Kollegah, der Hessentag, Antisemitismus-Vorwürfe und Hitler-Fake-Profile (Kommentar)

Trotz des großen kommerziellen Erfolgs von Rap tut sich die gesellschaftliche Mitte nach wie vor schwer damit, ihn in ihre Reihen aufzunehmen und anzuerkennen. Teilweise hat dies durchaus plausible Gründe. Wenn es doch mal Versuche gibt, das Verhältnis zwischen Rap und der gutbürgerlichen Gesellschaft aufzulockern, scheitern diese meist, wie einmal mehr die von Geschichte um die geplatzte „Rap-Night“ zum Hessentag beweist…

Weil es die Tradition so vorsieht, veranstaltet das Bundesland Hessen im kommenden Juni seinen alljährlichen Hessentag, wobei für dieses Jahr die Stadt Rüsselsheim mit der Ausrichtung der Feierlichkeiten beehrt wurde. Man möchte sich „in seiner Vielfalt“ präsentieren und „ein Gefühl von Heimat vermitteln“, kurz: sich ein bisschen selbst feiern.

So langweilig, so gut – und allemal relativ irrelevant für die deutsche Rapszene. Würde man denken. In Zeiten, in denen sich Rapcrews, die im Mainstream lediglich mittelmäßig bekannt sind und sich dennoch fast dafür schämen müssen, wenn sie mit ihren Alben nicht auf Anhieb die Spitze der Album-Charts erobern, ist es allerdings schon lange kein Sonderfall mehr, dass auch Vertreter und Vertreterinnen des deutschen Rap beim Hessentag performen. Das Ganze nennt sich dann „Rap-Night“ und wird auf der Seite des Veranstaltungsreihe als „Highlight“ beworben.

Eigentlich muss die Stadt Rüsselsheim und allen voran ihr Oberbürgermeister Patrick Burghardth ziemlich stolz auf die Zusagen der bei der Jugend im Land so angesagten Künstler, allen voran auf die von Kollegah gewesen sein, denn den hatten sich die „jungen Leute“ wohl ganz explizit gewünscht.

Allerdings hatte man kaum mit der Werbung für das Konzert begonnen, als ein regelrechter Hagel der Kritik zu prasseln anfing: zuerst vom Magistrat der Stadt selbst, der in den Texten der angekündigten Acts „sexistische und frauenfeindliche“ Elemente entdeckt hatte und vor einigen Tagen dann sogar von Seiten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich in einem offenen Brief an die Veranstalter wandte und behauptete, dass Kollegah „Antisemitismus, Homophobie und Gewalt gegen Frauen“ propagiere.

Scheinbar doch keine so gute Idee, die bösen Jungs zur großen Party eingeladen zu haben. In einem offenen Brief gab der Bürgermeister Rüsselsheims wenig später bekannt, dass er seine „Beschlussfassung zur geplanten Rap-Night beim Hessentag“ nun doch wieder revidiere. Er erklärte die Veranstaltung für abgesagt.

Was alsbald folgte war der Beginn eines neuen Streitgesprächs über die Grenzen des guten Geschmacks und die Rolle von Gangster-Rap in Deutschland im Jahr 2017. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland, allen voran der Antisemitismus-Vorwurf gegen einzelne Protagonisten. Und ob man den Hessentag nun toll oder extrem whack finden mag: er hat den deutschen Rap zumindest in eine interessante Rechtefertigungsposition gebracht.

Ich selbst kann meinen persönlichen Standpunkt innerhalb dieser Debatte nicht in zwei oder drei kurzen Sätzen definieren, da dieser mehrschichtig ist. Zunächst einmal bin ich grundsätzlich der Meinung, dass deutscher Rap (und zwar von Morlokk Dilemma bis Majoe) es nicht nötig haben sollte, auf einer Friede-Freude-Eierkuchen-Feierlichkeit zu Ehren eines Bundeslandes stattzufinden. Dann finde ich, dass er er nicht nötig haben dürfte, sich überhaupt der Versuchung hinzugeben, als peinliches Beweisstück für das eigene angekommen Sein in der gesellschaftlichen Mitte eine Spielchen mitzuspielen, das ihm in seiner Bravheit und in seinem zweifelhaften Glamour zum Glück ganz einfach nicht steht. Deutscher Rap ist gefühlt schon viel zu erfolgreich, um sich noch rechtfertigen zu müssen.

