HipHop Kemp spezial: Ein Festivalbericht von Lisa

Eineinhalb Stunden später, die ersten Acts spielen bereits, Breaker breaken, Sprüher sprühen und Alkoholiker trinken, steht unser Zug in irgendeinem tschechischen Kaff, dessen Namen nach Lebensmittelvergiftung klingt. Es hat nicht mal einen Bahnhof. Hühner überqueren die Straße. Ein alter Mann scheint in seinem Garten eingeschlafen zu sein. Nach gefühlten zwanzig Minuten setzt unser Gefährt sich wieder in Bewegung. Die Hoffnung, Odd Future, die gegen 22 Uhr auftreten sollen, noch zu erwischen, sinkt stetig. Der Fotograf fragt, wo wir denn bleiben. Wir wissen es selbst nicht.

Drei Stunden später. OFWGKTA kommen auf der Bühne und wir befinden uns davor. Inmitten einer betrunkenen, euphorischen Partymenge. Nüchtern. Abgekämpft. Todesgenervt. Dann setzt der Beat des ersten Songs ein, die Jungs auf der Bühne rasten komplett aus, ebenso die DJane, und alles ist vergessen. Die Zugfahrt, die handybedingte Unerreichbarkeit, die journalistisches Arbeiten vor Ort schwierig bis unmöglich machen könnte. Alles. Das da vorne ist keine Gruppe, die routiniert ihr Programm durchziehen. Das sind junge Männer, die zu jedem Song ausrasten, als wären sie im Club und es würde ihr Lieblingslied gespielt. Die scheiße tanzen und denen es egal ist. Die brüllen, Geschlechtsverkehr mit einem Stuhl improvisieren, auf einem Fahrrad über die Bühne fahren und in die grölende Menge springen. Insbesondere Tyler, the Creator beeindruckt und das nicht nur durch seine Stimme, die wie die eines 50-Jährigen klingt. Trotz gebrochenem Fuß lässt auch er sich das Stagediving nicht nehmen und selten habe ich jemanden spektakulärer auf einem Stuhl ausrasten gesehen. Das ist ganz großes Kino. Die Security wirkte hingegen leicht überfordert. Mehrmals schaffen es Fans unbehelligt über die Absperrung. Beim Splash wären sie spätestens nach zehn Sekunden mit einem Scharfschützengewehr von der Bühne geholt worden, um einen reibungslosen Betriebsablauf zu garantieren.

Mit dem dumpfen Gefühl, den spektakulärsten und erinnerungswürdigsten Auftritt der Veranstaltung bereits gesehen zu haben, machen wir uns am nächsten Nachmittag auf zum Gelände. Die Shuttle-Busse vom Hauptbahnhof fahren erst ab 16 Uhr, was es uns unmöglich macht, die zeitgleich auftretenden Huss & Hodn zu sehen. Es sollte nicht der letzte Moment unseres Tschechien-Aufenthalts bleiben, der Unverständnis und, nun ja, Wut hervorruft. Aber mehr dazu später. Durch unser Zuspätkommen haben wir dafür auch die ganz große Sintflut verpasst. "Ich glaube, das war ein Zeichen, dass wir aufhören sollten“ wird Hulk Hodn später sagen. Sein musikalischer Partner scheint sich aber auch davon nicht abhalten zu lassen, freestylend mit einem Ghettoblaster übers Gelände zu laufen. Hätten wir gerne gesehen, haben wir aber nicht. Stattdessen erkunden wir das HipHop Kemp Areal und sind beeindruckt. Trotz erheblicher Größe, inklusive extremer Unübersichtlichkeit, weshalb wir des Öfteren den Geländeplan bemühen mussten, sind überall, wirklich überall Leute.