Deutschrap, Satire und Kritikfähigkeit [Gastkommentar]

Zuletzt wurde viel über den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gespottet, der als Reaktion auf einen Beitrag des Satire-Magazins „Extra 3“ den deutschen Botschafter einbestellt hatte. Doch wie würden wohl deutsche Rapper in einem solchen Fall reagieren, wenn sie die entsprechenden Möglichkeiten hätten?

Gut, Fler würde sich vermutlich immerhin noch selbst die Mühe machen, dem Satiriker einen Hausbesuch abzustatten. Aber Spaß beiseite: Zeugt sein Verhalten und das vieler seiner Kollegen in ähnlichen Fällen nicht von einem bedenklichen Mangel an Kritikfähigkeit?

Natürlich sind Rapper keine Politiker und als Satiriker sollte man sich vielleicht eher die Reichen und Mächtigen vorknöpfen anstatt Künstlern, die außerhalb ihrer eigenen Szene sowieso von einem Großteil der Gesellschaft immer noch nicht ernst genommen werden.

Aber sie sind nun mal Personen des öffentlichen Lebens und dass man, wenn man sich dafür entscheidet, mit Musik sein Geld zu verdienen, auch damit leben muss, dass man öffentlich kritisiert oder in einem satirischen Kontext erwähnt werden darf, scheint bei vielen noch nicht angekommen zu sein. Das zeigen die Reaktionen auf die Karikaturen von Graphizzle Novizzle sowie die Videos von Stupido schneidet.

Beide sind keine Außenstehende, die sich über Rap lustig machen, sondern selber Rap-Fans und eben deshalb ist Rap ja auch ein großer Teil ihrer Kunst. Ja, ich bezeichne das jetzt einfach mal als Kunst, auch wenn sicher nicht jeder Leser mit diesem Humor etwas anfangen kann, aber bei Satire und Kunst im Allgemeinen verhält es sich doch nicht anders – man muss z.B. die Zeichnungen von Charlie Hebdo nicht gut heißen oder sogar lustig finden, aber die Freiheit der Kunst darf trotzdem niemals angezweifelt werden, bloß weil man etwas als „geschmacklos“ empfindet oder sich auf den Schlips getreten fühlt.

Wenn Fler Jan Böhmermann bedroht, weil er häufig in dessen Sendung vorkommt, ist das aber nichts anderes als das, was Erdogan macht. Im Gegenteil, er nutzt sogar die Androhung körperlicher Gewalt, wie Erdogan es in der Türkei auch macht, wenn ihn jemand zu lautstark kritisiert.
Erdogan würde natürlich nicht persönlich Gewalt anwenden, dazu hat er seinen Staatsapparat. Die Staatsgewalt ist aber nicht auf Flers Seite. Das hat auch Böhmermann erkannt und produzierte mit „Ich hab Polizei“ einen viralen Hit, der nicht nur Haftbefehl parodierte, sondern sich auch gegen Flers Adresse richtete. Statt seinerseits darauf musikalisch zu antworten, erneuerte Fler lediglich seine Drohung.

Es gehört dazu, dass Rapper sich gegenseitig dissen und solche Auseinandersetzungen auch schon mal persönlich werden. Da werden zwar auch teilweise Grenzen überschritten, aber solange das in der eigenen Szene stattfindet, will ich mich da nicht einmischen. Aber es muss klar sein, dass man auf die Kritik eines Journalisten nicht genauso reagieren kann wie auf einen Disstrack eines anderen Rappers. Wenn Blokkmonsta Staiger auf’s Maul haut, weil der eine negative Review geschrieben hat, ist das kein Zeichen von Authentizität, sondern ein Zeichen von Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden. Nüchtern betrachtet handelt es sich hierbei um einen tätlichen Angriff auf einen Journalisten, auch wenn Staiger gesagt hat, dass er als jemand, der Teil dieser Szene ist, mit so etwas umgehen kann.

Schwierig wird es auch, wenn Rapper Politiker in ihren Songs erwähnen. Wie ich in meinem letzten Kommentar erwähnt habe, darf Rap durchaus politisch sein. Das ganze sollte dann aber eine gewisse Substanz haben und wenn man einen politischen Song schreibt, ist das eben auch etwas anderes, als wenn man einen Disstrack schreibt. Man sollte dann eben nicht versuchen, den Politiker möglichst persönlich anzugreifen, ihn zu dissen, sondern sich kritisch mit ihm und seinen politischen Ansichten auseinanderzusetzen.

