisen auf andere Texte und Kontexte innerhalb eines Textes an. Das heißt direkte, wörtliche Zitate und Samples jeglicher Art, aber auch direkte und indirekte Anspielungen und Bezugnahmen auf andere Texte und Kontexte. Damit sind auch intermediale und diskursüberschreitende Beziehungen der Texte sowie Verweise auf das ganze Große – sprich die HipHop-Kultur – gemeint, die als kulturelles Wissen gelten können.
Um das zu verinnerlichen erläutere ich die Begrifflichkeiten „Diskurs“ und „Kulturelles Wissen“ kurz: Nach Kirsten Adamzik, Sprachwissenschaftlerin aus der Schweiz, ist der Diskurs als „prinzipiell offene Menge von thematisch zusammenhängenden und aufeinander bezogenen Äußerungen“ zu verstehen. Bedeutet: In all dem Zeugs, was so in den verschiedenen Diskursen gesagt wird, spiegeln sich die aktuellen Interessen und das örtliche Wissen einer Gesellschaft. „HipHop“ generell gilt also als übergeordneter Diskurs bzw. als eine eigene Diskurswelt, in der einzelne Diskurse wie zum Beispiel „Rap“ beheimatet sind, unter den dann wiederum Diskurse wie „Battle-Rap“ , „Polit-Rap“ , „Message-Rap“ etc. untergeordnet sind.
Sowohl die verschiedenen Verweise als auch das Verständnis der Diskurse und Unter-Diskurse verlangen eine bestimmte „Gesamtheit kollektiv geteilter und symbolisch vermittelter Annahmen über die Wirklichkeit“ , also ein spezifisches kulturelles Wissen, welches wir alle als Rezipienten der HipHop-Kultur und des Rap besitzen. Raphörer wissen eben mehr.
Im Rap wird die Intertextualität als Stilmittel intensiv genutzt, ob gesamter Song oder einzelne Lines, Szenen in Musikvideos oder Beat-Samples. Ich versuche, das Ganze mal zu kategorisieren, um die Vielfalt und Wirkung aufzuzeigen. Ich beziehe mich dabei auf das kulturelle Wissen von HipHop und bewege mich im Diskurs über HipHop und nicht im „Diskurs um die Eurokrise“ oder „Diskurs um Atomkraftwerke“ oder „Diskurs um Obst“ – das sollte klar sein.
Beat-Samples
Fast alle Songs auf K.I.Z.‘ „Böhse Enkelz“ (ausgenommen „Freiwild“ ) basieren auf einem bereits existierenden Beat, sogar sich selbst haben sie dabei zitiert. Um dies nachvollziehen zu können, muss man sich in diesem Fall von Intertextualität das Ganze anhören. Falls die folgende Gegenüberstellung und Aufdeckung (bzw. eine Auswahl davon) noch nicht in deinem kulturellen Wissen verankert war, ist sie es spätestens nach den folgenden paar Sekunden:
Intro (Böhse Enkelz) → Die Ärzte – Schrei nach Liebe
Hurensohn RMX → K.I.Z. – Hurensohn
Wir werden jetzt Stars → Torch – Wir waren mal Stars
Bong verkippt → Kool Savas & Azad – Monstershit
Riesenglied → Die Beginner – Liebeslied
Was willst du machen? → R. Kelly – Ignition
Outro → White Stripes – Seven Nation Army und Eurythmics – Sweet Dreams
Dies führt zu dem einen oder anderen kleinen oder großen Lacher, aber der Humor im Rap ist ein anderes Thema… Sogar der Titel des Mixtapes ist für sich bereits ein Verweis auf die umstrittene Frankfurter Band Böhse Onkelz.
Vocal-Samples
Einen Schritt direkter geht es mit expliziten Vocal-Samples, die in die eigenen Lines eingebaut werden. So findet zum Beispiel Kool Savas eine Stimme im Intro und Outro von „Pääh“ von Xatar und SSIO mit „Deutscher Rap ist schwul und gegen reale Beats“ aus „King of Rap“ .
Genauso wie in „Dies Das“ von Dexter, Audio88 und Yassin mit „Was du machst ist nicht korrekt wie Behindertenwitze“ aus „Das Urteil“ , sowie mit „Dies das einfach so verschiedene Dinge“ aus „Bitte Spitte“ wird er direkt zitiert.
Kool Savas selbst lieferte das Paradebeispiel der Intertextualität im Rap mit „Rapfilm“ , bei dem nahezu alle Lines aus Verweisen bestehen:
„LMS, die Übersetzung: „Suck my dick“ → DMX – Party Up
Und „keep them shook crews runnin‘ like they supposed to“ → Mobb Deep – Shook Ones Part II
Diese Spinner sind hohl, denken: „Let’s get it on“ → DMX– Get it on the Floor
Kiffen sich tot, Karriere? „Whoa“, griff in das Klo → Black Rob – Whoa!
„You don’t know me and you don’t know“ wie ich bin → Wu-Tang Clan – Method Man
Lernst du was und wenn nicht, „you hella dum-da-dum-dum“ → Luniz – I got 5 on it“
Und so weiter. Für die Intention des Songs ist dieser Intertextualitäts-Gebrauch unabdingbar.
