Unsere Gastkolumne geht in die vierte Runde. Thomas beschäftigt sich dieses Mal mit Infotainment, das man auch außerhalb der seit Jahren etablierten Rapmedien. Wie immer stellen die Aussagen seine Meinung dar und spiegeln nicht unbedingt die der Redaktion wieder.
Letzte Woche gab es ein paar heiße Tipps, wie man Fast-Nachrichten und sonstige Irrelevanz in Neugier schürendes Clickbaiting hüllt und auf den eigentlich an Musik interessierten Leser loslässt. Wie man außerdem Klicks und Fame mit Rap-Infotainment machen kann, erklärt der diesmalige Ausflug in Welten fernab des klassischen Deutschrap-Journalismus.
Macht ma Lärm!
Nehmen wir zum Beispiel noisey, ein musikmedialer Ableger der Vice. Der magazingewordene Spagat beschäftigt sich nicht nur mit Rap. Aber sehr gerne – und gerne plakativ. Das kann großartig sein, wie der kontrovers diskutierte Kommentar von Marcus Staiger über Kollegahs Westjordanland-Reise oder dem Liebesbrief von 3Plusss an Tua. Diese wenigen Glanzpunkte täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass es auch viel Dunkelheit aka Lärm um nichts zu finden gibt.
Die Berichterstattung über Schwesta Ewas Verhaftung Mitte November beispielsweise. Musikalische Relevanz? Nicht gegeben, aber geschenkt. Erst steigt man voll auf das Thema ein, „Exklusiv: Polizei bestätigt Festnahme Schwesta Ewas“, „… Wir haben mit Schwesta Ewas Rechtsanwalt gesprochen“, das volle Programm. Dann folgte plötzlich ein moralinsaurer Kommentar, warum Menschenhandel nicht lustig ist. Abgesehen davon, dass noisey irgendwie nicht die richtige Plattform zu sein scheint, an solche moralischen Grundwahrheiten zu erinnern: Zu diesem Zeitpunkt stand (genau wie heute, übrigens) noch nicht mal fest, ob Schwesta Ewa überhaupt etwas mit den ihr vorgeworfenen Missetaten zu tun hatte. Vorverurteilung gepaart mit einem unpassend erigierten Zeigefinger also. Hauptsache, es machen nicht nur die Handschellen klick…
Genial auch, einen Artikel mit 180 Wie-Vergleichen aus Kollegahs neuem Album „Imperator“ zu veröffentlichen. Pulitzerpreisverdächtig. Angeblich sollen es die 180 „besten“ sein, beim Lesen befällt einen der Verdacht, dass einfach jemand bei genius das Wort „wie“ in die Suchfunktion eingetippt hat.
Auch den, äh, Riesenskandal um Shindy und das Rucksackgate greift man selbstverständlich auf: Kaum eine Einordnung oder anderweitige Aufbereitung, lediglich ein umfassendes Recap einer grandiosen Nichtigkeit. Total ironisch und so halt. Ist klar. Ach, übrigens: „… Kanye West ist jetzt blond“. Muss man wissen.
„Game Over… Takeover… Range Rover“
Während noisey-Artikel noch meistens einigermaßen in einen journalistischen Rahmen gezwängt werden, fallen die Beispiele aus dem YouTube-Kosmos nochmal in eine andere Kategorie. Rapslap etwa ist ein Rap-News-Kanal mit über 80.000 Abonnenten. In dreieinhalb Jahren konnte er über 10 Millionen Klicks damit einbringen, boulevardeske Inhalte in verdaulichen fünf bis zehn Minuten Länge aufzubereiten. Dazu bedient man sich diverser O-Töne oder Social-Media-Beiträge der Rapper, collagiert und schneidet sie zusammen, kommentiert jovial und klebt ein BILD‘eskes Vorschaubild darüber.
„Dein Rapblog!“ Rapspeed kommt noch eine Ecke unseriöser daher, kann seit 2015 dennoch über 21.000 Abonnenten und über zweieinhalb Millionen Videoaufrufe verbuchen. Was die Klicks beschert: Videos mit „10 Fakten“ – und zwar irgendwelchen – über bekannte deutsche Rapper. Der Sprecher beliefert seine Zuschauer mit Perlen wie diesen:
• „Nummer 3: Schwesta Ewa hat früher Crack geraucht und musste aufhören, weil sie durch das Crackrauchen sehr hässlich wurde. Dies hat zur Folge geführt, dass sie keine Freier mehr bekam und dadurch hatte sie kein Geld mehr für Crack.“
• „Nummer 8: Fards höchster Gewinn im Casino waren 1.200 Euro bei dem Spiel ‚Oliver‘s Bar‘.“
Das, liebe Freunde, sind knallhart recherchierte Fakten. Ganz bestimmt.
Man könnte weitermachen mit dem YouTube-Kanal Raparmy (320.000 Aufrufe für „5 LUSTIGE KOLLEGAH ANTWORTEN“). Aber spätestens mit dem Phänomen des Unboxings – Der YouTube-Kanal AdlerssonReview kommt auf 103.000 Abonnenten und 21 Millionen Aufrufe nach dreieinhalb Jahren – haben wir uns aus dem Feld des Deutschrap-Journalismus hinausbewegt. Schöne Grüße an Fatih Cetin an dieser Stelle. Hoffentlich schenken dir die Rapper deine Boxen in Zukunft wenigstens.
Statt nun moralische Fässer aufzumachen, stelle ich einfach eine Frage: Wie unterscheiden Rap-Hörer eigentlich zwischen Musikjournalismus und Klatsch und Tratsch? Tun sie das überhaupt? Denn wenn nicht, dann scheint es egal zu sein, was man den Usern und Konsumenten vorsetzt. Hauptsache, es ist neu: ein neues Video, ein neuer Post – und da muss „Rapper“ in der Headline stehen. Oder „dieser Rapper“ – für manche Portale wäre der Künstlername ja fast schon so etwas wie eine, naja, konkrete Information. Also beinahe schon journalistisch. Unter Journalismusverdacht, quasi. Und damit will man selbstverständlich nix zu tun haben.