Auf der anderen Seite kann ich aber nachvollziehen, dass ein Künstler, der in der Vergangenheit sowieso schon alle möglichen anderen Kompromisse eingegangen ist, auch hier nicht ‚nein‘ sagt und eine Veranstaltung wie jene „Rap-Night“ vielleicht als Chance begreift, auf ein neues gesellschaftliches Level zu gelangen. Meinetwegen. Keinesfalls will ich mir anmaßen, mich hämisch oder bösartig über die Entscheidung
eines Azad, Farid Bang oder Eko Fresh dort aufzutreten, zu urteilen. Gerade für die Künstler, die einen migrantischen Hintergrund haben, war es, wie wir alle wissen, besonders schwer, innerhalb dieser Gesellschaft auch nur ein Stück weit vorurteilsfrei akzeptiert zu werden.

Die Einladung zu einer solchen Feierlichkeit ist für diese Jungs insofern natürlich auch als Privileg anzusehen, für das viele Künstler im Rap-Game ohnehin viel zu lange kämpfen mussten. Damit wäre die allgemeine Kritik an der Teilnahme der Künstler an einer solchen Veranstaltung geklärt, die soll hier nicht das Problem sein.

Der Vorwurf wiederum, dass die Texte der „betroffenen“ Rapper sexistisch, homophob und antisemitisch sind, trifft natürlich in Teilen zu und ist faktisch nicht zu widerlegen. Viel eher könnte man Stunden damit verbringen, Material zum Unterstreichen dieser Vorwürfe zu sammeln und würde damit lange nicht fertig werden. Aber sind sie sexistischer, homophober oder gar antisemitischer, als die bürgerliche Mitte der deutschen Gesellschaft, die sich beim Hessentag die Ehre gibt? Oder nur offener und und damit leichter angreifbar?

Eigentlich ist das auch irgendwie egal, denn selbst das würde Zeilen wie: „Ich leih dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz“, die Kollegah fälschlicherweise zur zugeschrieben wurde, weil Favorite sie auf einem Feature mit ihm gedroppt hat, natürlich keineswegs entschuldigen. Und trotzdem war es mir in der Vergangenheit immer wichtig, zu betonen, dass die Texte, die da fabriziert werden, definitiv nicht aus dem Nichts kommen und gerade ihr Erfolg erst durch diese Gesellschaft, ihre Umgangsformen und Wertvorstellungen möglich wird.

Auch Antisemitismus, also die pauschale Ablehnung der Juden und des Judentums, haben im deutschen Rap über die Jahre immer mal wieder stattgefunden, das will ich hier keineswegs leugnen und auch definitiv nicht rechtfertigen. Auch bei mir haben stets alle Alarmglocken gebimmelt, wenn ich Zeilen à la „Jede Sache, die ich mache, hat den übelsten Haken wie jüdische Nasen – ups, Spaß – was reimt sich auf »Spaß«? Nicht etwa »Gas«“ oder dergleichen gehört habe. Wenn Rapper angeben, ihr Koks „an die Juden von der Börse“ ticken zu wollen, lässt das leider tiefe Einblicke in ein von finsteren Ressentiments geprägte Weltbild zu. Dagegen muss selbstverständlich angekämpft werden.

Aber: auch wenn ich kein großer Fan von Kollegah bin, bin ich doch fest davon überzeugt, dass er tatsächlich kein Antisemit ist und politisch, abgesehen davon, dass er ein Freund einiger kruder Verschwörungstheorien zu sein scheint, gar nicht so falsch drauf ist, wie ihm des Öfteren (und auch diesmal) unterstellt wird.