Nach einem ähnlichen Prinzip ist Liquit Walker bei „Mein DJ“ vorgegangen:
„Und ich sag: „A-HA!“ als wär der Part von Jada → Lachen von Jadakiss
Mein DJ sagt: „Get the fuck up!“ → Pharoahe Monch – Simon Says
„I ain’t going nowhere, I own this shit right now, man“ → Cam’Ron, Jay-Z und Juelz Santana – Welcome to New York City
„Now here’s a funky introduction“ → A Tribe Called Quest – Check the Rhime
„And that’s a fact, I can never be wack“ → Tim Dogs – Bitch with a Perm“
In der kleinen aber feinen, jüngst releasten EP von Enoq „Wie ich do“ ist auch was zu finden: In „Bisschen für den Fame“ wird mit „This is how we do it“ in der Hook der gleichnamige Track von Montell Jordan zitiert, sowie mit „Simsalabim für’n Arsch, heute bin es ich, früher war’s Savas“ ein Verweis auf Kool Savas hergestellt. In „Egoist“ interpretiert er die Hook-Zeile „Die ganze Welt dreht sich um mich, ich bin nur ein Egoist“ aus Falcos gleichnamigen Song aus 1998 neu.
Nachahmen
Ein durchaus amüsanter Gebrauch der Intertextualität ist das, was Alligatoah in seiner zweiteiligen „Kunst des Bitens“ macht. Er äfft nämlich andere Rapper und ihren Stil nach. Auch das muss man sich anhören, um es zu verinnerlichen. Unter anderem sind diese Rapper als Imitationen vertreten: Massiv, Samy Deluxe, King Orgasmus One, Farid Bang (mit seinem aberwitzigen, kreativen Reimgebrauch) und Haftbefehl.
Erwähnungen
Im Death Note-Style verleiht Marsimoto einem fiktiven Hater namens Jack Hate eine Stimme, damit dieser Größen des Deutschrap auf eine „Todesliste“ setzen kann. Mal abgesehen von der wahren Intention des Songs (nämlich kein Diss- sondern ein Props-Track) ist dieser bespickt mit Verweisen, Verweisen, Verweisen… Vorrangig durch Namedropping:
„(Bushido) Du bist Schuld, dass alle Kinder scheiße baun
Chakuza es sind alles deine Kinder, und das weißt du auch!
(Marsimoto) Du stiftest die Jugend zum Kiffen an
Mein Bruder starb, weil er durchs Kiffen von der Klippe sprang!
(Curse) Und damals dieser Track, wie hieß er? Gangsta Rap?
Du bist kein Gangster, du bist StudiVZ!
(Savas) Du bist cool und verdienst die Scheiße auch
Ich hab LMS geliebt, doch deine Beats macht eine Frau!
(Eko) Damals hast du die Flasche ins Gesicht bekommen
Warum hast denn du danach kein neues Gesicht bekommen?
(Orgi) Diese Lache! Und immer so sorglos
Wegen dir bekommt Cindy 50 Euro für ein Porno!“
Umformungen
Manchmal werden bereits existierende Lines nicht nur direkt übernommen, sondern umgeformt, indem lediglich die Satzstruktur übernommen wird. So erklingt noch der Originaltext im kulturellen Wissen des Rap-Ohrs. In „Radiowecker“ starten Huss und Hodn eine Relation in Richtung Stieber Twins:
„Klar, es gibt verschiedene Rapgeschmäcker, doch bei Grundschultexten ziehen mein Bruder und ich den Stecker“
wurde zu:
„Klar, es gibt verschiedene Rapgeschmäcker doch bei Homoraps ziehen Hulk Hodn und ich den Stecker“
und:
„Scheiße, jetzt bimmelt mein Radiowecker!“
zu:
„Scheiße, jetzt klingelt mein Radiowecker“ und zu: „Scheiße, jetzt klingelt mein Telefon“ .
Abschließend will ich zusammenfassen, was diese Intertextualität für eine Wirkung und Funktion hat. Sicherlich hast du schon beim Lesen bemerkt, wie dir Erinnerungsfetzen in deinen Kopf geschossen kamen.
Die Intertextualität funktioniert bereits beim Lesen, das heißt, dass Texte nicht nur untereinander in Beziehung stehen, sondern eben auch mit der Kultur, der Gesellschaft und dem ganzen übergeordneten Diskurs. Der „Leser“ , der sich auskennt oder auch nicht auskennt wird nun im „Lernprozess“ immer wieder auf Stellen stoßen, für deren Verständnis er sich mit entsprechenden Mitteln informieren muss. Somit wird er aktiv gefordert, sich mit der Kultur, auf die sich dieser oder jener Text bezieht, auseinanderzusetzen.
Zudem bekommt der Text durch die Intertextualität einen neuen Sinn. Wenn einem zum Beispiel die ganzen Namen, die Marsimoto in „Todesliste“ erwähnt, nichts sagen, oder man nur „Wir werden jetzt Stars“ von K.I.Z., aber nicht den Song von Torch kennt, dann versteht man den Inhalt des Textes als individuelles Stück. Ist dies aber nicht der Fall und das kulturelle Wissen ist bespickt mit allerlei Informationen aus dem Diskurs um HipHop und Rap, so erhält der Text im Kontext jenen Diskurses noch mehr Bedeutung bzw. einen neuen Sinn.