Es schallt durch das Oberhäslicher Wirtshaus direkt neben dem Sportplatz der Stadt Dippoldiswalde im Weißeritzkreis. Der örtliche Handballverein hat sich ein stolzes 23 zu 18 erkämpft. „DAY N NITE……blablablablablablabla DAY N NITE!“ Feuchtfröhliche Stimmung, glückliche Gesichter. Die Kickdrum des Crookers-Remixes des Kid Cudi-Hits „Day ’n‘ nite“ wummert an die staubigen, mit Wimpel behangenen und von billigen Zimmerpflanzen zugewachsenen Fenster der Kaschemme. „Day n nite“ hat sich einst, 2008, lang lang ist´s her, dank eines an David Guetta‘ness kaum zu übertreffenden Soundbildes, tatsächlich bis in die entlegensten Winkel der Provinz hervorgearbeitet. Thorsten und Heiko liegen sich beschwipst und verschwitzt in den fleischigen Armen, stemmen den Maßkrug gen Himmel und frönen der ungezügelten Heiterkeit. Dabei versuchen sie, mehr schlecht als recht, die Hook des Songs papageienartig nachzuplappern. Es misslingt, stört allerdings niemanden.
Damals. 2008. Als der Himmel in der Welt des Scott Mescudi noch mit güldenen Geigen behangen schien. Steile Karriere? Frage der Zeit. Jeder und seine Tante war plötzlich Fan. Auch Kanye, eventuell gar dessen Tante. 2009, also im Jahr eins nach „Day ’n‘ nite„, holte der Göttergatte des ansehnlichsten Exemplares im Nachwuchspool der Kardashians den Mann mit der rosigen Zukunft ins Roster seines Labels G.o.o.d. Music. Ein Glücksgriff, sollte sich bald herausstellen, denn: „808s and Heartbreaks„, das polarisierndste aller Kanye West Alben, wurde zu beträchtlichen Teilen von Kid Cudi mitgeschrieben. Es ist angerichtet. Erfolg, here i come! Doch ach, nicht so schnell!
Eine halbe Dekade später hat sich einiges verändert. Alle Zeichen deuten mittlerweile auf den Umstand hin, dass die Karriere des Kid Cudi zum musikalischen Pendant des Werdegangs eines Sebastian Deisler verkommt. Zu viel Hype, zu wenig Rechtfertigung dessen. Nachdem sowohl Fans als auch Kritiker mehr oder minder unisono die Meinung vertraten, dass Cudi von Album zu Album an Standard verliere, fand diese Spirale der akustischen Abwertung des Cudi Outputs seinen Tiefpunkt im 2012 erschienenen WZRD Projekt. „Ich bringe mir jetzt Gitarre bei und mache Rock!“ Ob der gute Mann mit der Bedeutung des Wortes überambitioniert vertraut war? Wohl nicht. Er hätte sonst eventuell abschätzen können, wie unterirdisch die Resonanz auf diesen Ausflug ins Ungewisse ausfallen würde.
Auch labeltechnisch war die jüngere Vergangenheit absolut nicht Cudis bester Freund. Unlängst kehrte er seiner Heimat G.o.o.d. Music entnervt den Rücken. Unzufrieden soll er gewesen sein. Fehlende Labelarbeit, fehlende Motivation. Das Tischtuch zwischen den Herrschaften West/Mescudi: zerschnitten. „Indicud“ allerdings erschien trotzdem noch unter der Schirmherrschaft von Kanye. Wer jetzt allerdings denkt, dass dieser Umstand musikalisch gesehen ein Segen sein müsste, liegt etwa so falsch, dass er beim morgendlichen Erheben aus dem Schlafgemache ein Gefühl an der Wirbelsäule verspüren dürfte, welches auf eine Schlafhaltung im 90° Winkel hindeutet.