Ich denke tatsächlich, dass es hier den Falschen getroffen hat, zumindest hinsichtlich eines Antisemitismus-Vorwurfs. Das beweist nicht zuletzt sein Brief an den Landesverband der jüdischen Gemeinde Hessen (siehe unten), aus dem die wirklich ehrliche Bemühung hervorgeht, jenen Vorwurf gerade zu rücken und auch inhaltlich zu entkräften. Kollegah meldete sich während des allgemeinen Aufschreis außerdem via Facebook mit einer kurzen Stellungnahme zu den Vorwürfen ihm gegenüber zu Wort und argumentiert, wie auch im Brief, mit einer Zeile aus seinem aktuellen Track „NWO“, indem er für den Frieden und für die Akzeptanz unter und zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften plädiert. Nicht mein Fall, aber völlig in Ordnung.

Genervt hat mich hier eher, was sich in der Kommentarspalte desselben Facebook-Eintrags abspielte – und damit kommen wir zum letzten Punkt. Das wiederum ist nämlich der blanke Antisemitismus. Der unsägliche Kommentar „Seitdem Kolle auf eigener Faust in Palästina war, hat er Kosher-Nostra am Hals“ schafft es auf knapp 2.400 Likes und sorgt, ähnlich wie die hirnverbrannte Aussage „die juden sehen doch überall antisemitismus wo das wort „jude“ oder „jüdisch“ vorkommt“ von einem Typen mit einem Adolf-Hitler-Profilfoto, die auch satte 2.000 „gefällt mir“-Angaben einheimst für reichlich Belustigung in Kollegahs Fan-Community Typ.

Juden-Witze und Nazi-Scheiße ohne Ende, gefühlte hunderte Kommentare lang. An dieser Stelle erbringt deutscher Rap, denn dazu gehört neben seinen Künstlern und seinen Medien nun mal auch die breite Masse der Konsumenten und Konsumentinnen, den Beweis für all das, was ihm da vorgeworfen wird.

Ist das ihr Statement zur Debatte und Ausladung? Einem Antisemitismus-Vorwurf mit stumpfen antisemitischen Untermalungen zu begegnen? An dieser Stelle sind Teile der Szene schätzungsweise wirklich noch ekelhafter, dümmer und fremdenfeindlicher, als die vermeintliche Mitte der Gesellschaft.

Um Gottes Willen, Rap soll rebellisch und muss provokant sein. Ich finde, Sido hat es vor ein paar Monaten recht treffend formuliert, als er rappte: „das ist Hip-Hop Masafaka, so sind wir […] ab und zu böse, manchmal auch schmutzig, einfach nur blöd oder unfassbar lustig“. Es muss auch nicht jeder verstehen und nachvollziehen können, was die Rapper da treiben und Empörung bei der Eltern-Generation hat auch noch nie geschadet, sondern war immer Grundstein für Veränderungen. Wenn diese Empörung am Ende dazu führt, dass man kein Teil der Veranstaltungsreihe auf der Bundesgartenschau, dem katholischen Weihnachtsgottesdienst, dem Hessentag oder „Wetten dass….?“ ist, dann hat man vieles richtig gemacht.

Am Ende ich ganz froh, dass sich Kollegah, Azad und die anderen sich doch nicht beim Hessentag zum Brot machen werden und sich an einem Konzept die Zähne ausbeißen, dass irgendwie heuchlerisch und eigenartig daherkommt. Diese Plattform hat deutscher Rap genauso wenig nötig, wie irgendwelche kommentierenden Hitler-Fake-Facebook-Profile oder neue, dumme, antisemitische Lines von egal wem in egal welcher Auskopplung. Aber ich finde es trotzdem gut, dass eine neue Diskussion über No-Gos in Rap-Texten und ihrer gesellschaftlichen Rolle entstanden ist.