Wenn Bushido rappt: „Ich schieß‘ auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“, dann ist das selbstverständlich nicht wörtlich gemeint. Aber es ist eben auch keine kritische Auseinandersetzung mit einem Politiker, sondern eine persönliche Fehde. Bushido hat auch mit seiner Argumentation gezeigt, dass er genau diesen Unterschied scheinbar nicht versteht oder nicht verstehen will, denn er rechtfertigte sich damit, dass Claudia Roth ihn ja auch beleidigt hätte – sie hat ihn aber nicht beleidigt. Sie hat ihn als Antisemit bezeichnet, weil er auf Twitter als Profilbild eine Landkarte verwendet, auf der Israel nicht existierte. Das mag man als harten Vorwurf empfinden, es ist aber keine persönliche Beleidigung.

Und es ist auch unfair, als Rapper einen Politiker in einem solchen Kontext zu erwähnen. Claudia Roth konnte schließlich schlecht einen Antwort-Track schreiben und Bushido so lyrisch die Stirn bieten. Mutiger wäre es also gewesen, auf jemanden zu schießen, der auch zurückschießen kann.

Und Bushidos Zeile gegen Roth stellt keinen Einzelfall dar: Auf seinem Album „Har(t)z IV“ verunglimpfte Eko Fresh den mittlerweile verstorbenen damaligen Außenminister und FDP-Politiker Guido Westerwelle mit den Worten: „Du bist eine schwule Sau wie Guido Westerwelle“. Unabhängig davon, wie man zu Westerwelles Politik steht, ist eine solche, offen homophobe Aussage völlig inakzeptabel und stellt keine Form der legitimen Kritik dar. Dass „schwul“ in Rap-Texten gerne als Schimpfwort benutzt wird, ist die eine Sache. Jemanden, der tatsächlich homosexuell ist, als „schwule Sau“ zu bezeichnen, hat aber eine ganz andere Qualität. Eko hat seinen Fehler inzwischen auch eingesehen und sich bei Facebook dafür entschuldigt.

Andere Rapper nutzen ihre Popularität in den sozialen Medien, um Kritiker zu diffamieren, so z.B. Swiss, als er den Juice-Redakteur Jakob Paur anrief, der sein Album verrissen hatte, und das Telefonat ins Internet stellte. Dass er damit vor allem sich selbst bloßstellte, z.B. als er implizierte, man könne ihm doch nicht bloß zwei Kronen geben, weil er ja schließlich eine Werbeanzeige geschaltet hatte, hat er offenbar nicht begriffen.

Vielleicht steht es um kritischen Rap-Journalismus in Deutschland deshalb so schlecht, weil es um die Kritikfähigkeit deutscher Rapper so schlecht bestellt ist. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass Rap-Medien (wie Medien im Allgemeinen) oft davon abhängig sind, Interviews zu bekommen. Jedenfalls erkennt man leider oft nicht, dass Musikjournalismus mehr als nur Promotion ist.

Man kann allerdings nicht nur als Journalist Rapper kritisieren, es geht auch andersrum: Koljah von der Antilopen Gang warf Ken Jebsen im Song „Beate Zschäpe hört U2“ ebenfalls eine antisemitische Haltung vor. Daraufhin verklagte Jebsen die Antilopen und scheiterte, da das Gericht zu dem Schluss kam, dass einige Aussagen Jebsens tatsächlich den Vorwurf rechtfertigten und man sich zudem auf die Freiheit der Kunst bezog.

Die Freiheit der Kunst verteidigen manche Rapper jedoch nur dann, wenn es um ihre eigenen Texte geht. Es wird eine gewisse Doppelmoral deutlich, wenn Rapper, die in ihren Songs gerne auf stumpfe Provokation als Stilmittel setzen, Satirikern vorwerfen, Grenzen zu überschreiten. Denn Satire und Rap haben viel mehr gemeinsam als man denkt. Auch Satire ist Kunst, und als Ausdrucksform der kritischen Auseinandersetzung fällt Satire auch unter die Meinungs- und Pressefreiheit. Auch, wenn es dabei um Rapper geht.