Um das Fazit gleich vorweg zu nehmen: „Indicud“ ist ganz ohne Zweifel eins der schlechtesten Major-Alben der Rapgeschichte! Mit jedem Song sinkt die Erwartung umgekehrt proportional zur steigenden Wut über das Gebotene. Stichwort: Überambitioniert. Der werte Herr M. scheint mit dem Konzept der Selbstüberschätzung zu heftig geflirtet zu haben. Man könnte fast meinen, er habe sein komplettes Hab und Gut bei feinstem Candle Light Dinner mit besagtem Phänomen mit Pauken und Trompeten auf den Kopf gehauen. Anders ist nicht zu erklären, wie Cudi allen ernstes auf die Schnapsidee kam, das komplette Album selber zu produzieren. Das nahezu unterirdische Produktionsniveau ist streckenweise absolut nicht zu erklären. Es lohnt sich fast gar nicht, einen Song in dieser Hinsicht herauszuheben. Wie soll man das Gebotene am besten erklären? Prätentiös. Das wäre ein Ansatz.
Jeder Song strotzt nur so vor gefährlichem handwerklichem Halbwissen. Man merkt es einfach unangenehm deutlich: „Indicud“ ist nicht von einem Produzenten produziert worden, sondern von jemandem, der diesen Status gerne inne hätte, leider Gottes aber Lichtjahre von besagtem entfernt ist. Die Instrumentale klingen nahezu über die gesamte Spieldauer des Albums nach einigermaßen soliden ersten Gehversuchen, die zwar aller Ehren wert, allerdings auf einem Major Release vollkommen und mehr als fehl am Platze sind. Beliebige Drumsounds, teilweise vollkommen langweilige, atonale und von Dissonanz nur so strotzende Synthesizermelodien, enorm lahmarschige Arrangements und ein sehr dürftiges klangliches Gesamtbild stellen den roten Faden in „Indicud“ dar. Böse Zungen mögen einwenden: „Der rote Faden ist deshalb rot, weil rot eine abschreckende Signalfarbe ist.“ Wie ein Stopschild quasi. „Achtung! Dieses Album ist ganz fürchterlich! Bitte nicht anhören! Eltern haften für ihre Kinder!“
Sei es nun das mit dem abgehalfterten, heutzutage lieber vor der Polizei wegrennenden als ernsthaft Musik machenden Too Short eingespielte „Girls„, das megalomanische „Unfuckwitable„, das vollkommen abstruse „Afterwards“ inklusive Micheal Bolton (!) oder das reißerische „Immortal„. Dazu noch die am Reißbrett ausgedachten Zweckfeatures der ohnehin mehr als überpräsenten Kendrick Lamar und A$AP Rocky, welche interessanterweise im krassen Gegensatz zu der ansonsten vollkommen massenuntauglichen Marschroute dieses Albums stehen. Welchen Song der geneigte Hörer auch anspielt: Es stellt sich nahezu sofort das Verlangen ein, so laut es geht „Ruhe!“ zu brüllen, das eigene hilflose und weitestgehend unbescholtene Laufwerk von der Bürde dieser CD zu befreien und selbige einem Frisbee gleich gen Horizont zu feuern, von wo sie hoffentlich – anders als Veysel und Saad glauben, nie mehr zurückkehren wird. Selten war Belanglosigkeit greifbarer.
Kid Cudi ist trotz des Hinweises im Namen kein Kind mehr. Wenn ein 5jähriges Blag seiner Mutti mit dem Hinweis „Kuck mal Mama, ich hab ein Auto gemalt!“ ganz stolz ein ungelenk beschmiertes Papier unter die Nase streckt, klebst du dieses Papier an den Kühlschrank. Keine Diskussion. Wenn allerdings ein fast 30jähriger Mann dem Konsument „Kuck mal, potentieller Käufer, ich hab ein Album gemacht!“ rufend einen Silberling von dieser erschreckenden Qualität präsentiert, darf er um Gottes Willen nicht mit derselben nachsichtigen Reaktion rechnen. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten sollte es auch niemanden mehr verwundern, dass der Höhepunkt des Albums mit dem RZA Part auf „Beez“ nicht einmal auf dem Mist von Kid Cudi gewachsen ist… was macht eigentlich Sebastian Deisler so heute?