Memento mori: Rap und Tod

„Sie sagen, ‚Schlaf sei der Cousin des Todes’/
Doch in ihm seh‘ ich so viel Schönes/
Frag mich, wie schön erst der Tod ist/“

– Bartek (Verstummte Sicht)

Ein guter Freund sagte mir einmal, für die Menschen gibt es nur zwei relevante Themen: den Tod und die Liebe. Alles andere seien nur Ableitungen der beiden. Betrachtet man die Themenauswahl Deutschraps, würde mancher dieser These widersprechen. Schließlich geht es doch viel um Kriminalität, Geld, Sex und Drogen. Blickt man aber z.B. auf die Motive oder Ziele, kommt man nicht umhin, zu erkennen, dass Tod und/oder Liebe mit allen diesen Themen direkt oder indirekt zu tun haben. Und so oder so kommen zwischen all den harten Representern und Geschichten auch immer wieder nachdenkliche Töne zum Vorschein. Manchmal geht es dann um Liebe und manchmal sogar um den Tod.

Gute Musik ist oft Ausdruck eines Gefühls und kaum welche sind größer und prägender als die des Verlustes oder die Angst vor dem Tod oder dem Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit. Doch wie verarbeitet man dieses Thema ohne sich in Gedenkkarten-Floskeln und Kalendersprüchen zu verlieren? Deutschrap hat auf diese Fragen einige Antworten gefunden, die sich stark unterscheiden. Dennoch lassen sich bestimmte Schemata erkennen, die sich wiederholen.

„Ich will keine Lieder mehr über den Tod schreiben“, sagte Casper den Kollegen der Juice. Die Frage dazu zielte auf „Ariel“ ab, der Song, in dem der Bielefelder den Tod seiner Halbschwester verarbeitet. Noch bekannter ist sein „Michael X“. Darin erzählt er von der gemeinsam erlebten Jugend, vom Verlust und der Erinnerung an seinen Freund. Ganz ähnlich machten es auch Ferris MC in „Zur Erinnerung“ und Gerard mit „Nichts“. Grade Ferris schafft es durch seine eindringlich rauchige Stimme und bildhaften Sprache Gänsehaut hervorzurufen. Wie bei einer Grabrede oder einem Leichenschmaus wird rekapituliert, was die Person ausgemacht hat und welche Momente mit ihr in Erinnerung bleiben werden. Was diese Geschichten so besonders eindringlich macht, sind ihre realen Hintergründe. Doch auch fiktive wie „Augenblick“ können, sofern eindringlich genug performt, dasselbe hervorrufen.

Favorite, eigentlich bekannt für seinen schwarzen Humor und explizite Gewaltphantasien, thematisiert das Ableben seiner Eltern immer wieder in seinen Texten. Oft mit sarkastischen Unterton. Doch mit „Ich vermisse euch“ gab der Selfmade-Künstler einen ehrlichen Einblick in sein Seelenleben. Obwohl oder grade weil der Song in so einem krassen Gegensatz zu seinen sonstigen steht, zählt er zu seinen beliebtesten und stärksten.

Interessant ist auch besonders Samys „Vater im Himmel“. Denn noch in „Vatertag“ aus dem Jahr 2009 beschimpfte er seinen damals noch lebenden Vater als „Loser“ und brachte seine Enttäuschung über das fehlende Interesse zum Ausdruck. In dem zwei Jahre später und nach dem Tod seines Vaters veröffentlichten „Vater im Himmel“ entschuldigt er sich für seinen vorangegangenen Song und seine Angriffe, treu dem Motto über Tote redet man nicht schlecht. Doch natürlich verändert eine solche Erfahrung auch die Sicht auf eine Beziehung.

Doch nicht nur die der geliebten Menschen, auch die eigene Sterblichkeit wird behandelt. Mal mit Humor („OMG!“, „Trauerfeierlied“), aber meist mit ernsteren Tönen. Prinz Pi/Porno stirbt sowohl in „Scharfes Schwert“ als auch in „Der Druck steigt“ und Credibil fragt sich, ob ihn nach dem Tod das ewige Leben erwartet: „Hol‘ Luft, atme die Seele rein/ Der Tod schon voraus, vielleicht wartet die Ewigkeit“. Das Textblatt von „Testament“ ließ Sido damals notariell beglaubigen und zu seinem offiziellen Testament machen. Rhymin Simon sprang aus dem Fenster und rekapituliert in seinem Abschiedsbrief sein Leben und Karriere.

Dieses Rekapitulieren bzw. das Vorbeiziehen des Lebens wird auch in Prinz Pi und Eskos „Dem Licht entgegen“ und Prezidents „Mise en Abyme“ beschrieben: „Dein Leben endet nicht, es endet niemals, der Zeitpunkt des Todes wird niemals erreicht/ Jacob’s Ladder ist ’ne Wendeltreppe und sie wächst in die Breite, je tiefer du steigst“. Der Tod ist sowieso ein immer wiederkehrendes Element beim Wuppertaler. Oft geht es dabei um die Möglichkeit bzw. den Schein, durch seine Kunst über den Tod hinaus weiterzuexistieren, in „Unwohl“ um die Verarbeitung eines Mordes.

Der Tod ist ein schwieriges und dadurch interessantes Thema. Die Kunst hat sich schon immer mit ihm beschäftigt, mal um zu warnen (Memento Mori) oder zu verbildlichen (Michelangelos „Jüngstes Gericht“) oder zu verarbeiten. Rap bildet dabei keine Ausnahme. Es gibt in ihm zwar viele Themen, die nicht direkt etwas mit Liebe und Tod zu tun haben, aber vielleicht sind es genau Songs mit diese beiden, die einem am längsten im Gedächtnis bleiben.